Sonderkonjunktur für das Segment Landwirtschaftsreifen
Eine schlechte Nachricht nach der anderen aus der Reifenbranche, das ist frustrierend. Um so erfreulicher, dass da wenigstens ein Segment ist, das Zuwachsraten aufweist: der Bereich landwirtschaftlicher Fahrzeuge und damit der dazugehörigen Bereifungen. Bei den Neuzulassungen der ersten zehn Monate verzeichnet das Kraftfahrt-Bundesamt für land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen eine zweistellige Zuwachsrate! Und auch von den spezialisierten Händlern kommen durchaus zufriedene Rückmeldungen. In solch einer Nische lässt es sich gut sein – und darüber schreibt dann auch eine Fachzeitschrift besonders gern. Nicht dass auch bei den Herstellern und Händlern von Landwirtschaftsreifen das Klingeln von Alarmglocken überhört wurde, auch durchaus denkbar und sogar wahrscheinlich, dass der Einbruch in diesem Bereich noch kommt, denn die internationale und auch die nationale Wirtschaftskrise wird letzten Endes vor diesem Bereich nicht halt machen. In Teilsegmenten der Landtechnik wie bei Biogasanlagen ist erste Euphorie bereits der Ernüchterung gewichen, weitere Teilsegmente werden folgen, die Zuwachsraten der letzten Jahre werden sich kaum halten lassen. Aber richtig ist auch: An Lebensmitteln wird man in Zentraleuropa auch in 2009 kaum sparen, die hiesige Landwirtschaft wird ihrem Ruf gerecht werden und klagen, Ersatzbedarf wird sie weiterhin auch in Reifen befriedigen, sonst könnte sie ja gar nicht produzieren.
Dass sich die Maschinenhersteller von stets zweistelligen Zuwachsraten der letzten Jahre verabschieden müssen, dass das Ende der Knappheit von einzelnen Landwirtschaftsreifentypen und -marken gerade in der Erstausrüstung bevorsteht, ist nicht schwierig zu prognostizieren, auch wenn die renommierten Reifenhersteller davon überzeugt sind, auch in der ersten Jahreshälfte 2009 eher zuteilen zu können denn verteilen zu müssen. Man könnte auch sagen: Der Markt findet etwa in der zweiten Jahreshälfte 2009 zurück zu einer fast schon verschütteten Normalität.
Aber Weichen für die Zukunft sind auch gestellt, einige Beispiele: Die Landwirtschaftsreifenmarke Pirelli ist „umgeswitcht“ auf Trelleborg, gleiches wird – so die Lizenzvereinbarung in einigen Jahren ausläuft – auch für Continental gelten, wo die Marke Mitas für Kompensation sorgen wird. Die Kunst besteht darin, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, von einem ja erfolgreichen Namen auf eine noch relativ unbekannte Marke zu wechseln. Trelleborg war von Marktbeobachtern vorgehalten worden, den Schalter zu spät umzulegen, als das Auslaufen des Lizenzvertrages mit Pirelli ruchbar wurde; der bisherige Erfolg mit der Marke Trelleborg im Landwirtschaftsreifensegment aber gibt eher den Schweden recht, noch rechtzeitig die Kurve gekriegt zu haben. Ob sich die tschechische Unternehmensgruppe CGS dies für die Transformation von Continental auf Mitas als Blaupause nimmt, wissen wir natürlich nicht; wann der Lizenzvertrag ausläuft, ist in der Branche ein Geheimnis, man munkelt irgendwann in der zweiten Hälfte des kommenden Jahrzehnts. Goodyear hat in Nordamerika das Landwirtschaftsreifengeschäft an Titan Tire verkauft, wie lange es die Landwirtschaftsreifenmarken Goodyear und Fulda in Europa noch gibt, darf man ja wohl mal als Frage aufwerfen. Statt Pirelli Trelleborg, statt Continental Mitas, statt Goodyear Titan (jedenfalls in Amerika) – bei Landwirtschaftsreifen scheint der Markenstatus vielleicht weniger wichtig als in anderen Reifensegmenten. Auch im Bridgestone-Konzern sind ja keinerlei Anzeichen zu erkennen, dass aus der Aufschrift Firestone auf den Seitenwänden von Landwirtschaftsreifen mal Bridgestone werden könnte.
