Große Erwartungen und kleine Enttäuschungen
Was gab das für ein landesweites Medienecho, als der Geschäftsführende Vorsitzende des BRV Anfang November im Rahmen eines Interviews von einer drohenden Winterreifenknappheit berichtete. Mit Blick auf einen sensationellen Saisonbeginn im Oktober hatte Peter Hülzer fast schon den Notstand ausgerufen; die Industrie fertigte nicht genug. Und was ist davon heute übrig? Der Reifenhandel klagt über einen viel zu warmen Winter und ist froh darüber, dass wenigstens der Gesetzgeber mit der geänderten Straßenverkehrsordnung für einigen Umsatz sorgt. Ohne den Wetter-Paragrafen, so schätzen Branchenvertreter heute, würden wir ein mieses Saisongeschäft erleben. Jetzt scheint der deutsche Reifenfachhandel so gerade mit plus/minus null aus dem Winterreifengeschäft des Jahres zu gehen. Das Hoffen auf den großen Wetterumschwung geht indes weiter.
Was von vielen Marktbeobachtern zu Beginn der Saison erwartet worden war, trat zunächst auch ein. Der Reifenhandel konnte sich kaum mehr retten vor der hohen Nachfrage nach Winterreifen, als die Medien- und Marketingmaschinerie im Herbst so richtig zu laufen begann. Vielerorten wurde die StVO-Novelle als eingeführte Winterreifenpflicht verstanden. Hersteller berichteten von Schätzungen, nach denen wenigstens zehn Prozent mehr Winterreifen in der laufenden Saison abgesetzt werden würden. Dass dies für den Sell-in, also die Reifenindustrie, auch zutrifft, bestätigt etwa Peter Schütterle. Der Geschäftsführernde Gesellschafter der Pneuhage Reifendienste – mit 92 eigenen Reifenfachhandelsbetrieben sowie bundesweit 125 Franchise-Nehmern (Pneuhage-Vertriebsparter-System) der größte freie Reifenfachhändler Deutschlands – sieht branchenweit die Steigerung der Sell-in-Zahlen sogar bei 18 Prozent. Auch bei Pneuhage habe man sich natürlich entsprechend bevorratet. Dass Kunden dann ab Anfang Oktober „richtiggehend hysterisch“ auf die aufflammende Winterreifen-Debatte reagierten, habe „Erwartungen beim Handel geschürt“, so Schütterle weiter.
Diese Erwartungen seien dann allerdings nicht mehr erfüllt worden. Nachdem der Run Mitte November abgeklungen war, machte sich im Reifenfachhandel fast schon Langeweile breit. Diejenigen unter den Endverbrauchern, die den geänderten Paragrafen 2 Absatz 3a der Straßenverkehrsordnung als Kann-Bestimmung interpretierten, blieben dem Reifenhandel eh fern. Die anderen hingegen, und das scheint derzeit die Mehrheit der deutschen Autofahrer zu sein, nimmt das Thema Winterreifen ernst und hat den Reifenfachhandel entsprechend frühzeitig mit Umrüstungs- und Einlagerungsaufträgen überhäuft. Man wolle bei Pneuhage zwar „nicht unzufrieden“ mit dem bisherigen Saisonverlauf sein, aber ohne die geänderte StVO hätten „wir starke Verluste“ hinnehmen müssen. Anstatt sich über das Wetter zu beklagen, nimmt Schütterle die Situation mit Humor: „Es hätte schlimmer kommen können.“ Insgesamt habe das stark im süddeutschen Raum vertretene Unternehmen bis Mitte Dezember genauso viele Reifen abgesetzt wie zur selben Zeit im Jahr zuvor – man stehe man also bei plus/minus null, immerhin.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Thomas Schmidt gemacht, der nicht nur Geschäftsführer des Reifengroßhändlers RS Exclusiv in Neumünster ist, sondern auch das Filialnetz von Gummi Grassau leitet, zu dem mittlerweile 21 Niederlassungen in ganz Norddeutschland gehören. Bisher habe man zwar ein Plus beim Einzelhandel von rund zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr erzielt. Dies führt Schmidt aber vorwiegend auf die neuen Gummi-Grassau-Filialen zurück, die sich derzeit am Markt etablierten und folglich mit entsprechenden Steigerungsraten die Unternehmenskennzahlen polieren. Auch für ihn sei im Oktober der „erste Run gigantisch“ gewesen, so Thomas Schmidt. Er macht ebenfalls die StVO-Änderung für die starke Nachfrage verantwortlich. Ohne die geänderte Rechtslage sowie die breite öffentliche Diskussion darum hätten die Gummi-Grassau-Filialen vermutlich zehn bis 15 Prozent weniger Reifen in der aktuellen Wintersaison abgesetzt.
Thomas Schmidt macht auf einen weiteren Aspekt der aktuellen Situation aufmerksam: Budget-Pkw-Reifen gehen derzeit verhältnismäßig schlecht im Reifenfachhandel, da sie begehrte Kaufobjekte von so genannten „Notkäufern“ seien. Von einer Notsituation kann angesichts der frühlingshaften Temperaturen Ende November und im Demzember allerdings nicht die Rede sein. Andererseits legen die Sicherheitsbewussten mehr wert auf Qualität und kaufen relativ gesehen höherpreisige Markenprodukte. Ebenfalls sei es auffällig, dass gerade in Norddeutschland der Absatz von Ganzjahresreifen stark zugenommen hat, betont Thomas Schmidt. Ein Plus von 20 Prozent schlage derzeit positiv zu Buche; man hätte indes sogar 40 Prozent mehr Ganzjahresreifen absetzen können. Die entsprechenden Herstellen hätten allerdings nicht liefern können, da sie mit der Produktion von Winterreifen bereits am Rande der Kapazitätsgrenzen operierten.
Ob das aktuelle Winterreifengeschäft noch den großen Sprung nach vorne schafft, hängt wohl vom Wetter ab. Sollte der Herbst allerdings direkt in den Frühling übergehen, werden im kommenden Winter viele Läger noch voll sein mit Ware aus dem Jahr 2006. Bei Pneuhage Reifendienste etwa plane man keine speziellen Aktionen, um den Abverkauf zu fördern. Diese seien zumeist kontraproduktiv, betont Peter Schütterle, da der Reifenfachhandel einerseits einen Teil seiner Marge und der Kunde das Vertrauen in die Werthaftigkeit des vermeintlichen High-Tech-Produktes Reifen verliert. Bei Gummi Grassau plane man hingegen eine Gutscheinaktion zum Ende der Saison, um einen Teil der Läger zu räumen.
Ob ein schneereicher Januar noch für klingende Kassen im Reifenfachhandel sorgen könnte, ist ungewiss. Peter Schütterle ist jedenfalls dieser Ansicht und betont die Auswirkungen der StVO-Debatte, die dann sicherlich aufs Neue aufflackern würde. Also, alle Reifenwelt wartet weiter auf den ersten Schnee.
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