BAST-Projekt: Runderneuerte vom Makel der Zweitklassigkeit befreien
Die europäischen Runderneuerer haben ein Problem. Sie laufen der aktuellen Gesetzgebung in Europa ständig hinterher. Sie befürchten nun, dass das Stigma der Zweitklassigkeit auch rechtlich fixiert wird und ihnen über kurz oder lang die Märkte wegbrechen. Der europäische Runderneuerungsverband BIPAVER bemüht sich nun unter Federführung seiner Technischen Kommission nachzuweisen, dass runderneuerte Reifen dieselben Produktanforderungen erfüllen können wie Neureifen und folglich für die Homologation durch die kleinen und mittelständischen Runderneuerungsbetriebe nun ein praktikabler und finanzierbarer Sonderweg gefunden werden muss. „Wir sind ja bereit uns einzubringen“, erklärt Michael Schwämmlein von Kraiburg, der als Technischer Berater des BIPAVER fungiert. Zur Beweisführung will der Verband nun gemeinsam mit der BAST eine Studie durchführen.
Die rechtlichen Anforderungen, die heute und in naher Zukunft an Reifen gestellt werden, nehmen in ihrer Komplexität stets zu, leisten aber immer mehr für die Verkehrssicherheit und den Umweltschutz. Ob bei der Typengenehmigung von Fahrzeugen, die ab 1. November 2011 neue Vorgaben in Bezug auf Rollwiderstand, Nassgriff und Reifenfahrbahngeräusch bringen soll, ob bei der Typengenehmigung von Bauteilen wie Reifen, die ab dem 1. Oktober 2009 eine Sound-Kennzeichnung vorschreibt, ob beim sogenannten Öko-Label der Europäischen Union – runderneuerte (Lkw-)Reifen werden dort nicht bedacht. Man weiß zwar aufseiten des BIPAVER und in der Runderneuerungsbranche europaweit, dass runderneuerte Reifen, zumindest dann, wenn sie in einer professionell geführten Anlage gefertigt wurden, den Vergleich mit Neureifen in keiner Disziplin scheuen müssen. Dazu wurde auch früher bereits eine positive Studie der BAST, also der Bundesanstalt für Straßenwesen, veröffentlicht (zur Geräuschemission runderneuerter Reifen; veröffentlicht 2003).
In einer neuen Studie möchte der BIPAVER nun den Nachweis auch über die Wettbewerbsfähigkeit runderneuerter Reifen beim Rollwiderstand, dem Reifenfahrbahngeräusch und dem Nassgriff sowie der Allgemeingültigkeit dieser Ergebnisse erbringen, so dass diese Reifen künftig auf Augenhöhe mit Neureifen am Markt agieren können und nicht – durch einen juristischen Schicksalsschlag – ins Hintertreffen geraten. „Wir fragen uns derzeit, was können wir tun, um nachzuweisen, dass der runderneuerte Reifen nicht zweitklassig ist und wie wir das in der Gesetzgebung verankern können, ohne dass dies den Tod von 90 Prozent aller Runderneuerungsbetriebe bedeutet“, so Michael Schwämmlein, Leiter Produkt und Service bei Kraiburg Austria und zugleich Technischer Berater des BIPAVER.
Das Konzept der Studie zur „umwelt- und sicherheitsbezogenen Leistungsfähigkeit von runderneuerten Lkw-Reifen im Vergleich zu Neureifen“ liegt derzeit bei der Europäischen Union. Der BIPAVER versucht für einen Teil der Kosten, die auf knapp anderthalb Millionen Euro geschätzt werden, eine Kofinanzierung durch die EU zu erhalten. Im Rahmen der Studie wird es – allgemein gesprochen – um den relativen Vergleich eines Querschnitts der in Europa am häufigsten gefertigten heiß- und kaltrunderneuerten Reifen (nach Reifendimensionen) mit den jeweiligen vergleichbaren Neureifen von Premiumherstellern gehen. Mit anderen Worten: Runderneuerte Referenzreifen sollen den direkten Vergleich mit neuen Reifen in Bezug auf den Rollwiderstand, den Nassgriff und das Reifenfahrbahngeräusch bestehen. Gemeinsam mit Kraiburg beteiligen sich auch andere Unternehmen wie etwa Marangoni/Ellerbrock oder Bandag intensiv an der Studie.
