Scharfer Blick des BRV auf unwesentliche Entwicklungen
Kämpferisch und angriffslustig („heißer Herbst“) hatte BRV-Präsident Seher in Rottach-Egern klingen wollen und die ange-reisten Mitglieder zu überzeugen versucht. Reines Ablassen heißer oder kalter Luft oder reinstem Frust hilft in der Sache selbst kaum; das stand in einem mit Beispielen und Argumenten unterlegten Beitrag in der Juni-Ausgabe der Neue Rei-fenzeitung. Es kam zu schriftlichen wie telefonischen Protesten kämpferisch aufgelegter Reifenhändler, deren Vorwürfe angeblich tendenziöser Berichterstattung vielleicht dem Herrn Präsident sowie wie den Herrn Geschäftsführer bestätigt haben mögen und dennoch ziemlich unberechtigt und in der Sache unverständlich sind. Im Folgenden werden nicht allein die Stil-, sondern auch Sachfragen nochmals erörtert.
Zum Stil
Peter Seher will bekanntlich nicht mehr von Partnerschaften reden, sondern von „Zweckbündnissen mit dem Ziel der Erreichung einer Win-win-Situation.“ Schön, was noch? Eine geschäftliche Partnerschaft oder geschäftliche Beziehung ist nie etwas anderes gewesen. Ein Gewerbe wird angemeldet mit dem Ziel der Gewinnerzielung, anderenfalls würde bloße Liebhaberei betrieben. Die Beziehung zwischen einem Reifenhersteller und einem Reifenhändler ist selbstverständlich nie etwas anderes als ein Zweckbündnis. Zwei Geschäftspartner wollen Geld verdienen. Wenn die zwischenmenschlichen Beziehungen darüber hinaus gut sind, schadet es zwar nicht, doch wenn das Ziel der Erreichung einer „Win-win-Situation“ verfehlt wird, taugt die Beziehung bzw. die Partnerschaft nichts. Warum soll sich ein Reifenhändler mit dem Verkauf einer bestimmten Reifenmarke plagen, wenn nichts für ihn dabei herausspringt oder mit einer anderen Marke bedeutend mehr zu erzielen wäre? Darf dann ein Reifenhersteller in der Auswahl seiner Kunden bzw. Partner nicht auch ebenso wählerisch sein? Aus allem folgt: Die griffige Formulierung von Peter Seher war emotional brauchbar, aber rational ohne größeren Wert.
Private Partnerschaften können anders sein. Männer oder auch Frauen wollen nicht immer nur gewinnen, viele ordnen sich der Einfachheit halber gleich ganz und gar unter. Dass sich manche Politiker zu wiederholten Malen durch Heirat binden, erweckt in nicht wenigen Fällen auch den Eindruck eines Zweckbündnisses zur Erreichung einer Win-win-Situation. Der Zweck scheint die Mittel zu heiligen.
