Bringt neue StVO Klarheit in Bezug auf die Bereifung im Winter?
Nach langem Gerangel darum, welche Fraktion denn nun den Kanzler oder die Kanzlerin stellt, und dem Geschachere um Ministerposten und Kompetenzen sind sie jetzt in Amt und Würden: die nach Kriegsende zweite große Regierungskoalition aus SPD und CDU/CSU sowie mit Dr. Angela Merkel die erste Frau als deutsche Kanzlerin. Letztendlich haben sich beide Lager, die sich im Wahlkampf noch unversöhnlich gegenüberstanden, dann doch vergleichsweise problemlos und zügig auf einen gemeinsamen Maßnahmenkatalog geeinigt, mit dem die Wirtschaft angekurbelt und Ausgaben eingespart werden sollen. So weit, so – je nach Sichtweise – gut oder schlecht. Aber andererseits war den Deutschen doch ohnehin wohl klar, dass sie in Zukunft den Gürtel würden enger schnallen müssen – egal ob nun die rot/grüne Truppe im Amt geblieben wäre, die CDU/CSU zusammen mit der FDP die absolute Mehrheit geknackt oder sogar eine „Jamaika-Koalition“ das Ruder übernommen hätte. Wirklich grundlegende Änderungen am System werden angesichts der neuen Konstellation allerdings nur die größten Optimisten erwarten können. Vom großen Schritt bzw. umfassenden Reformen reden zwar alle Beteiligten – zündende Ideen waren bislang aber nicht erkennbar oder wurden von den Meinungsmachern zerredet.
Dabei wäre die Lösung so einfach gewesen. Zumal wohl fast jeder PC-Anwender mit dem Betriebssystem seines Rechners vergleichbare Erfahrungen gemacht hat wie mit der politischen Führung dieses Landes. Am Anfang läuft alles einigermaßen. Mit der Zeit kommt einiges an Hard- und Software hinzu, sodass irgendwann durch unausgegorene Treiber und schlecht programmierte Anwendungen oder die geforderte Abwärtskompatibilität zum bisherigen Betriebssystem schon der Start des Desktops zur Qual wird. Zu viele im Hintergrund laufende Prozesse beanspruchen über Gebühr Ressourcen und lassen damit viel zu wenig Speicher und Prozessorzeit für die eigentlich zu bewältigenden Aufgaben übrig. In solchen Fällen hilft dann am ehesten eine komplette Neuinstallation des Betriebssystems auf einer von Treiberleichen und sonstiger bremsender Altsoftware gesäuberten Festplatte. Selbst Microsoft empfiehlt, das neuere Windows XP nicht einfach über Windows 98 oder dessen zweiten Aufguss Windows 98 SE zu installieren. Und die Parallelen zur Politik sind schon erstaunlich: Seit 1998 war die SPD zusammen mit den Grünen an der Macht, 2002 folgte gewissermaßen die „Second Edition“ (SE) und welche „Experience“ (XP, Erfahrung) wir mit dem neuen System machen … – na warten wir’s ab.
Angesichts der derzeitigen und durch das Wahlergebnis vorgegebenen Machtverhältnisse in Berlin kann von einer sauberen Neuinstallation eigentlich gar nicht erst die Rede sein. Stattdessen wurden gewissermaßen nur ein paar Updates und Patches eingespielt, die aufgrund der geforderten Abwärtskompatibilität wohl kaum dazu in der Lage sind, wirkliche Verbesserungen für die Leistungsfähigkeit des Systems zu bringen. Viel wahrscheinlicher ist, dass allenfalls die gröbsten Fehler damit geflickt werden. Man kann nur hoffen, dass durch solche mit heißer Nadel gestrickten „Hot Fixes“ nicht wieder neue Bugs eingeschleust werden. Ein solches Update beschäftigt derzeit auch verstärkt die Reifenbranche: die eigentlich noch für dieses Jahr geplante Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO). Derzeit wird allgemein davon ausgegangen, dass der Bundesrat die Änderungen in seiner Sitzung am 16. Dezember abnicken wird. Und auch wenn das Ganze wie die Umsetzung der ECE-Regelungen 108/109 runderneuerte Pkw- bzw. Lkw-Reifen betreffend noch auf sich warten lassen sollte, wird die im Zuge der Neufassung der StVO erhoffte Konkretisierung in Bezug auf die Bereifung bei winterlichen Straßenverhältnissen von der Branche weitgehend begrüßt. Aber ist damit wirklich der große Wurf gelungen?
