Rob Oudshoorn: „Wir haben erleichtert aufgeatmet“
Seit der Gründung von „Apollo Vredestein B.V.“ am 15. Mai 2009 können Rob Oudshoorn und das Unternehmen, das er führt, endlich wieder mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Nach „unseren schlechten Erfahrungen mit Russland“, die durch den Verkauf von Vredestein Banden an Apollo Tyres aus Indien ein für allemal zur unangenehmen Erinnerung verblassen sollen, will der holländische Reifenhersteller sich nun endlich wieder um alltägliche Dinge wie der Weiterentwicklung von Produkten, von Märkten sowie von Vertriebs- und Produktionsstrukturen kümmern. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erläuterte Apollo-Vredestein-CEO Rob Oudshoorn den Stand der Planungen und Umsetzungen.
Ziemlich genau vier Jahre hat sie gedauert, die Ehe zwischen den Reifenherstellern Amtel aus Russland und Vredestein aus Holland. Mit dem Scheitern dieser Beziehung und dem Verkauf der in Enschede niedergelassenen Gesellschaft mit all ihren europäischen Vertriebstöchtern an Apollo Tyres aus Indien Mitte Mai entsteht nun nicht nur ein Reifenhersteller – größer als Nokian Tyres – mit beinahe globaler Präsenz und einem Umsatz von über einer Milliarde Euro. Sondern für beide Unternehmen, die diese Verbindung eingegangen sind, ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, was die Produktion, Vermarktung, Entwicklung etc. von Reifen betrifft. „Wir haben erleichtert aufgeatment, als die Unsicherheit durch den Vertragsabschluss mit Apollo beendet wurde“, sagt Rob Oudshoorn, dem die Erleichterung über den indischen Käufer, in dessen Besitz Vredestein nun übergegangen ist, absolut anzumerken ist.
Im Prinzip habe die ehemalige Gesellschaft Vredestein Banden seit vergangenem September zum Verkauf gestanden, erläutert Oudshoorn, auch wenn die offizielle Ankündigung erst im Dezember folgte. Da der Versuch eines Management-Buy-outs nur als zweitbeste Lösung angesehen wurde, blieb die Suche nach einer „strategischen, industriellen Marktpartei“ die einzige, wirklich praktikable Lösung. Die persönlichen Beziehungen zwischen Rob Oudshoorn und Onkar S. Kanwar, Chairman und Managing Director von Apollo Tyres, gehen dabei schon weit in die 1990er Jahre zurück. „Wir haben immer gesagt, dass wir einmal etwas gemeinsam unternehmen sollten“, erinnert sich der Apoll-Vredestein-CEO. Als Amtel dann vor fünf Jahren um die Übernahme von Vredestein Banden – damals unabhängig – bot, sei Apollo Tyres auch interessiert gewesen. Aber dieser erste Übernahmeversuch sei nicht von Erfolg gekrönt gewesen; Amtel-Vredestein entstand.
Auch wenn sich die Aussagen ähneln und Rob Oudshoorn heute wie damals den Ausdruck der „Win-win-Situation“ bemüht, so sei die aktuelle Verbindung mit Apollo Tyres aber „eine Ehe, im Himmel unterzeichnet“, während die Beziehung zu Amtel und dessen Spitzenmanagern häufig einer Vernuftehe glich, an die kaum einer richtig glaubte. Vielfältig seien die Meinungsverschiedenheiten über Höhe und Auswahl von Investitions- und Expansionsausgaben und deren Finanzierung über Schulden gewesen. Gerade nach dem Börsengang im November 2005 „schienen sie das Geld sehr schnell ausgeben zu wollen“, erinnert sich Oudshoorn. Die Moscow Tyre Plant wird gekauft und die beiden Reifenfabriken in Kirov und Voronezh werden teuer modernisiert. Geld für den geplanten Aufbau des Retail-Netzwerkes AV-TO in Russland blieb da kaum mehr. Von den 300 geplanten Outlets wurde nur rund ein Drittel erreicht.
Jedenfalls konnte Vredestein in der Zeit unter Amtel auf eine russische Produktion zurückgreifen. Im Kirov-Werk wurden in Spitzenzeiten jährlich bis zu 600.000 Vredestein-Reifen für den heimischen und den europäischen Markt gefertigt. Es habe nur ein halbes Jahr gedauert, bis die Produktion von Winterreifen dort anlaufen konnte, so Oudshoorn. Allerdings habe Vredestein vor der Übernahme durch Amtel auf dem russischen Markt sogar mehr Reifen verkauft als während der vergangenen Jahre. Dafür blieben mehr Reifen für das Wachstum in Europa und in Deutschland übrig, die nun erst einmal andernorts gefertigt werden müssen, denn Anfang dieses Jahres sind die letzten Vredestein-Reifen aus russischer Produktion in Europa eingetroffen. Aktuell werden keine Vredestein-Reifen mehr im insolventen Reifenwerk in Kirov gebaut und auch keine mehr in Russland verkauft – weder über die Amtel-Organsiation noch über die alten Kanäle von vor der Amtel-Übernahme.
