„Ein zusätzliches Verkaufsargument“
Der französische Reifenhersteller Kleber hat Anfang Juni einen neuen Reifen auf den deutschen Markt gebracht, der durch eine spezielle Hightech-Schutzschicht Schäden an der Lauffläche selbsttätig verschließt. Nägel, Schrauben oder Scherben können künftig in den meisten Fällen Kleber-Reifen, die die so genannte Protectis-Technologie enthalten, nichts mehr anhaben. Denn das neuartige System schützt die gesamte Reifenlauffläche gegen Löcher durch eingefahrene Gegenstände – also gegen rund 90 Prozent aller Schäden, die zu einem Plattfuß führen können, verspricht der französische Reifenhersteller anlässlich der Produktvorstellung in Frankfurt am Main.
Die Ingenieure des Reifenherstellers seien bei der Entwicklung der neuen Technologie einen ebenso simplen wie genialen Weg gegangen, denn Protectis verhindere einen Plattfuß, bevor er entstehen kann. Im Inneren des Reifens schützt eine 3,6 Millimeter dünne, nicht-vulkanisierte, hoch-elastische Polymerschicht die Lauffläche vor eindringenden Gegenständen – bis zu einem Durchmesser von 4,7 Millimetern. Untersuchungen haben ergeben, dass bei 97 Prozent aller Einfahrverletzungen Gegenstände mit einem Durchmesser von bis zu 4,7 Millimetern die Ursache seien, erläutert Helge Hoffmann, der bei Michelin für Test und Technik Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich zeichnet, anlässlich der Produktpräsentation. Das Prinzip ist simpel: Die Polymer-Schicht umschließt den Fremdkörper, die Luft bleibt im Reifen. Wird später beispielsweise ein Nagel aus der Lauffläche entfernt, zieht sich die Schutzschicht gleichzeitig zusammen und verschließt so das Loch in der Lauffläche dauerhaft und luftdicht, wie die Teilnehmer der Produktpräsentation selbst erleben durften. Auch bei längeren Nägeln gebe es „keine Probleme“, sagt Hoffmann. Es sei im Prinzip egal, wie lang der Nagel oder die Schraube ist: Protectis schließe das Loch, selbst wenn das Polymer komplett durchstochen ist.
Die Protectis-Schutzschicht, die im Übrigen für die gängigen Größen und Kleber-Profile zu haben ist (siehe unten), wurde ursprünglich von Uniroyal in den Vereinigten Staaten entwickelt und dort bereits seit 1998 auch vermarktet. In den Vereinigten Staaten gehört die Marke Uniroyal – anders als in Europa – zum Michelin-Konzern. Bereits im ersten Jahr nach der Markteinführung habe man in den USA eine halbe Million Protectis-Reifen verkauft, Absatzzahlen, die auch in den Folgejahren erreicht werden konnten, hieß es in Frankfurt. Auf dem wichtigen nordamerikanischen Reifenmarkt wurde die Protectis-Sicherheitstechnologie also erfolgreich eingeführt – allerdings unter dem Namen „Nailgard“. Im vergangenen Jahr folgten dann die Markteinführungen im Mutterland des Michelin-Konzerns sowie in Polen, wo Kleber traditionell einen starken Stand besitzt. In diesem Jahr folgen nun die Märkte Italien sowie die ASA-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz).
Man habe mit der Markteinführung in Deutschland etwas länger warten müssen, da zunächst die Frage nach den entsprechenden Produktionskapazitäten „organisatorisch“ geklärt werden musste, erklärt Florence Hennion, die in der französischen Konzernzentrale in Clermont-Ferrand als Communication Manager für Pkw- und Llkw-Reifen tätig ist. Die Protectis-Schutzschicht wird lediglich im Kleber-Werk in Toul im Nordosten Frankreichs aufgebracht.
Bei der Entwicklung des neuartigen Werkstoffs sei es dem Reifenhersteller gelungen, das Material über einen Temperaturbereich von -35 bis +50 Grad Celsius hochelastisch zu halten. Dadurch kann Kleber Sommer- wie auch Winterreifen gleichermaßen mit der Protectis-Technologie anbieten (siehe Dimensionstabelle). Dies komme der Markteinführung in Deutschland zugute, wo das Umrüstgeschäft vergleichsweise stark ausgeprägt ist. Die Wartung bleibe dabei genauso einfach wie bisher, denn die Pneus können – wie herkömmliche Reifen – wahlweise mit Luft oder Stickstoff befüllt werden.