Gefordert wird in der neuen StVO, dass bei Kraftfahrzeugen „die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen“ ist. „Hierzu gehört insbesondere eine geeignete Bereifung und Frostschutz in der Scheibenwaschanlage“, heißt es weiter. Nirgendwo wird dem Autofahrer gesagt, was eine „geeignete Bereifung“ für die jeweiligen Wetterverhältnisse ist. In der Branche versteht man darunter Winterreifen in der kalten Jahreszeit. Warum hat der Gesetzgeber das dann aber nicht gleich so festgeschrieben? Vorgebracht wird von den hinter der Neufassung stehenden Bürokraten, dass es ja keine eindeutige Definition eines Winterreifens gebe. Das stimmt so nur zur Hälfte, denn Industrie und Handel verstehen darunter einen Reifen mit Schneeflockensymbol auf der Seitenwand – zumindest sollte es so sein. Durch den „Gummiparagrafen“ wird das Ganze aber zur Auslegungssache. Eine eindeutige Orientierungshilfe wird dem Verbraucher nicht an die Hand gegeben.
Letzten Endes läuft die Neufassung der StVO in ihrer derzeitigen Form zunächst also wahrscheinlich auf eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für bundesdeutsche Gerichte hinaus. Denn es wird so manchen Autofahrer geben, der sein Auto auf Schnee und Eis mit M+S-Reifen der Situation angepasst empfindet und die Regulierung eines daraus möglicherweise resultierenden Unfallschadens bei seiner Versicherung einklagen will oder schlicht nicht gewillt ist, ein von einem Polizeibeamten verhängtes Bußgeld für nicht angepasste Bereifung zu akzeptieren. Dies unterstellt natürlich unter anderem, dass jemand den ausführenden Beamten sagt, woran man einen „richtigen“ Winterreifen erkennt. Und wie ist es im umgekehrten Fall? Die Zahl derjenigen Autofahrer, die ihre Winterreifen auch im heißesten Sommer aufgezogen lassen, ist schließlich zunehmend. Insofern wäre auch denkbar, dass dies von Behörden oder Versicherungen als den Witterungsverhältnissen nicht angepasst eingestuft wird. Alles in allem kann also festgestellt werden, dass die Neufassung der StVO dem Ziel einer Präzisierung des bisherigen Regelwerkes eigentlich nicht gerecht wird.
Trotzdem oder gerade deswegen verbreiten so manche Medien Schlagzeilen wie „Die Winterreifenpflicht kommt“ – offensichtlich aufgrund mangelnden Wissens sowie wegen der schwammigen und zu eigenen Interpretationen geradezu einladenden Formulierung des entsprechenden Paragrafen. Man kann nur hoffen, dass daraus nicht eine Verunsicherung der Verbraucher in Bezug auf die Winterbereifung resultiert. Denn nichts anderes als ein ewiges Hin und Her – Mehrwertsteuererhöhung erst nein, dann zwei Prozent rauf, dann wieder gar nicht und schließlich plus drei Prozentpunkte ab 2007 – fördert Phänomene wie die zunehmende Politikverdrossenheit oder zu beobachtende Konsumzurückhaltung der Deutschen. Und dann war da noch jener Spiegel-Beitrag, in dem von der „Sieben-Grad-Lüge“ der Reifenhersteller die Rede war. Angeblich deshalb, weil auch unterhalb dieser Temperaturschwelle ein Sommerreifen unter bestimmten Umständen bessere Bremswerte auf trockener Fahrbahn liefere. Mag sein, aber so ist die „an die Witterung angepasste Bereifung“ eines Kraftfahrzeugs dann wohl schon allein aus praktischen Gründen nicht zu verstehen. Wer kann schließlich je nach Wetterlage – trocken, nass, Schneematsch, festgefahrene Schneedecke, Tiefschnee, vereiste Fahrbahn etc. – schnell die Boxengasse ansteuern, um den gerade passenden Reifensatz aufzuziehen?
Nichtsdestotrotz ist der bisherige Verlauf der damit losgetretenen Sieben-Grad-Diskussion, welche die Branche in den zurückliegenden Wochen stark beschäftigt hat, etwas enttäuschend. Denn keiner der etablierten Reifenhersteller und keine der anerkannten Institutionen ist den Behauptungen des Spiegel-Autors mit entsprechend umfangreichem, auf Messungen beruhenden Zahlenmaterial und Fakten entgegengetreten. Nur hier und da wurde und wird mal eine Einzelmessung präsentiert und zum Vergleich mit den ebenfalls nicht viel umfangreicheren vom Spiegel publizierten Zahlen herangezogen. Und selbst dann stellt man fest, dass dabei des Öfteren Äpfel mit Birnen verglichen werden. Mal stimmen die Messmethoden nicht überein (Bremsweg von 100 km/h bis zum Stillstand gegenüber dem Abbremsen von 90 km/h bis hinunter auf 20 km/h), ein anderes Mal die Temperaturen nicht usw. Für mit Hightech-Produkten wie Reifen befasste Unternehmen, die ansonsten üblicherweise Verbesserungen beim Handling, dem Bremsweg oder irgendeinem anderen Leistungsparameter eines neuen Reifens marketingwirksam mit Messungen und anschaulichen Diagrammen untermauern können, eigentlich keine besonders berauschende Vorstellung. Oder?
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