Man geht beim BIPAVER davon aus, dass in Brüssel eine positive Entscheidung über den Förderantrag zum Projekt binnen eines Jahres fällt. Dann kann das BAST-Projekt, für dessen Durchführung rund anderthalb Jahre veranschlagt werden, beginnen. Dies bedeutet allerdings, betont auch Michael Schwämmlein, dass ein Teil der neuen oben genannten rechtlichen Anforderungen bereits in Kraft getreten sein wird. „Wir laufen der Gesetzgebung für Neureifen hinterher“, so der Technische Berater des BIPAVER. Für den Moment sei dies vielleicht kein Problem, aber runderneuerte Reifen könnten durchaus bald im Vergleich zu Neureifen ins Hintertreffen geraten. Ein Problem werde mit Sicherheit entstehen, wenn Flotten – etwa im Öffentlichen Personennahverkehr – nur noch Reifen als Ersatz akzeptieren, die die umwelt- und sicherheitsbezogenen Vorgaben des Gesetzgebers erfüllen. Da runderneuerte Reifen – zumindest nach aktueller Rechtslage – diese Vorgaben gar nicht erfüllen müssen, sie sind schließlich nicht einbezogen, könnten Runderneuerer von solchen Flottenkunden abgeschnitten werden. Schwämmlein fürchtet, dass neben öffentlichen Fuhrparks auch private Flottenbetreiber versucht sein könnten, Neureifen den runderneuerten Reifen vorzuziehen; diese erfüllten schließlich die – nur für sie geltenden – gesetzlichen Vorgaben, für Runderneuerte hingegen gibt es weder ein Testprozedere noch eine Richtlinie. Selbst wenn jeder weiß, zuletzt auch durch die neue Studie, dass ein runderneuerter Reifen etwa genauso viel oder wenig ‚Lärm’ produziert wie ein vergleichbarer Neureifen, gibt es dafür noch keine S-Kennung auf der Seitenwand.
Wenn dann in zweieinhalb bis drei Jahren die Ergebnisse der BIPAVER-/BAST-Studie vorliegen, dann geht es um Phase zwei des aktuellen Projektes: die Integration in den rechtlichen Rahmen. Da es sich bei runderneuerten Reifen eben um eine nicht-typengenehmigte Komponente handelt, die laut Michael Schwämmlein allein in Europa in bis zu 8.000 Variationen gefertigt wird, muss ein Prüf- und ein Genehmigungsverfahren etabliert werden, dass die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Runderneuerungsbranche nicht in den finanziellen Ruin treibt, ihre Produkte aber selbst für die Erstausrüstung, etwa im Trailerbereich, rechtlich unbedenklich macht.
Dass die juristischen Mühlen langsam mahlen und es frühzeitig nötig ist, sich auf geänderte Rahmenbedingungen einzustellen, hat auch das Verbot von hocharomatischen Ölen in der Reifenproduktion gezeigt. Die als Weichmacher dienenden polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe, sogenannte PAKs, dürfen ab dem 1. Januar 2010 in Europa nicht mehr genutzt bzw. im Reifen eingeführt werden. „Wir bei Kraiburg haben die PAK-freien Laufflächen bereits 2007 eingeführt“, betont Michael Schwämmlein, schließlich seien moderne Laufstreifen bedenkenlos drei Jahre lagerfähig. „Wir haben unsere Hausaufgaben frühzeitig gemacht“, so der Leiter Produkt und Service bei Kraiburg Austria. Gleichzeitig kann aber leider nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass dies bei allen im Markt befindlichen Lieferanten der Fall sein wird. Da der Runderneuerer als Reifenhersteller letzten Endes die Verantwortung für den Reifen trage, werde der Arm des Gesetzes im kommenden Jahr bei Verstoß gegen das PAK-Verbot nach ihm und nicht nach seinem Zulieferer greifen. Gerade vor dem Hintergrund der derzeit schwachen Nachfrage nach Lkw-Reifen – ob neu oder runderneuert – müsse sich jeder Runderneuerer genau überlegen, wie er nun mit seinen Lagerbeständen an Laufstreifen verfahre. Bindegummi und Heißmischungen können indes nur drei bzw. drei bis neun Monate gelagert werden, folglich ist die Umsetzung des PAK-Verbots hier noch in vollem Gange.
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