Der Fall Viborg
Die Übernahme von Viborg durch Michelin hat die Gemüter erregt. Peter Seher spricht von „eiskalten Industriestrategien, in der die Gesetze der Rücksichtslosigkeit die Geschehnisse massiv bestimmen.“ Wie die Natur sich kranker Tiere entledi-ge, müsse es auch im Wettbewerb sein. Seher beschuldigt Michelin, wegen angeblicher Subventionierung der nun eige-nen Handelskette dem unabhängigen Reifenfachhandel die Kapitalkraft zur notwendigen Modernisierung zu entziehen., „den Reifenfachhandel an der ausgestreckten Hand verhungern sehen“ zu wollen. Das klingt kernig, ist aber nicht zu Ende gedacht und unterstreicht nur bei einigen Händlern ohnehin vorhandene Vorurteile. Parolen sind allerdings nie so gut und durchschlagend wie Argumente, Es muss stets sorgfältig abgewogen werden. Das war nicht der Fall. So führt ein Leser-briefschreiber (siehe Leserforum) als Beweis für die Behauptungen seines Präsidenten die Viborg-Aktion „Sommerschluss-verkauf, Markenreifen um bis zu 50 Prozent reduziert“ an, so dass eine Fortsetzung der Politik nicht auskömmlicher Preise sich nun zeige. Auch diese Formulierungen fallen unter diese Feststellung: Emotional brauchbar und verständlich, rational wertlos und zudem falsch, denn das Viborg-Management betreibt offensichtlich eine Markenbereinigung und ist gewillt, sich von schwer verkaufbaren Waren zu trennen. Zudem handelt es sich nicht nur in Einzelfällen um vor einigen Jahren produzierte Reifen. Diese wurden auch deutschen Händlern zuvor angeboten, die aber dankend ablehnten. Und so steht in einem Leserbrief: „Wer das macht, will Ladenhüter verscherbeln und Liquidität –nicht Ertrag- machen.“ Warum soll man widersprechen? Der Leserbriefschreiber zieht aus einer richtigen Feststellung nur nicht die richtigen Schlüsse. Ladenhüter müssen weg. Wäre es nicht ganz nett wünschenswert gewesen, die Ladenhüter nicht allein in Deutschland feilzubieten, sondern europaweit einen Absatz zu versuchen? Kann sein, aber warum sollen andere Gesellschaften, die gar nicht erst Ladenhüter haben aufkommen lassen, mit solchen beglückt werden? Was würden die hiesigen Beschwerdeführer wohl sagen, wenn eine Handelstochter ihre in Frankreich oder Spanien eingefangenen Probleme im deutschen Markt abladen würde.
Die oben wiedergegebenen Feststellungen von BRV-Präsident Sehr reduzieren sich somit auf nicht viel mehr als Pole-mik. So müssten doch auch die BRV-Spitzenfunktionäre anerkennen, dass viele Reifenfachhandelsbetriebe in der Vergan-genheit von den so heftig beschimpften „eiskalten Industriestrategen“ zur Vermeidung eines Konkursantrags behutsam, teils über Jahre hinweg, förmlich getragen wurden. Reifenhersteller brauchen Kunden und sie haben in der Vergangenheit vielfach bewiesen bis an den Rand des gerade noch Vertretbaren zu gehen, um diese Kunden gerade nicht am ausge-streckten Arm untergehen sehen zu müssen. Und auch in neuester Zeit zeigt sich, dass der eine und andere Händler sich ausgerechnet mit „eiskalten und rücksichtslosen Industriestrategen“ über hilfreiche Industriemaßnahmen, sei es zur Ret-tung des Unternehmens oder sei es auch nur zur Überbrückung eines Liquiditätsengpasses unterhalten muss. Aus Sicht der Kooperation point-S sowie des Reifenhändlers Herl wäre die Rettung der Junginger-Betriebe durch Pirelli sehr wün-schenswert; ob Eberhard Reiff, der große Wettbewerber im Gebiet dieser Unternehmen, das im konkreten Fall ähnlich sieht, darf aus seiner Sicht verständlichen Gründen bezweifelt werden. Selbst aber in der Natur gibt es nicht nur Jäger, die „angeschlagenes“ Wild gleich erledigen, sondern es gibt wohl auch hegende und pflegende Förster. Die eiskalten Indust-riemanager gehen sogar nach hier vertretener Ansicht in einigen Fällen in der Hege und Pflege zu weit.
