Keine Rede mehr von Winterreifenpflicht
Zwar ist die Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) noch keine beschlossene Sache, dennoch zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die Reifenbranche – bei günstiger Auslegung der Neufassung – nicht das erwarten darf, was zu Beginn der Diskussion einmal angenommen wurde. Hatten ursprünglich viele Reifenhändler und Hersteller darauf gehofft, man werde sich zu einer Art Winterreifenpflicht in Deutschland durchringen können, so liegt der Entwurf nun endgültig zur Beschlussfassung auf dem Tisch. Darin wird das Wort Reifen nicht einmal erwähnt. Noch in diesem Herbst könnte die geänderte StVO in Kraft treten.
Beinahe während der gesamten vergangenen Wintersaison dominierte das Thema Winterreifenpflicht die Schlagzeilen. Davon ist heuer allerdings nicht mehr viel übrig geblieben. Nachdem spätestens zu Beginn des Jahres deutlich wurde, dass sich eine Winterreifenpflicht in Deutschland politisch nicht durchsetzen lassen würde, stattdessen die „weichen“ und auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung angepasst werden sollen, hat sich nun allgemein Ernüchterung breit gemacht. Insgeheim hatten Branchenvertreter immer noch auf eine Wende gehofft – die aber wohl nie realistisch war.
Stattdessen müssen Industrie und Handel nun weiterhin harte Überzeugungsarbeit – wie etwa im Rahmen der Initiative PRO Winterreifen – leisten, um die Umrüstquote noch weiter in die Höhe zu treiben. Eine Pflicht wird es in naher Zukunft nicht allgemein für den deutschen Reifenmarkt geben. Das bestätigte nun noch einmal ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums in Berlin. Das Bundeskabinett habe dem Entwurf der neugefassten StVO bereits zugestimmt, so der Sprecher weiter, nachdem die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren den Entwurf vorbereitet hatte. Es liege jetzt beim Bundesrat darüber zu entscheiden, ob und wann die Straßenverkehrsordnung in ihrer neuen Fassung in Kraft tritt. Wegen der Bundestagwahlen könne sich dies zwar ein wenig verzögern, der Ministeriumssprecher rechnet dennoch damit, dass noch in diesem Herbst die Revision der Verordnung in Kraft treten kann, die insgesamt in Berlin als „sachbezogene Entscheidung“ und nicht als „Politikum“ gesehen wird. Was bringt die neue Straßenverkehrsordnung nun genau?
Die alte StVO sah unter dem §2 Absatz 3a („Straßenbenutzung durch Fahrzeuge“) folgendes vor:
„Beträgt die Sichtweite durch Nebel, Schneefall oder Regen weniger als 50 m, müssen sich die Führer kennzeichnungspflichtiger Kraftfahrzeuge mit gefährlichen Gütern so verhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist; wenn nötig, ist der nächste geeignete Platz zum Parken aufzusuchen. Gleiches gilt bei Schneeglätte oder Glatteis.“
In der Neufassung lautet dieser Absatz nun wie folgt, sollte die StVO denn geändert werden:
„Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Wer ein kennzeichnungspflichtiges Fahrzeug mit gefährlichen Gütern fährt, muss bei einer Sichtweite unter 50 m, bei Schneeglätte oder Glatteis jede Gefährdung anderer ausschließen und wenn nötig den nächst geeigneten Platz zum Parken aufsuchen.“
Bestärkt wird die Forderung nach einer allgemeinen Anpassung der Ausrüstung durch die Aufnahme in den Bußgeldkatalog. Laut Bundesverkehrsministerium sollen künftig 20 Euro fällig werden, wenn jemand gegen die Anpassungspflicht verstößt. 40 Euro muss bezahlen, wer hier wiederholt verhaltensauffällig wird. Von einer notwendigen Verkehrsbehinderung ist nicht mehr die Rede, damit das erhöhte Bußgeld fällig wird. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich an dieser Interpretation bisher nichts geändert hat.
Es lässt sich in diesem Zusammenhang zwar von einer gewissen Pflicht sprechen, allerdings beinhaltet die Pflicht nicht das Montieren von Winterreifen sondern lediglich die Anpassung der Ausrüstung an bestimmte Wetterverhältnisse. Was dies im Detail bedeutet, muss im Einzelfall – also i.d.R. nach einem Schadensfall – geklärt werden. Natürlich sei man auch im Ministerium dafür, dass jeder Autofahrer mit Winterreifen unterwegs ist, wenn dies denn der Verkehrssicherheit diene, aber als eine Ausrüstungs- bzw. Winterreifenpflicht könne die Neufassung der Straßenverkehrsordnung nicht interpretiert werden. Darüber hinaus sei dies auch äußerst schwer in die Praxis umzusetzen gewesen, betont der Ministeriumssprecher weiter. Eine Winterreifenpflicht ohne flächendeckende Überprüfungen wäre sogar eine „Luftblase“ gewesen.
Der genaue Wortlaut des neugefassten §2 Absatz 3a der StVO hätte allgemeiner formuliert nicht sein können. In ihm scheint der Versuch zum Ausdruck zu kommen, etwas zu ändern, der Änderung wegen. Ob sich dadurch viele Autofahrer überzeugen lassen, doch im Winter auf Winterreifen umzurüsten, muss sich erst noch zeigen. Wenigstens sind Autofahrer nun nicht mehr quasi explizit ausgenommen, wie dies noch in der aktuelle gültigen Version der StVO der Fall ist („kennzeichnungspflichtiges Fahrzeug mit gefährlichen Gütern“). Das Risiko jedenfalls, ist nun „das Risiko eines jeden einzelnen“, heißt es dazu aus Berlin. Wann aber genau ein Autofahrer ein Risiko eingeht, müssen in Zukunft die Behörden und Gerichte entscheiden. Schon allein die Frage, wann die Ausrüstung eines Fahrzeugs der Witterung entsprechend angepasst ist, kann nur mit zahllosen „Wenns“ und „Abers“ beantwortet werden.
Dennoch: Die moralische Aufforderung, der sich ja auch die Initiative PRO Winterreifen verschrieben hat, ist deutlich. Es gibt die Verantwortung eines jeden einzelnen Verkehrsteilnehmers für die Sicherheit aller im Straßenverkehr, so lässt sich die neugefasste StVO gerade im Hinblick auf Pkw-Fahrer interpretieren. „Eine prinzipielle neue rechtliche Situation zur Verwendung von Winterreifen wird dadurch jedoch nicht geschaffen“, kommentiert auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) den aktuellen Stand der Dinge. „Wie die Leitsätze der Straßenverkehrsordnung in einzelnen Fällen zu interpretieren sind, kann von Seiten des Bundesverkehrsministeriums nicht vorweg genommen werden. Darüber hinaus obliegt es den zuständigen Behörden, die ihnen im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten gegebenen Maßnahmen zur Verkehrssicherheit bei schlechten Witterungsverhältnissen durchzuführen“, so der DVR weiter. Spätestens in der kommenden Winterreifensaison werden die Marktteilnehmer erfahren, ob sich Aufforderungen wie die der neugefassten Straßenverkehrsordnung auch in absoluten Absatzzahlen widerspiegeln.
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