Ein entscheidender Vorteil der Protectis-Technologie gegenüber herkömmlichen Notlaufsystemen liegt im geringen konstruktiven Aufwand und dem niedrigen Preis. Auf teure und komplexe Reifen-Felgen-Konstruktionen, Notlaufringe oder verstärkte Reifenflanken – wie bei den gängigen Systemen im Markt – verzichte Kleber ganz bewusst: „Statt die Notsituation zu beherrschen, wollen wir mit Protectis verhindern, dass es überhaupt zu einer solchen Notsituation kommt“, erläutert Helge Hoffmann den Kerngedanken der neuen Technologie. Auch für die anderen Marken im Konzern – insbesondere Michelin – sei die patent-geschützte Protectis-Technologie kein Thema, stellt Hoffmann weiter fest: „Michelin hat sich PAX auf die Fahnen geschrieben.“
Das vom Produktionsverfahren her wenig komplexe System Protectis werde den Verkaufspreis der damit ausrüstbaren Kleber-Reifen nur unwesentlich verteuern. „Wir empfehlen dem Handel einen sell-out-Preis von zehn Euro“, erklärt Brand Managerin Anke Schulz, die auf den Endverbraucher zusätzlich zum Preis für seinen Reifen zukommen.
Das Plus an Sicherheit gehe bei Protectis-Reifen nicht zu Lasten der Fahrdynamik, obwohl jedem Reifen ein Mehrgewicht von 800 bis 900 Gramm zur Last fällt. Die Polymerschicht wird einfach während eines zusätzlichen Produktionsschrittes in den Reifen eingebracht und schützt dort die Unterseite der Laufflächen gegen Durchstechen; die Seitenwände werden nicht durch Protectis geschützt, da dies physikalisch nur sehr schwer zu rechtfertigen sei, denn dort wirken andere Kräfte als an der Lauffläche. Bauteile des Reifens, die Kontakt zur Fahrbahn haben, kommen mit Protectis gar nicht in Berührung, Aufbau, Gummimischung und Profil entsprechen den bewährten Kleber-Pneus. So bleiben beispielsweise die „besonders empfehlenswerten“ Eigenschaften des Kleber Viaxer AS im jüngsten Sommerreifentest des ADAC, ÖAMTC und TCS auch bei der Protectis-Variante voll erhalten. Protectis hat sogar vor vier Jahren in den Vereinigten Staaten eine Auszeichnung als eines der „Sieben innovativsten Produkte“ erhalten.
Sollte dennoch ein Kleber-Reifen einmal defekt sein, beispielsweise aufgrund von Vandalismus, springt der Reifenhersteller mit dem kostenlosen Pannen-Service „Kleber-Assistance“ ein. Assistance garantiert den Kunden ab Kaufdatum drei Jahre lang binnen einer Stunde Hilfe. Der Service greift beim Radwechsel oder Abschleppen und ersetzt An- und Abfahrtskosten des Reifendienstes, und das europaweit und auch für die Fahrer von Klebers Protectis-Reifen.
Zur Protectis Einführung in den deutschsprachigen Ländern Europas startet Kleber ab Juni eine Präsentations-Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Allein in Deutschland können sich Händler und Journalisten in 15 verschiedenen Städten selbst von den Fähigkeiten der Protectis-Reifen überzeugen.
Protectis-Reifen gibt es also ab Juni 2004 in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Profilvarianten Dynaxer DR, Dynaxer HP, Viaxer AS und als Winterreifen Krisalp HP. Der Sicherheitsreifen ist zunächst in den 21 gängigsten Dimensionen von 14 bis 16 Zoll erhältlich, zielt also „auf die typischen Kleber-Kunden ab“, so Hoffmann. In Zukunft wolle Kleber das Protectis-Reifenprogramm allerdings weiter ausbauen, um die – so jedenfalls die Hoffnungen – zu erwartende große Nachfrage im großen deutschen Ersatzmarkt bedienen zu können. Insgesamt rechnet man bei Kleber damit, dass 12 bis 15 Prozent derjenigen Reifen, für die Protectis auch angeboten wird, als Protectis-Reifen verkauft werden können. In jedem Fall sei Protectis zusammen mit Kleber-Assistance „ein zusätzliches Verkaufsargument“, mit der der Handel auch einen zusätzlichen Umsatz generieren könne, zeigt sich Brand Managerin Anke Schulz überzeugt.
arno.borchers@reifenpresse.de
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