Die Produktion von Reifen (und deren Vermarktung, dazu unten mehr) wird eine der bedeutendsten Veränderungen sein, die die Übernahme Vredesteins durch Apollo mit sich bringen wird. Genauso einfach, wie es damals innerhalb weniger Monate gelang, eine Produktion in Kirov aufzubauen, könnte es nun auch in einem der Apollo-Reifenwerke möglich sein. Die Frage ist nur, ob, wo und in welchem Umfang dies geschehen könnte. Die Frage nach dem Ob beantwortet Rob Oudshoorn mit einem klaren Ja. Es werde einen international integrierten Fabrikenverbund geben; aktuell betreibt Apollo Tyres acht Fabriken (vier in Indien, zwei in Südafrika und weitere zwei in Simbabwe); mit der Vredestein-Fabrik im holländischen Enschede und der neuen, hochmodernen Pkw-Reifenfabrik in Chennai, die im Herbst eröffnet wird, sind das dann zehn Reifenfabriken in vier Ländern.
Die Fragen nach dem Wo und dem Umfang einer erweiterten Vredestein-Produktion seien da schon schwieriger, gibt der Apollo-Vredestein-CEO zu bedenken. Die Fabriken in Indien würden aktuell allesamt an den jeweiligen Kapazitätsgrenzen betrieben; dort könnten Vredestein-Reifen folglich nur gefertigt werden, wenn entweder zusätzliche Kapazitäten entstehen oder bestehende Produktionen verlagert werden – etwa nach Enschede. Hier muss derweil bereits die fehlende Kapazität aus dem Kirov-Werk ausgeglichen werden. Und das macht bei einer Jahresproduktion von 5,5 Millionen Reifen in Enschede immerhin über zehn Prozent aus.
Derzeit entsteht im Werk in Enschede eine komplett neue Produktionshalle, die die Spitzen abfangen wird. Die Entscheidung darüber sei „inmitten der aktuelle Krise“ getroffen worden, betont der CEO und will damit auf die gute wirtschaftliche Situation des Unternehmens hinweisen. Dort wird Rob Oudshoorn zufolge zunächst eine Produktionslinie mit einem Tagesausstoß von 1.500 Reifen – vornehmlich HP-/UHP-Reifen – installiert, was einer Jahresproduktion von über einer halben Million Reifen entspricht. Zentraler Bestandteil der neuen Fertigung wird eine gemeinsam mit Vredestein entwickelte Reifenaufbaumaschine von VMI sein. Weitere drei Produktionslinien fänden in der Halle noch Platz. Wann diese Investitionsentscheidung getroffen wird, stehe derzeit noch nicht fest und hänge vom weiteren Verlauf der gemeinsamen Planungen ab.
Ebenso wichtig könnte es für Vredestein aber werden, über Produktionskapaztitäten in den Werken der 2006 von Apollo übernommenen Dunlop Tyres International in Südafrika und Simbabwe zu verfügen. „Dort gibt es Kapazitäten und wir schauen uns dies jetzt ganz genau an.“ Eine verbindliche Entscheidung darüber müsse aber in den kommenden Wochen erst noch getroffen werden, schließlich sei die Übernahme erst vier Wochen [seitt dem Gespräch mit der NRZ-Redaktion] her. Eines sei aber jetzt schon beschlossene Sache: Es wird in naher Zukunft Vredestein-Reifen auf den indischen und südafrikanischen Reifenmärkten geben. Somit erhält Vredestein die zusätzlichen Märkte, die für die ambitionierten Wachstumsziele der Führungsmannschaft um Rob Oudshoorn wichtig sind. In Indien biete sich „ein riesiges Potenzial“.
Ebenfalls zusätzliche Märkte wird natürlich auch Apollo Tyres aus Indien erhalten, nämlich die europäischen Märkte. Auch Apollo sei „ein Unternehmen auf Wachstumskurs“, wie zuletzt bei der Übernahme von Dunlop Tyres International für alle sichtbar wurde. Was dem zweitgrößten Reifenhersteller Indiens (nach Umsatz) aber zum Glück fehlte, sei ein Marktzugang für Europa. Und da haben die Inder mit Vredestein sicher nicht nur das einzige verfügbare Unternehmen in Europa gekauft, sondern auch eines, das neben den Produktionskapazitäten in Holland auch über gut etablierte Vertriebsstrukturen in allen wichtigen europäischen Ländern verfügt.