Ein Reifenhersteller scheint hier freilich etwas gegen den Trend zu „ticken“: Michelin hat Marktbereinigung durch Aufräumen im eigenen Sortiment betrieben: Um Taurus wurde es immer ruhiger, Stomil/kormoran wurde aussortiert und auch die in Nordamerika im Landwirtschaftsbereich traditionsreiche Marke BFGoodrich einer wichtigen Produktlinie beraubt. Und das ist ja auch nachvollziehbar: Wenn die Premiummarke Michelin unter erheblichen Verfügbarkeitsproblemen leidet und dafür relativ preisgünstige und margenschwache Marken aus dem eigenen Konzern bestens laufen, dann ist irgendetwas mit dem Mix nicht in Ordnung. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es einige Marktteilnehmer schmerzt, wenn eine vormalige Premiummarke wie Kleber (aus ihrer Sicht!) langsam zu verkommen scheint: Aber auch diese Entscheidung ist bei nüchterner Betrachtung absolut nachvollziehbar: Der Weltmarktführer bei Landwirtschaftsreifen konnte es sich nicht lange ansehen, dass sich zwei hausinterne Premiummarken kannibalisieren; da kann es natürlich nur einen Gewinner geben, und der heißt Michelin. Und übrigens: Für zahlreiche Landwirte – erst recht wenn sie einen neuen Schlepper bestellen – ist Michelin ein „Must“, alle Diskussionen um Markenwerte hin oder her.
Langfristig verheißt der weltweite Markt für landwirtschaftliches Gerät und damit auch für die dazugehörige Bereifung beste Chancen: Die Weltbevölkerung wächst, es ist eine Aufgabe der entwickelten Länder, den Hunger in unterentwickelten Regionen – so in Afrika – einzudämmen. Aber vor allem in den Staaten, in denen die Bevölkerung besonders schnell wächst – die beiden Protagonisten sind China und Indien –, steigt die Notwendigkeit rapide, landwirtschaftliche Güter zu erzeugen, damit die vielen Millionen Menschen auch genügend zu essen haben. Landwirtschaft wird natürlich traditionell in den genannten Ländern in großem Umfang betrieben, aber sehr weitgehend noch mit Equipment, das gemessen an den technischen Möglichkeiten völlig veraltet ist und nicht geeignet, die Erträge zu optimieren. Hinzu kommen geographische Diskrepanzen wie die folgende: In China leben 13 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur neun Prozent der Landesfläche ist überhaupt für eine landwirtschaftliche Nutzung geeignet. Das verlangt nach intensivem Anbau, ein Land wie China kann sich extensive Landwirtschaft bzw. eine Vernachlässigung der Förderung landwirtschaftlicher Strukturen gar nicht leisten.
Landmaschinen: Die Zukunft hat gerade erst begonnen
Mit allein Indien und China erscheinen also zwei gigantische Wachstumsmärkte am Horizont. Deren Landwirtschaft wird sich entwickeln müssen, es geht auch um die Nutzbarmachung bislang nicht landwirtschaftlich genutzter Flächen, aber mehr noch um eine Modernisierung der Landmaschinenflotten bzw. erst um eine Mechanisierung (Ersetzen des Ochsenpfluges durch den Traktor), um die Böden noch effektiver nutzen und die Hektarerträge steigern zu können. Wie bei anderen Fahrzeugtypen – beispielsweise Pkw und Lkw – auch, verbietet sich ein (für viele Länder auch viel zu teures!) „Over-Engineering“, das hierzulande gelegentlich um sich greift, und ein Zuviel an Elektronik würde kontraproduktiv sein. Wer könnte solche Maschinen in diesen riesigen Ländern adäquat bedienen, wer soll für die Wartung sorgen, für die Ersatzteilbeschaffung usw.? Gefragt sein wird aus hiesiger Sicht einfach konstruiertes und robust gebautes Equipment, das erschwinglich ist. Vermutlich produziert am ehesten in Kooperation moderner westlicher Hersteller mit der sich entwickelnden Landmaschinenindustrie vor Ort, wobei Lizenzierungsverfahren ebenso problematisch sind wie das recht unverhohlene Kopieren nach hiesiger Rechtsprechung durch Patente geschützter Teile.
