Alles „Exelero“ bei Fulda
Auf einer großen Händlertagung in Berlin am Pfingstwochenende hat Fulda Reifen nicht nur den versammelten ca. 450 Gästen aus dem europäischen Reifenfachhandel den Hochleistungsreifen namens Carat Exelero vorgestellt, obwohl den die meisten Reifenhändler längst kennen, verkaufen sie ihn doch seit Beginn der Umrüstsaison. Die Fulda-Mannschaft hat darüber hinaus den Gästen ein abwechslungsreiches Programm geboten mit Marktinformationen und fahrpraktischen Schulungen auf einem nahen Verkehrssicherheitszentrum. Überragt allerdings wurde die Veranstaltung von einem ganz ungewöhnlichen Auto, das seit Tagen durch die Presse geht: den „Maybach Exelero“. Dieses Unikat entstand auf Intention des Reifenherstellers Fulda, ist straßenzugelassen, dürfte aber kaum einmal irgendwo im öffentlichen Straßenverkehr gesichtet werden. Bereift ist das mehr als 350 km/h schnelle Superauto mit Fulda-Reifen der Größe 315/25 ZR23 102Y XL – und auf denen steht der gleiche Name wie auf dem Auto: Exelero.
Fulda-Händlertagung: „Das Projekt“
Natürlich ist die Händlertagung selbst nicht „Das Projekt“, denn darin ist Fulda seit vielen Jahren erfahren und routiniert, um das Gelingen solch eines Zusammentreffens der Kundschaft zu gewährleisten. Doch wer geglaubt hätte, auch die diesjährige Händlertagung würde in den gewohnten Bahnen – will sagen nach bekanntem Strickmuster – ablaufen, der sah sich getäuscht. Denn neben den üblichen und durchaus nützlichen Informationen, Ideen und der Präsentation der bewährten Konzepte, mit denen Fulda das Tagesgeschäft der Reifenhändler tatkräftig unterstützt, gab es dieses ungewöhnliche Automobil. Nein, eigentlich nicht „neben“ dem Standardprogramm, sondern darüber angesiedelt: Das „Fulda Maybach Concept Car Exelero“ war der uneingeschränkte Star der Veranstaltung (siehe weiter hinten). Auf Nachfrage bestätigten denn auch Teilnehmer der Veranstaltung, dass sie möglicherweise gar nicht (zumal Pfingsten war) nach Berlin gekommen wären, hätte sie nicht die einmalige Chance der Begegnung mit diesem automobilen Großereignis gelockt. Ein Beweis dafür, dass auch die Reifenhändler des Jahres 2005 so „Auto-affin“, ja autobegeistert sind, wie es für ein Bestehen in dieser Branche eine Grundvoraussetzung ist.
Vor dem „Vergnügen Fulda Maybach Exelero“ hat der Reifenhersteller „die Pflicht“ gestellt in Form des Tagungsprogrammes – und die Reifenhändler, die alljährlich Gast der Veranstaltung sind, zeigten sich am Veranstaltungsort „Tempodrom“ äußerst angetan davon, in welch aufgelockerter Atmosphäre die für manch einen früher als „schwer verdaulich“ empfundene Materie dargebracht wurde. Womit beiläufig dokumentiert sei, dass der Reifenhersteller, der sich als eine starke europäische Marke im Goodyear-Konzern etabliert hat, weiterentwickelt. Zahlen belegen das: Am Standort Fulda in Hessen, wo ca. 1.700 Mitarbeiter für die „Schwarz.Breit.Stark“-Marke arbeiten, wurden im letzten Jahr mehr als sieben Millionen Reifen produziert, überwiegend Spezialreifen und moderne Konstruktionen im UHP-, SUV- und RunOnFlat-Segment für die Konzernmarken. Denn natürlich bezieht Fulda auch Reifen aus anderen Konzernwerken wie für andere Marken in der Stadt mit dem Namen Fulda produziert wird. Ca. neun Millionen Reifen mit der Aufschrift Fulda auf der Seitenwand wurden in 2004 europaweit verkauft, davon fünf Millionen Stück in Deutschland. Damit hätte Fulda einen Marktanteil im deutschen Ersatzmarkt – in der Erstausrüstung ist Fulda praktisch nicht präsent – von um die zehn Prozent.