„Gegenwärtig arbeitet eine Arbeitsgruppe an der Einführung der Marke Apollo in Europa“, bestätigt Rob Oudshoorn gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG, und geht von einer Einführung in sechs bis zwölf Monaten aus. Ob damit auch die Produktion vor Ort im Werk in Enschede einhergehen wird, muss ebenfalls erst noch beschlossen werden. Dass ein Aufbau von Kapazitäten binnen weniger Monate möglich ist, habe das Beispiel Kirov gezeigt. Dafür müssten lediglich neue Formen angeschafft werden.
Wichtig für die Markteinführung sei indes die richtige Qualität und das richtige Sortiment. Das Letztere werde dabei ausschließlich Pkw-Reifen umfassen: Sommer-, Winter- und auch Ganzjahresreifen will Apollo nach Europa liefern, ein komplettes Pkw-Reifensortiment also. In Bezug auf die Qualität sehen zumindest die Tester der AutoBild noch Verbesserungspotenzial, jedenfalls fiel der Apollo-Reifen „Acelere Sportz“ (in 205/55 R16 V) beim aktuellen Sommerreifentest glatt durch. Rob Oudshoorn habe folglich empfohlen, „für den Moment“ keine Reifen nach Europa zu liefern, auch nicht für Reifentests. Man wolle „auf der sicheren Seite“ sein und zunächst gemeinsam überlegen, wie die einzelnen Apollo-Produkte für die Einführung auf dem europäischen Markt optimiert werden könnten. „Sie können eine Marke immer nur einmal einführen“, unterstreicht Rob Oudshoorn und betont dabei die Bedeutung handfester Vorplanungen.
Dasselbe gelte auch für die preisliche Platzierung der Marke Apollo auf dem europäischen Markt. Als Koordinaten stehen in jedem Fall fest, dass Vredestein die Premiummarke im neugegründeten Apollo-Vredestein-Konzern ist und bleiben wird – hüben wie drüben. Fest steht aber auch, dass die Marke Apollo in Europa nicht im Budgetsegment untergebracht werden soll. „Wir wollen Apollo so hoch wie möglich platzieren“, so Oudshoorn, dessen Unternehmen Apollo Vredestein B.V. allumfassend für den europäischen Markt zuständig ist, also auch für die Markteinführung der neuen Marke. Wo die bisherige Zweitmarke „Maloya“ im neuen Mehrmarkenportfolio stehen wird, ist indes noch nicht beschlossene Sache. In einigen Wochen soll es aber ein wichtiges Treffen aller Führhungspersönlichkeiten der beiteiligten Unternehmen geben, die dann konkret offene Fragen zu den Themen „Branding“ und „Marketing“ beantworten wollen. Auch über die Absatzkanäle, die Apollo-Reifen aufnehmen sollen, wird noch zu reden sein, so Oudshoorn. „Wir wissen, dass es im Moment noch viele ‚Vielleichts’ gibt, aber das wird sich bald ändern.“
Dass mit der Übernahme Vredesteins durch Apollo Tyres natürlich die Baupläne für eine neue Fabrik in Ungarn vom Tisch sind, versteht sich. Schließlich hat der indische Hersteller nicht nur ein stattliches Sümmchen für Vredestein Banden und die Vertriebsorganisationen ausgeben; auch wenn Rob Oudshoorn zum Kaufpreis den Kommentar verweigert, scheint er Brancheninformationen zufolge doch zwischen 220 und 260 Millionen US-Dollar (157 bis 185 Millionen Euro) zu liegen. Eine entsprechende Zahl wollte Oudshoorn jedenfalls nicht dementieren. Amtel hatte 2005 noch 195,6 Millionen Euro bezahlt. Eine Fabrik in Ungarn wäre eh stets nur die zweitbeste Lösung für den Markteintritt gewesen, denn Produktionskapazitäten vor Ort bedeuten nicht automatisch auch den Verkauf eines einzigen Reifens. Eine komplette Vertriebsorganisation aber, wie sie aktuell nur mit Vredestein Banden in Europa zu haben war, ist deutlich mehr wert.
Sollte Apollo also demnächst den Sprung nach Europa schaffen, und davon ist auszugehen, muss man sich fragen, was eigentlich Amtel mit Vredestein Banden anfangen wollte? Den wahren Nutzen des Unternehmens als aufstrebender und erfolgreicher Reifenhersteller in Europa – mit einem Jahresumsatz von 307 Millionen Euro (2007) – haben die Amtel-Direktoren nie erzielen können. Für Apollo jedenfalls ist es erklärtes Ziel, einen Fuß auf die europäischen Märkte zu setzen und hier Spuren zu hinterlassen.
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