Auch für die Durchdringung der Märkte mit modernen Landwirtschaftsreifen radialer Bauart wird es ein ganz, ganz weiter Weg sein. Diagonale Landwirtschaftsreifen aus chinesischer oder indischer Produktion werden noch über Jahre hinweg ihre Heimatmärkte dominieren. Hinzu kommt, dass in manchen Schwellenländern teilweise Handelsbarrieren aufgebaut worden sind und bei den Landmaschinen ein „local content“ gefordert wird. Reifen können einen nicht unerheblichen Beitrag leisten, diese Forderungen nach heimischer Fertigung zu erfüllen. In Ländern wie China, Indien, aber auch der Ukraine, in denen die deutsche Landmaschinentechnik bereits Fuß gefasst hat, gibt es genügend Landwirtschaftsreifenhersteller, in der Ukraine mit Dneproshina, Rosava und Valsa Bila Tserkva Valsa beispielsweise drei an der Zahl. Andere Länder – genannt wird gerne Kasachstan – rücken als Abnehmer von Landtechnik für eine sich schnell entwickelnde Agrarwirtschaft in den Fokus.
Landtechnik „made in Germany“ ist ein Exportschlager, schreibt der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Der vormalig alleinige Schwerpunkt des Absatzes in Westeuropa wurde seit der Jahrtausendwende um den zweiten Schwerpunkt Osteuropa ergänzt, auf den der Löwenanteil des Exportwachstums von 60 Prozent in den Jahren 2004 bis 2007 entfiel. Der VDMA hat den Wert der weltweiten Landtechnikproduktion für das Jahr 2007 auf 57 Milliarden Euro taxiert und prognostziert für 2009 sogar 65 Milliarden Euro. Deutschland ist mit einem Anteil von einem Fünftel am Welthandelsvolumen von Landtechnik Weltmarktführer und Exportkrösus deutlich vor den USA (15 Prozent) sowie Italien (zehn Prozent), und die hiesigen Maschinenhersteller verweisen fast unisono auf zweistellige Wachstumsquoten beim Umsatz. Mehr als einmal wurden mehr Fahrzeuge hergestellt als dafür Reifen bei den traditionellen Zulieferern verfügbar gewesen wären. In Ländern wie Russland oder der Ukraine (einst die Kornkammer Europas) dominieren beim importierten Gerät jene mit dem Gütesiegel „made in Germany“, nicht alle auf „regulären“ Erstausrüstungsreifen; es gab auch Kunden die sagten, „gib’ mir nur die fertiggestellte Maschine, die dazugehörigen Reifen besorg’ ich schon“. Dass heute noch die Ukraine mehr Getreide ein- als ausführt kann sich nicht nur das Land, so etwas kann sich die Menschheit nicht auf Dauer leisten. (Übrigens: Als „Kornkammer“ Afrikas gilt Simbabwe und wir wissen inzwischen, dass die Weltgemeinschaft viel zu lange weggeblickt hat.)
Aber der Fokus wäre einseitig verengt, würde die deutsche Landtechnik Länder wie China oder Indien nur als Absatzmärkte verstehen. Einerseits entsteht – bzw. ist bereits vorhanden – in diesen noch so fern erscheinenden Ländern sukzessive eine eigene Industrie, die irgendwann nicht mehr nur den Bedarf des heimischen Marktes (ob mit oder ohne Kooperation mit einem westlichen Hersteller) befriedigen will, sondern auf den Gedanken kommt, die ja vermutlich eher preisgünstigen Landmaschinen zu exportieren; auch um an Devisen zu kommen, die für den Einkauf bei der Zuliefereindustrie oder für Rohstoffe benötigt werden.