Der Sprecher der Fulda-Geschäftsführung Bernd Joachim Hoffmann (56) konnte Reifenhändler aus vielen Märkten Europas begrüßen, so Kunden aus Belgien, Luxemburg, Griechenland, Spanien, Italien, Schweiz, Tschechien, Bulgarien usw.: Fulda ist eine europäische Marke mit starker Verankerung im Heimatmarkt Deutschland. Er selber sei im Markt wie im Konzern ein „Prediger der Differenzierung“. Differenzierung ist für Hoffmann ein Schlüsselwort, aber er pflegt auch Kontinuität. Vor allem in der Beziehung zu den Kunden: Permanente Jobrotationen lehnt er konsequent ab, was auch am Außendienst Fuldas abzulesen ist. Die enge Beziehung der Fulda-Verantwortlichen in der jeweiligen Region ist eine Stärke der Marke. Ein anderer Begriff, der Hoffmann wichtig ist, lautet „Tradition“: Der Fulda Maybach Exelero mag ein ganz außergewöhnliches „Concept Car“ sein, es steht aber in der Tradition vieler ungewöhnlicher „Referenzfahrzeuge“, die im Namen der Marke kreiert worden sind – im Nutzfahrzeug- wie im Pkw-Segment. Auch der Slogen „Schwarz.Breit.Stark“ steht nicht in dem Verdacht, die Eintagsfliege von vermeintlichen Marketinggurus zu sein: Diese Werbebotschaft Fuldas geht ins 19. Jahr, „jetzt wirkt’s“, so Hoffmann. Und wohl kaum einer hat sich im Reifenmarkt so intensiv mit dem Thema „Pricing“ beschäftigt wie der Fulda-Chef. Und das spiegelt sich in der Positionierung der Marke wider: Der Verbraucher möchte für wenig Geld möglichst viel Leistung. Und so haben Untersuchungen ergeben, dass bei Fulda das Kriterium gutes „Preis-Leistungs-Verhältnis“ deutlich ausgeprägter ist als bei allen Wettbewerbern. Wobei – und das ist wichtig – es weniger um ein „objektives“ Preis-Leistungs-Verhältnis geht als vielmehr um ein „subjektives“. Fulda hat es verstanden, scheinbar widersprüchliche Kaufkriterien wie Emotion (z. B. durch Events oder Concept Cars) und Sicherheit (TÜV-getestet, Kachelmanns Wettervorhersage), aber auch Wirtschaftlichkeit beim Verbraucher miteinander zu verknüpfen, dass Händler (die die Kaufentscheidung des Konsumenten maßgeblich beeinflussen) Fulda wegen der erzielbaren Marge gerne verkaufen, ist ohnehin bekannt.
So sehr Hoffmann um Kontinuität in seinem Personal bemüht ist, so musste er doch auf der Berliner Händlertagung seinen „2. Mann“ verabschieden: Marketing- und Verkaufsdirektor Michael Kurt Kuhn (42) hat nach zwölf Jahren Karriere im Hause Fulda (auch gefördert von Hoffmann) neue Aufgaben im Konzern übertragen bekommen. Den Nachfolger nannte Hoffmann noch nicht, er stamme aber aus der Rhön. Mit salbungsvollen Worten mochte sich Kuhn von „seinen“ Fulda-Händlern nicht verabschieden, vielmehr hielt er ihnen ungeschminkt vor, dass sie im Reifengeschäft gegenüber freien und Vertragswerkstätten sowie so genannten Fast-Fittern die Verlierer im Markt seien. Kuhn warb noch einmal für Vertrauen in die Marke Fulda und ließ dabei natürlich die persönliche Ansprache nicht unerwähnt, die nicht nur in der Beziehung Händler/Verbraucher, sondern auch in der Beziehung Industrie/Handel von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Marketingleiter Helge Jost zieht auf Veranstaltungen wie der Händlertagung die Strippen. Er ist ebenso um Differenzierung bemüht wie die gesamte Fulda-Spitze, ein Beispiel: Das Umweltkriterium gilt heutzutage gemeinhin als nur äußerst schwaches Kaufargument für Reifen. Und weil alle Reifenhersteller unisono so zu denken scheinen, macht sich Fulda um so intensiver über diesen Aspekt Gedanken. Jost: Wir denken „antizyklisch“. Beim Produkt Carat Exelero setzt Fulda die Serie der schwarzen Tiermotive als Werbeträger gezielt fort und hat sich für den Panther entschieden: Der zeigt Zähne, „und das soll er auch“, so Jost. Fulda ist nicht die brave, liebe Marke im Markt, sondern offensiv, ja geradezu aggressiv. Das setzt sich bei allen Maßnahmen fort, selbst auf Messeständen: Die sind in der Fulda-Philosophie keine Areale der Selbstdarstellung, sondern „Vorverkaufsstellen“ im Bemühen um den Endverbraucher.