Nicht überzeugend auch Peter Sehers Behauptung, dem Handel werde Kapitalkraft zur notwendigen Modernisierung entzogen. Weite Teile des Handels vertrauen seit Jahrzehnten ihren Steuerberatern und ziehen jeden möglichen Euro aus dem geschäftlichen in den privaten Bereich. Da gibt es Immobiliengesellschaften, die zu für sie attraktiven Bedingungen an Reifenhandlungen verpachten, die dem Handelsgeschäft aber gerade die Bildung von Eigenkapital erschweren bzw. un-möglich machen. Läuft dann ein Jahr mal nicht wenigstens gerade noch mit ausgeglichenem Ergebnis, droht die nachhal-tige Schieflage sofort. Der Ruf nach eiskalten und rücksichtslosen Industriestrategen soll aber auch dann Rettung bewirken. Und das funktioniert ja auch ganz gut. Bis jetzt! Und damit dies auch im Sinne der Mitglieder des BRV so bleibt, wäre es mehr als günstig, die Angriffe gegen die geschäftlichen Partner am besten gleich zu unterlassen, ohne deren Hilfe das Überleben gelegentlich in Frage gestellt ist. Und wenn der BRV-Präsident meint, Reifenherstellern vorhalten zu müssen, mit denen er seit vielen Jahren geschäftliche Partnerschaft pflegt, mit denen er heute zusammenarbeitet und auch morgen zusammenarbeiten muss, „sich von Firmenegoismen leiten zu lassen und darüber das Ganze zu vergessen“ und ferner feststellt, die Reifenindustrie könne nicht "„über den Zweijahrestellerrand angeblichen Strategiedenkens schauen“ so ist dies, sarkastisch formuliert, recht tröstlich, denn wenn nur jeder Reifenhändler einen Zeitraum von zwei Jahren fest im Blick hätte, wäre ja schon was gewonnen.
Sternmarkierung
Zum Thema Reifen mit Markierung vermisste Peter Seher in Rottach-Egern eine umfangreiche Information und Diskussi-on mit der Reifenindustrie, die stattdessen „Schlaftabletten“ verteile. Sollten die Antworten auf Verbandsfragen nicht ausrei-chend sein, werde es einen „heißen Herbst“ geben. Gut gebrüllt, Löwe BRV! Zwischenzeitlich hat Seher im Newsletter vom 25. Juni 2003 nachgelegt. Im bisher schon verfolgten Stil heißt es, eine Stellungnahme der Dunlop „mutet fast wie Hohn an.“ Und dann: „Man fragt sich, ob man auf den Arm genommen werden soll.“ Wochen zuvor war eine Michelin-Stellungnahme mit einer ähnlichen Anmerkung bedacht worden. Das ist Emotion pur. Besser wäre eine argumentative Auseinandersetzung. Und wenn die Ratio der Emotion zum Opfer fällt, hat flott Beifallklatscher von der falschen Seite. „Für mich“ – so Seher – „steht fest: In diesem Thema entscheidet sich die mittelfristige Wettbewerbsfähigkeit und damit die Zukunftsfähigkeit der Branche. …Alles in allem empfinde ich die Einführung der markierten Reifen eher als etwas, was die Wettbewerbsposition des Reifenfachhandels gegenüber dem Autohaus schwächt.“
Wenn die ganze öffentliche Auseinandersetzung einen Sinn hat, dann jedenfalls den einen und einzigen, festzustellen, dass Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit des deutschen Reifenfachhandels mit dem Thema Sternmarkierung wenig bis nichts zu schaffen haben. Der deutsche Handel hat andere und ernstere Sorgen. Es wird höchste Zeit, sich dem Wettbewerber Autohaus professioneller als bisher zu stellen. Darauf wird im weiteren Verlauf dieses Beitrages noch zu-rückzukommen sein.
Wo steht nach Sehers Ansicht der Todfeind des deutschen Reifenhandels?
BMW möchte auf alle vom Werk freigetesteten Reifen eine Sternmarkierung; Signal: Original-Ersatzteil.
Wenn es BMW recht ist, wird es DaimlerChrysler und Schritt für Schritt allen anderen Autobauern nur billig sein; sagt man.
Und am Schluss stehen dann Reifen mit Aufschriften „BMW“ bzw. „Mercedes.“ Sagt man, befürchtet man jedenfalls.