Die Voraussetzungen sind unterschiedlich: Indien beispielsweise stellt etwa knapp 30 Prozent der jährlich weltweit gebauten 1,4 Millionen Traktoren her (bei einer noch relativ geringen Exportquote). Das sind ganz überwiegend Kleintraktoren, vor denen Fendt & Co. sich nicht fürchten müssen. Aber längst hat der indische Marktführer Mahindra & Mahindra den US-Markt für sich entdeckt und unterhält dort zwei Traktorenwerke; Europa bzw. Deutschland scheint für die Inder jedenfalls noch nicht ganz oben auf der Agenda zu stehen. China fängt erst an, den Export von Landmaschinen zu entdecken und hat – wenn auch von schwacher Basis kommend – Exportsteigerungsquoten von mehr als 40 Prozent. Im Jahr 2007 hat China Landtechnik im Werte von 1,32 Milliarden Euro exportiert, wobei wie auch bei anderen Produkten das Zielland USA (19 Prozent) deutlich dominiert. Im Rahmen der zunehmenden Erschwernisse für chinesische Produkte in den Vereinigten Staaten ist allerdings anzunehmen, dass die Warenströme vermehrt umgeleitet werden: Deutschland war 2007 mit einem Anteil von acht Prozent bereits Zielland Nummer 2 für die Chinesen.
Und alle blicken sie auf die Traktoren, das ist das wertmäßig herausragende Produkt in der Landtechnik, daran wollen alle partizipieren. In den Staaten der EU wurden im Jahre 2007 etwa 22.000 Schlepper neu zugelassen, im ersten Halbjahr 2008 belief sich das Plus in diesem Wirtschaftsraum auf elf Prozent, fürs zweite lautet die Prognose plus sieben Prozent. Ein Abflachen des Booms ist also bereits in Sicht. In Deutschland gibt es zwei marktverändernde Trends: einmal der hin zu immer leistungsstärkeren Schleppern, die einerseits ein Anwachsen der Anzahl neuer Fahrzeuge hemmt und bezogen auf Stückzahlen sogar Verluste eingeräumt werden müssen. Auf diesen weniger, aber größeren Traktoren wollen die großen Reifenhersteller ihre Marke natürlich montiert sehen nach dem Motto: Je höherwertiger der Traktor, desto wichtiger ist die Reifenmarkenpräferenz! Ein zweiter Aspekt im Traktorenmarkt: Claas/Renault ist ein weiterer ernsthafter Spieler geworden und hilft, gewachsene Struturen aufzubrechen.
„Die Musik spielt“ also bei den Traktoren. In der EU wurden in 2007 insgesamt 232.090 hergestellt, für 2008 erwartete der VDMA Anfang Dezember noch ein Plus von 2,5 Prozent. Auf Deutschland entfielen von den Gesamtproduktionszahlen Traktoren 26 Prozent, im Wert sogar 34 Prozent. Dass in Italien mehr Traktoren (83.310 in 2007) hergestellt werden, ist richtig, bedarf aber zweier Anmerkungen: Einerseits sind Traktoren „made in Italy“ durchschnittlich PS-schwächer als die aus deutscher Fertigung, andererseits hat McCormick Fertigungskapazitäten erst unlängst von Großbritannien nach Italien verlagert.
Deutsche Landtechnik gilt trotz der vordergründig starken Stellung im internationalen Vergleich als viel zu zerspittert, andererseits gibt es allein in Indien 76 (!) Hersteller nur von Mähdreschern – die noch anstehende Konsolidierungswelle ist in diesem mittelständisch geprägten Wirtschaftszweig also wahrlich kein deutsches Problem.