Natürlich hatte Fulda auch wieder ein Beiprogramm mit Künstlern arrangiert, die zu beeindrucken wussten, gab es ein „praktisches“ Programm im Fahrsicherheitszentrum Berlin-Brandenburg zu bewältigen, bei dem einige sogar mit der DTM-Legende Klaus Ludwig (55)zwei Runden im Fulda Maybach Exelero mitfahren durften. Wobei die Nähe von Prominenten ein Bestandteil der Fulda-Strategie ist, die Marke zu stärken. Als „Markenbotschafter“ waren außer Ludwig auch Hans-Joachim Stuck und Isolde Holderied auf dem Verkehrssicherheitszentrum in die Rolle von Instruktoren geschlüpft. Den Status eines Markenbotschafters haben auch Persönlichkeiten wie Markus Wasmeier, Jörg Kachelmann oder Joey Kelly – und seit Pfingsten der „Fulda Maybach Exelero“.
Weltpremiere eines Unikats
Was der „Fulda Maybach Exelero“ bis jetzt gekostet haben mag, weiß auch Jost auf Anfrage noch nicht genau zu beziffern. Die Zeitschrift „auto motor und sport“, die wie fast alle das ganze Projekt begierig aufgegriffen hat und so für Publicity sorgt, nennt allein für das Haus DaimlerChrysler Entwicklungskosten von fast zehn Millionen Euro. Wobei das Fahrzeug bei Maybach (zum Beispiel auf der nächsten IAA) schon mal als Ausstellungsstück auf Messen dienen kann. Aber eben nicht als „Basis“ für ein dritte Baureihe. Denn die heißt neben 57 (der Selbstfahrer-Maybach mit der Fahrzeuglänge 5,70 Meter) und 62 (der Chauffeur-Maybach mit der Fahrzeuglänge 6,20 Meter) seit dem Genfer Automobilsalon 57 S (= Spezial) und zeichnet sich durch Leistungssteigerung und zusätzliche Individualisierung aus. Wobei: Eigentlich hat jeder der Maybach-Kunden (deren Zahl mit den beiden vorhandenen Baureihen jährlich im dreistelligen Bereich ist) so seine Sonderwünsche, so dass eigentlich jeder Maybach ein Unikat ist. Der Vollständigkeit halber sei die Bereifung des 57 S genannt: Michelin Pilot Sport im Format 275/45 R20 auf speziell entwickelten Elf-Speichen-Leichtmetallfelgen in 8,5×20“ (ET 67).
Die Maße der Fulda-Reifens auf dem in Berlin präsentierten Maybach allerdings bewegen sich mit 315/25 ZR23 102Y XL in einer ganz anderen Dimension. Wobei darauf hinzuweisen ist, dass dies keine „Phantasiegröße“ ist: Der Reifen eignet sich sehr wohl als „Aufrüstgröße“ für die ganz großen SUVs und Luxuslimousinen.
Das Projekt Exelero ist eine Neuinterpretation von Automobil- und Reifentechnologie der Ultra-High-Performance-Partner Maybach und Fulda. Man stelle sich ein Automobil vor, das die Eleganz und die erstklassige Qualität einer High-End-Limousine mit der kraftvollen Geschmeidigkeit eines Sportcoupés vereint, kreiere vor dem geistigen Auge ein Fahrzeug, das bei einem Leergewicht von über 2,66 Tonnen und mit den Ausmaßen eines Kleintransporters eine Höchstgeschwindigkeit von über 350 km/h erreicht, konzipiere einen Ultra-High-Performance-Reifen, der das vorgenannte Gewicht, die Maße und die Geschwindigkeit nicht nur verkraftet, sondern dem Automobil darüber hinaus auch noch Sicherheit, Stabilität und Komfort verleiht. Solch ein Fahrzeug und solche Reifen gibt es nicht? Jetzt schon.
Seit rund hundert Jahren baut Fulda Autoreifen und wirbt die Marke für ihre Produkte mit Luxusbussen, Werbefahrzeugen mit Spezialaufbauten, Hochgeschwindigkeitsbussen für Reifentests, Serien von Showtrucks, Rennsportboliden und – in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts etwas ganz Besonderes – einem Stromlinienwagen der Firma Maybach, der Reifentests mit einer Geschwindigkeit von über 200 km/h durchführen konnte. Leider nicht allzu lange, da der 1938 konzipierte und 1939 ausgelieferte Versuchswagen während der Kriegsjahre verschwand und bis heute nicht mehr auftauchte.