Was wäre, wenn? Im Interesse der führenden Reifenhersteller könnte das nun wahrhaftig nicht liegen. Die Produkte sind immer schwarz und meistens rund, sie unterscheiden sich aber gewaltig durch ihre Markenwerte. Für Reifen über-nehmen die Reifenhersteller und nicht die Autobauer die Garantie. Das soll nach dem Willen der Reifenhersteller so blei-ben, denn ansonsten könnten sie schnell gezwungen sein, eine Einheitsmarke zu einem Einheitspreis verkaufen zu müs-sen. Dessen ungeachtet hat die Reifenindustrie auch nicht das leiseste Interesse daran, den Fachhandel zugunsten des Autohauses zu bevorzugen, weil die jetzt bereits bestehende teilweise Abhängigkeit von Erstausrüstern ohnehin groß genug ist. Was den BRV dazu bringt, der Reifenindustrie zu unterstellen, sie verabreiche Schlaftabletten, sie wolle das Thema nicht diskutieren, um zum Nachteil des Reifenfachhandels erst mal Nägel mit Köpfen zu machen, bleibt unergrün-det.
Richtig dürfte allerdings sein: Wenn der eine Automobilhersteller Reifen mit Sternmarkierung wirklich will, werden an-dere Autobauer solche mit Rautenmarkierungen und anderen ordern! Wer wollte das verhindern und mit welchen Argu-menten? Heißer Herbst? Schaun mer mal!
Was aber wäre für die Automobilhersteller gewonnen? Sie müssten über ihr Produkt Reifen jedenfalls reden und sei es auch –wie Präsident Seher befürchtet- in „suggerierender blumiger Marketingsprache.“ Sie müssten in die Köpfe der Verbraucher transportieren, dass ein Reifen mit dem Schriftzug BMW auf der Flanke besser wäre als einer mit dem Schriftzug Michelin, Bridgestone oder Goodyear. Wenn das, selbst "in blumiger Marketingsprache" gelänge, wäre es ein grandioser Erfolg. Gutes Marketing (blumige Sprache) weckt Emotionen, ist meist nicht strikt sachlich! Das bringt den Reifen im Allgemeinen doch nur raus aus der grauen Ecke des Commodity-Daseins. Sollte der Reifen mit Stern besser verkäuflich sein, wird der Verbraucher auch für den vermeintlichen Vorteil bezahlen. Auch in die Kassen der Reifenhänd-ler. Wenn in der Neue Reifenzeitung im ersten Beitrag vorgeschlagen wurde, man solle doch erst mal in aller Ruhe ab-warten ob es zu Nachteilen und Diskriminierungen tatsächlich komme, kamen doch damit genau die Zweifel darüber zum Ausdruck, dass es dem Autohaus gelingen könnte, diese Differenzierung in die Köpfe der Verbraucher zu bringen, um die sich Reifenindustrie und Reifenhandel mit äußerst zweifelhaften Erfolg bemüht haben. Aber auch die Automobilindustrie präsentiert sich nicht immer wie ein erfolgsverwöhnter Tausendsassa. Ein Blick in das Formel I-Geschehen spricht Bände: Wer diskutiert eigentlich noch darüber, ob ein BMW- oder ein Mercedes-Motor besser ist als ein Ferrari- oder Renault-Motor? Momentan gewinnen erstaunlich oft Michelin-Reifen, Bridgestone-Reifen müssen nachlegen. Dass Automobilher-steller auch mitmachen, nimmt man bald nur noch en passant zur Kenntnis? Hier haben die Autobauer zu lernen, dass es weit besser für sie ist, über ihre eigenen Produkte, vorzugsweise Motoren, zu reden als über Produkte von Zulieferern. Zurück zum Thema.