Den Auftragsüberhang wird die deutsche Landtechnik im ersten Halbjahr 2009 abarbeiten, dann wird es eng. Einige Hersteller sind bereits jetzt mit Stornierungen vor allem aus Russland, aber auch aus der Ukraine konfrontiert, haben die feinen Maschinen jetzt auf dem Hof stehen und suchen händeringend nach alternativen Abnehmern. Sättigung in Westeuropa, Schwanken zwischen Potenzial in Osteuropa und der dort bereits um sich greifenden Wirtschaftskrise kennzeichnen das aktuelle Bild. Langfristig sind in Fernost und übrigens auch in Südamerika noch Chancen. Der US-Markt – auch als Hersteller von Landmaschinen – tritt seit Jahren auf der Stelle trotz günstiger Währungsverhältnisse und wird von einem Wachstum in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) – so es denn kommt – in der Landwirtschaft wenn überhaupt nur unterproportional partizipieren. Für die hiesigen Fahrzeughersteller (und Zulieferer) werden Umweltthemen immer wichtiger wie Abgase der motorgetriebenen Landmaschinen und Energieeffizienz. Bezogen auf Landwirtschaftsreifen hören wir in dieser Hinsicht fast ausschließlich von Bodenschonung. Man möchte fast darauf wetten, dass vor allem für Reifen, die zu einem Großteil auf asphaltierten Fahrbahnen rollen, das Thema Rollwiderstand auf Dauer nicht ausgeklammert bleibt.
Der Traktorenmarkt innerhalb der Landtechnik mag für Michelin, Firestone, Trelleborg und Continental/Mitas von überragender Bedeutung sein, vergessen werden sollte aber nicht das andere Ende des Marktes. Schließlich stehen Garten- und Landschaftsbaugeräte auch für etwa zehn Prozent des Landtechnikumsatzes bzw. ca. zwei Milliarden Euro in der EU. Die großen Reifenhersteller zeigen kein Interesse an diesem Segment und überlassen es kleinen Nischenspielern. Auf Handelsseite gibt es Spezialisten wie Zuschke & Noack oder Starco, die gut von dieser Nische als Kleinreifenhändler leben können, aber auch der größte Landwirtschaftsreifenhändler Europas Bohnenkamp ist sich für dieses Segment nicht zu schade, sondern bietet dem Einzelhandel nahezu jede erdenkliche Problemlösung bis hin zum Rasenmäherreifen. In den USA ist dieser Anteil übrigens am Landtechnikmarkt übrigens deutlich höher und wird produktionsseitig fernöstlichen No-Names überlassen oder nationalen Spezialisten wie Carlisle.
Landwirtschaftsreifen – ein Nischenmarkt
Fertigung von Landwirtschaftsreifen durch Michelin in einem Schwellenland? Fehlanzeige! Durch Goodyear? Fehlanzeige! Durch Bridgestone? Weitgehend Fehlanzeige (Ausnahme: Firestone in Südamerika)? Die großen global agierenden Reifenhersteller haben Landwirtschaftsreifen jedenfalls für Asien oder Afrika (noch) nicht auf dem Schirm. Was auch nachvollziehbar ist: Diese Märkte sind noch nicht reif für moderne Landwirtschaftsreifen radialer Bauart, in Diagonalreifenentwicklung wird bei Michelin und Co. aber nahezu null investiert. Der Michelin-Konzern gilt im weltweiten Ranking bei Landwirtschaftsreifen radialer Bauart übrigens als Nummer Eins, zur Überraschung vielleicht mancher Marktteilnehmer ist Firestone die Nummer 2: weit vor Europa-Spielern wie CGS oder Trelleborg.