66 Jahre später: Fulda bringt einen neuen anspruchsvollen Hightech-Reifen auf den Markt. Für die extremste Dimension dieser Reifenlinie 315/25 ZR23, freigegeben für Geschwindigkeiten über 350 km/h – wohlgemerkt als Serienreifen, kein Rennreifen –, benötigt man ein High-Speed-Fahrzeug, aber keinen Rennwagen. Andere bauen Reifen für Fahrzeuge; bei Fulda keimte der Gedanke, ein Auto für einen Reifen zu bauen (das ist auch eine Form der Differenzierung). Vor einigen Jahren wurde eine der exklusivsten deutschen Automobilmarken revitalisiert, warum nicht wieder wie damals ein Projekt gemeinsam erarbeiten?
Der Kontakt wurde aufgenommen und – dank René Staud, Weltklasse-Fotograf von Automobilen und ausgezeichneter „Netzwerker“ von DaimlerChrysler und Fulda Reifen – zielgerichtet und effektiv eingefädelt. Nach einigen abstimmenden Gesprächen mit Leon Hustinx, Maybach-Direktor Verkauf und Marketing, war man sich einig: Maybach baut für Fulda ein Automobil. Ziel: das Fahrzeug als ausdrucksstarken Botschafter der neuen Ultra-High-Performance-Reifengeneration Exelero zu positionieren.
Unverzichtbare Helfer im Boot der Projektpartner: Zwei Professoren und vier Studenten der Fachhochschule Pforzheim, Spezialbereich Transportation Design. Gemeinsam mit den Designprofis von DaimlerChrysler unter der Leitung von Professor Harald Leschke ging das Team ans Werk. Ein dreiviertel Jahr später stand in der Reihe vielversprechender Design-Vorschläge der zu realisierende Entwurf des Studenten Fredrik Burchhardt fest. Ihm ist die eleganteste Symbiose der Formen-Verwandtschaft vergangener und jetziger Fahrzeuggenerationen gelungen.
Drei Modellbauphasen in der Fertigung eines Sonderfahrzeugs sind im Entstehungsprozess ausschlaggebend: das Exterieur Design Referenzmodell (zur Erstellung der Negativformen), das Interieur Referenzmodell und das fahrbereite Fahrwerk mit Hilfsrahmen. Aufgrund detaillierter und enger zeitlicher Vorgaben wurden alle drei Phasen zeitgleich realisiert. Der bekannte italienische Fahrzeugstudienhersteller Stola in Turin wurde von DaimlerChrysler beauftragt, den Aufbau des Exelero vorzunehmen.
Das Sportcoupé erhielt jetzt auch seinen endgültigen Projekt-Namen: Maybach Exelero. Am 31.5.2004 waren dann diese drei Phasen abgeschlossen. Die Maße des Maybach SW 38 aus den Vorkriegsjahren unterschieden sich zwar in der Länge (der Maybach 57 hat einen 290 Millimeter längeren Radstand), aber in der Breite und der Höhe stimmten sie weitgehend überein. Das vereinfachte eine Reihe von baulichen Maßnahmen. Bei den Motoren-Überlegungen wurde rasch klar, dass das Basis-Zwölfzylinder-Triebwerk, wie es in den Maybach-Limousinen zum Einsatz kommt, trotz Biturbo-Aufladung nicht die angepeilten rund 350 km/h Höchstgeschwindigkeit erreichen würde. Hier sprang die Mercedes Car Group ein. Nach mehrmaliger Optimierung des Maybach Typ 12-Motors wurden der Hubraum vom 5,6 auf 5,9 Liter erhöht und die Turboaufladung optimiert.
Die abschließenden Testmessungen Ende April/Anfang Mai 2005 im Hochgeschwindigkeits-Motodrom Nardo (Sizilien) brachten dann den Erfolg der vielen Mühen: 351,45 km/h Spitzengeschwindigkeit – Weltrekord für Limousinen – auf Serienreifen in dieser Kategorie, gefahren von Klaus Ludwig. Und ein zweiter Weltrekord kam hinzu: Zwischen der Fulda-Idee, der Kooperation aller Beteiligten und der Auslieferung des Maybach Exelero Sportcoupés vergingen gerade einmal 25 Monate. Und doch zu spät, um die Händlertagung bereits wie gewohnt zum Beginn des Frühjahrsgeschäfts im Februar/März durchzuführen. Die Verzögerung hat sich gelohnt.
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