Dass markierte Reifen exklusiv nur für Autohäuser verfügbar sein werden, glaubt Präsident Seher selbst nicht: „Dies würde klar gegen die neue GVO und die damit beabsichtigte Liberalisierung des Kfz-Marktes in Europa verstoßen.“ Na also, möchte man meinen. Allerdings werde im Falle eines Falles der Druck der Automobilindustrie schon für bevorzugte Belieferung sorgen. Diese Befürchtung kann nicht einfach vom Tisch gefegt werden. Allerdings ist der Reifenfachhandel dann nicht hilflos. Die Liefer- und Logistiksysteme der Reifenhersteller sind recht ausgefeilt und zielen darauf ab, den Besteller unverzüglich zu beliefern. Eine „in Rückstand genommene“ Bestellung beweist stets, Marktchancen ungenutzt gelassen zu haben. Deshalb müssten insbesondere die Profis unter den Großhändlern, nachdem sie sich lange genug über ihre Einkaufspreise mit Lieferanten ausgetauscht haben, auf eine so bezeichnete Fill Rate von 100 Prozent verständi-gen. Da solche nicht zu erreichen ist, müssten auch 95 Prozent genügen –und jeder Reifenhersteller muss dann nur noch wissen, dass er bei wiederholter Unterschreitung dieser Fill Rate als Lieferant generell in Frage gestellt werden wird. Auch davon kann zum Beispiel von Kooperationen die weitere Einstufung als Kernfabrikat abhängig gemacht werden.
Das Argument, der Reifenfachhandel könne mittels markierter Reifen sein Spezialistentum unter Beweis stellen, ver-fängt bei Peter Seher auch nicht, denn „die markierten Reifen werden einige Wochen nach Markteinführung im Hinter-hofbetrieb verfügbar sein.“ Genau das ist es wohl. Es ist die Aufgabe und auch Chance des qualifizierten Großhandels genau das zu gewährleisten. Auf den Hinweis eines großen Händlers (Team-Gesellschafter, Redaktion), qualifizierte Rei-fengroßhändler könnten die Probleme mit markierten Reifen mittels guter Warenwirtschaftssyste durchaus bewältigen, fragt der Präsident aber bloß zurück: „Warum ein Geschäft, das ohnehin kompliziert genug ist, ohne erkennbaren Nutzen für unsere Branche noch weiter verklompizieren?“
Hier darf eingehakt werden: Vor 20 Jahren deckten fünf Reifengrößen gut 80 Prozent aller Marktmöglichkeiten ab. Warum hat es nicht dabei belassen? Hat das „Verkomplizieren“ dem Reifenfachhandel geschadet oder hat es ihn gerettet? Komplexität verursacht Kosten, aber sie schafft auch und ganz besonders für Spezialisten und kompetente Betriebe viele Chancen. Warum will man das beim BRV nur nicht zur Kenntnis nehmen?
In den dem BRV-Newsletter angehängten Stellungnahmen aus dem Handel kommen unterschiedliche Meinungen zum Ausdruck. Einig ist man sich aber darin, dass besser und offener miteinander kommuniziert werden müsste. Nett und dennoch extrem hilfreich ein Hinweis von EFR-Geschäftsführer Ernst Lammel, der in einem kleinen Fünf-Punkte-Katalog einen scheinbaren Nebensatz unterzubringen wusste: „Der Stil der bislang geführten Diskussionen mit den Herstellern scheint mir noch Potenzial für eine konstruktivere Vorgehensweise zu bieten.“ Wer hätte das besser sagen können?