Die aufstrebenden Landwirtschaftsreifenhersteller kümmern sich vorwiegend um ihre Heimatmärkte: Mitas (seit einem Jahr auch mit Einfachreifen von Rumaguma/Serbien) und Trelleborg um Europa, Titan und Galaxy um Nordamerika. Immerhin: Trelleborg fertigt in begrenztem Umfang auch Landwirtschaftsreifen in Sri Lanka, Galaxy in China, Absatzmärkte außerhalb ihrer Kernregionen spielen für alle Anbieter nur eine marginale Rolle. Zu nennen immerhin als Produktionsstandort Indien: BKT ist – auch dank freundlicher Unterstützung von Vredestein – zu einem internationalen Spieler geworden. Der israelische Hersteller Alliance war dies schon vor dem Einstieg indischer Geschäftsleute, jetzt entsteht ein neues Alliance-Werk für Landwirtschaftsreifen in Indien, während die hochwertigeren Agrarprodukte wohl weiterhin aus dem Stammwerk Hadera kommen sollen.
Statt sich auf Zukunftsmärkte zu konzentrieren, kümmern sich die bekannten Reifennamen um Kapazitätserweiterungen in ihren Stammmärkten. Bezogen auf das gesamte Reifenvolumen mag Nordamerika als gesättigt gelten, bezogen auf den Radialisierungsgrad ist da noch jede Menge Luft. In Westeuropa mag der Markt ebenfalls als gesättigt gelten und selbst hinsichtlich der Radialisierung als weit fortgeschritten, in Osteuropa liegt allerdings noch ein großer Markt brach, der einerseits einer Modernisierung des Fuhrparkes bedarf und der andererseits ebenfalls hinsichtlich Radialisierung noch Potenzial bietet.
Die zum Bridgestone-Konzern gehörende Zweitmarke Firestone hat in Nordamerika die Radialreifenfertigungskapazitäten im Werk Des Moines (Iowa) bereits in 2007 ausgeweitet und verstanden, dass Europabedarf am besten auch aus europäischer Fertigung – hier durch das Werk Puente San Miguel (Spanien) – zu befriedigen ist bzw. hat aus den schlechten Goodyear-Erfahrungen mit Reifen made in USA gelernt. Titan ist mit gleich drei Landwirtschaftsreifenfabriken in Des Moines (Iowa), Freeport (Illinois) und Bryan (Ohio) präsent und will in den ersten beiden genannten Fabriken die Radialreifenkapazitäten kurzfristig um dreißig bis 40 Prozent nach oben treiben. Michelins Landwirtschaftsreifenfertigung wiederum ist auf Europa fixiert, auch für die Standorte Troyes (Frankreich, ehemals Kleber), Nyiregyhaza (Ungarn, ehemals Taurus) und Olsztyn (Polen, ehemals Stomil) sind Kapazitätserweiterungen angekündigt, wobei die für Nyiregyhaza mit einem gewissen Fragezeichen zu versehen sind, weil doch sehr viel auf Olsztyn zuläuft. In Südamerika sind neben Firestone auch noch Pirelli und Goodyear, die sich aus ihren Heimatmärkten zurückgezogen haben, Agrarreifenanbieter. Kleinere Spieler bzw. Nischenanbieter (das kann durchaus lukrativ sein) wollen von dem Markt nicht lassen: Genannt seien in Nordamerika Denman und Carlisle, in Europa Nokian (Finnland), Vredestein (Niederlande), Danubiana (Rumänien), Camac (Portugal), Trayal und Rekord (Serbien) sowie diverse Reifenfabriken in Staaten der ehemaligen Sowjetunion und in der Türkei.
