Gewinne als Nachteil der Industrie?
Die Absatzentwicklung auf dem deutschen Reifenmarkt im vergangenen Jahr kann bestenfalls als „ausgeglichen“ bezeichnet werden. Es wurden nicht mehr Pkw-Reifen verkauft, der Absatz an Lkw-Reifen ging um 4,3 Prozent zurück – auch andere Märkte schrumpften, so der BRV. Auch für 2005 ist der Handel „zunehmend verhaltener in seiner Einschätzung“, urteilt die MMS in ihrer Jahresumfrage. Auch für Westeuropa kann Europool keine Absatzsprünge melden: Es wurden 2,1 Prozent mehr Pkw-Reifen an den Handel verkauft als noch ein Jahr zuvor, aber 0,6 Prozent weniger Lkw-Reifen. Ein Blick auf die Umsatz- und Gewinnsituation zeigt allerdings, dass sich die Industrie im vergangenen Jahr weitestgehend prächtig entwickelt hat. Selbst dreistellige Steigerungen beim Nettogewinn sind nicht ungewöhnlich.
Ein Blick auf die Umsätze der zehn größten Reifenhersteller zeigt eines ganz deutlich: Unternehmen sind heute in der Lage, trotz steigender Rohstoff- und Energiekosten mehr umzusetzen. Preissteigerungen, verbesserter Produktmix, größere Absätze – all das sind Parameter einer gesunden Branche. Viel eindrücklicher allerdings als die Umsatzsteigerungen ist die zunehmende Profitabilität der meisten Reifenhersteller weltweit. Beinahe alle Reifenhersteller konnten im zurückliegenden Jahr auch ihre operativen Gewinne steigern, teilweise sogar beträchtlich, wie Titan International oder Kumho als positive Beispiele zeigen. Auch Goodyear gehört zu den Unternehmen, die endlich wieder schwarze Zahlen schreiben, sowohl beim Betriebseinkommen (operating income) als auch beim Nettogewinn. Aber auch bei anderen Herstellern, die im vergangenen Jahr nur einen Nettoverlust vorzuweisen hatten, hat sich die Situation im Laufe des vergangenen Jahres stark verbessert. Auch der italienische Reifenhersteller Pirelli hat es wieder in die Gewinnzone geschafft und konnte am Ende des vergangenen Jahres immerhin 217 Millionen Euro als Nettogewinn verbuchen.
Ob sich diese Erfolgsgeschichten im laufenden Jahr wiederholen lassen, ob sogar noch weitere hinzukommen – all das ist derzeit nicht 100-prozentig gewiss. Es weiß derzeit keiner genau, wie es etwa mit dem Großkunden General Motors weitergeht. Auch der Konkurs des britischen Traditionsunternehmens Rover zeigt, dass die Branche vor relativ unerwarteten Zwischenfällen mit teilweise fatalen Folgen für Zulieferer nicht gefeit ist.
Und es könnten gerade die äußerst positiven Ergebnisse sein, die sich für die Zulieferer letzten Endes noch als ‚Nachteil‘ erweisen können. Die Chefeinkäufer der großen, deutlich ertragsschwächeren Kunden aus der Automobilindustrie könnten auf die Idee kommen, auf die Rekordergebnisse ihrer Lieferanten zu reagieren und auf niedrigere Preise zu drängen. Aber selbst wenn, ein Wachstum wie in 2004 wird dabei nicht auf der Strecke bleiben.
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