Reifenfachhandel contra Autohaus
In diesem Jahr sind die Geschäfte sowohl in der deutschen Reifenindustrie als auch im deutschen Reifenfachhandel nicht allzu schlecht gelaufen. Aber es zeigt sich die Fortsetzung einer besorgniserregenden Entwicklung. Viele Händler haben zwar Zuwächse im Umsatz und Ertrag, aber sie haben diese Zuwächse zu Lasten großer Marken erzielt. Der Reifenfach-handel, sofern es ihn denn überhaupt in dieser Absolutheit gäbe, liebt den Weg des geringsten Widerstandes und pusht Billigmarken, mit denen er zumindest genauso viel Ertrag erwirtschaftet wie es mit Premium-Reifen möglich wäre. Man muss sich als Händler nur nicht so stark bemühen. Die Verkaufsargumente sind ja durchaus bekannt. Beispiel: Warum soll man einem Barum-Reifen aus dem Hause Continental weniger Vertrauen entgegenbringen als einem Continental-Reifen selbst? Also verkauft man Barum mit guter Marge, wenn es auch ein Continental-Reifen hätte sein können. Für den Han-del rechnet sich das ja auch, nicht aber für die Reifenindustrie. Im Grunde führt das Verhalten vieler Reifenhändler im vorliegenden Beispiel nur dazu, dass sie die Investitionen in die Premium-Marke praktisch missbrauchen, um den „Quasi-Conti-Reifen“ mit der Aufschrift Barum verkaufen. Geiz ist geill?
In dieser Hinsicht aber ist das Autohaus aus Sicht vieler Reifenhersteller besser. Autohäuser verstehen etwas von Mar-ken, pflegen Marken auch. Mercedes, BMW und eine Handvoll anderer entfalten als Marken eine sogenannte Sogwir-kung. Dazu passt billig billig nicht.
Und wenn das so ist, ist das Autohaus aus Sicht der Reifenindustrie nicht nur besser, sondern langfristig auch als Ver-marktungspartner attraktiver. Lukrative Erträge kann die Reifenindustrie mit ihren Low Budget-Brands nicht erwirtschaften, das schafft sie nur mit ihren Spitzenmarken; so bleibt deren Marktdurchdringung von größter Wichtigkeit. Es geht um Marken-Strategien, es geht darum, gemeinsam Konzepte zu erarbeiten und durchzusetzen, die den großen Marken, die vermarktet und nicht verramscht werden müssen, zum Durchbruch zu verhelfen und Hersteller wie Vermarkter zu attrak-tiven Erträgen kommen lässt. Die großen Marken, die Premium-Marken „machen“ den Markt. Sie finanzieren die notwen-digen Maßnahmen, sie greifen temporär kurzatmig gewordenen Reifenhändlern unter die Arme. Low-Budget-Marken können das nicht, sie haben mit dem Verkauf bereits alle Reserven hergegeben.
Es lohnt sich nach hier vorhandener Überzeugung, über solche Maßnahmen intensiver als bisher nachzudenken, sich mit guten Marken stärker zu verbünden als bisher. Sternchen auf den Reifen helfen den Autohäusern nicht entscheidend weiter, schaden dem Reifenfachhandel nicht und verursachen nur Kosten bei den Reifenherstellern. Sterne dieser Art werden den Reifenfachhandel nicht in seinen Grundfesten erschüttern. Die Frage ist ganz einfach: Wer ist mittel- und langfristig der bessere und professionellere Vermarkter? Das Autohaus oder der Reifenfachbetrieb? Was kann der Reifen-fachhandel tun, seine Überlegenheit zu demonstrieren und, sofern vorhanden, zu sichern? Viel Arbeit für den BRV im Allgemeinen und den Präsidenten Seher im Besonderen.
Wer einen nur einen „heißen Herbst“ androht, ihn gegebenenfalls gar initiiert, wäre gut beraten, sich mal diese Frage zu stellen: Was geschähe eigentlich, wenn Konzerne wie DaimlerChrysler oder BMW ihren Wünschen Nachdruck verlei-hen würden mit der anderweitigen Ankündigung eines „heißen Herbstes.“ Dann müsste sich Reifenfachhandler –um im Jargon der Airlines zu bleiben- ganz schnell anschnallen, die Gurte festzurren und die Sauerstoffmaske fest über Mund und Nase ziehen.
klaus.haddenbrock@reifenpresse.de
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