Der abschließende Blick nach Deutschland: In der Erstausrüstung dominieren in den wirklich wichtigen Radialreifensegmenten die großen Marken Michelin, Continental/Mitas, Trelleborg, Goodyear und Firestone – in etwa so auch in dieser Reihenfolge. Weil aber der Produktionsengpass der renommierten Reifenhersteller auch kleineren Marken Tür und Tor öffnete, haben auch Reifenhersteller der „zweiten Reihe“ durchaus OE-Status. Lieber Reifen solch eines Herstellers montiert als gar keine Reifen für das auslieferungsfähige Fahrzeug. Zumal diese Reifenhersteller ja gelernt haben: Goodyear weiß, dass mit Reifen „made in US“ mehr Schaden als Nutzen angerichtet worden ist, auch Firestone hat Konsequenzen daraus gezogen, BKT hat von Vredestein gelernt, und Alliance wiederum vom Know-how der ehemaligen BKT-Experten. Und alle sind irgendwie „Me-too-Anbieter“, denn jeder schaut auf den einen, der wie kein zweiter in die Produktentwicklung investiert, nämlich Michelin. – Und der möge sich erheben, der bislang unzugänglich war für das, was die Franzosen an Neuerungen präsentierten. Es steht übrigens zu erwarten, dass bei Beruhigung an der Lieferfront bzw. bei besserer Verfügbarkeit bei Michelin, Trelleborg und Co. diese sich verlorene Marktanteile zurückholen werden. Denn bis BKT und Alliance trotz aller sichtbaren Fortschritte den Markenstatus einer Michelin oder Continental haben, ist es für sie noch ein langer Weg.
Weil die großen Reifenhersteller nicht genügend Reifen in die Erstausrüstung liefern konnten, hatte der europäische Großhandelsmarktführer Bohnenkamp in der Erstausrüstung das größte Wachstumfeld und katapultierte den OE-Anteil auf etwa ein Drittel am Umsatz. Wobei, der Genauigkeit halber: Was für Bohnekamp OE-Inlandsgeschäft ist, ist für den jeweiligen Maschinenkunden Export. Bohnenkamp International mit der Dependance im slowakischen Modra (vor allem für die Slowakei und Tschechien, aber zunehmend auch für Länder wie Polen oder Österreich) ist übrigens der zweite Wachstumstreiber in den letzten zwei Jahren im Unternehmen gewesen und trägt mittlerweile fast zehn Millionen Euro zum Jahresumsatz von knapp 160 Millionen Euro im Jahre 2008 bei.
Die Firma Bohnenkamp, die sich durch Gründung einer Stiftung eine neue Struktur gegeben und zukunftsfähig gemacht hat, dominiert in Deutschland den Ersatzmarkt, hat spät, aber nicht zu spät den Trend zum Komplettrad erkannt und heute am Stammsitz in Osnabrück sieben Montagestraßen und eine weitere in Modra. Ein internes Highlight des Jahres 2008 war (wie übrigens beim nächsten Wettbewerber Grasdorf Wennekamp auch) die Installation des Warenwirtschaftssystems Navison. Während die Stiftung den Mitarbeitern Sicherheit für die Zukunft bietet, bedeutet Navison ein noch höheres Maß an Leistungsfähigkeit im täglichen Geschäft und erhöht das weitere Wachstumspotenzial erheblich.
Mehr als jeder zweite Landwirtschaftsreifen im deutschen Ersatzgeschäft findet den Weg über den Groß- zum Einzelhandel. Bohnenkamp kann in diesem Zusammenhank getrost aber auch als eine qualitativ und quantitativ ausgezeichnete Adresse für den traditionellen Reifenfachhandel bezeichnet werden. Denn abgesehen davon, dass das Unternehmen bei allen Organisationen der Handelslandschaft gelistet ist (das war nicht immer so), bieten die Osnabrücker in ihrem Produktportfolio auch die absoluten Seltenheitsreifen für MPT-, Industrie- oder sonstige Einsätze und sind für einen Einzelhändler so etwas wie die „Ultima Ratio“. Die Reifenhersteller haben hingegen längst erkannt, dass sie von der Expertise eines langjährigen hochgradig erfahrenen Handelshauses durchaus profitieren können. Gerade im Landwirtschaftsreifenbereich ist Beratung vonnöten – Bohnenkamp ist die zu leisten in der Lage, so gut wie jeder Hersteller, vielleicht manchmal besser, weil man auch den Endverbraucher sehr genau im Blick hat.
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