Automobilzulieferer vor nächster Strukturwandelwelle
Angesichts der als enorm beschriebenen Herausforderungen für die Automobilindustrie während der kommenden Jahre steht OEMs und Zulieferern nach Überzeugung des Beratungsunternehmens Oliver Wyman eine weitere Welle des Strukturwandels ins Haus. Dieser eröffne zwar neue Chancen, erfordere aber auch immense Investitionen, wird den Unternehmen geraten, sich entsprechend darauf vorzubereiten. „Schon heute sind die finanziellen Spielräume vieler Supplier begrenzt – nicht zuletzt aufgrund niedriger Profitabilität und zunehmend anspruchsvolleren Kapitalgebern. Gerade die klassischen mittelständischen Automobilzulieferer wandeln daher auf einem schmalen Grat. Wollen sie den Strukturwandel 2.0 und die damit verbundenen Kosten stemmen, müssen sie vor allem an ihrer strategischen Ausrichtung und operativen Exzellenz arbeiten und so ihre Profitabilität und Kreditwürdigkeit sicherstellen“, so das Fazit einer Oliver-Wyman-Analyse zu den Folgen des Strukturwandels für die Zulieferindustrie.
Treiber hinter der nächsten Strukturwandelwelle ist demnach vor allem das Wachstum der Automobilindustrie ausgelöst durch die Globalisierung und den technologischen Fortschritt. Nach Einschätzung der Berater werden sich die großen Schwellenländer rasant weiterentwickeln und regionale Marktverschiebungen beschleunigen. Allein für China wird bis 2020 eine Verdoppelung des jährlichen Pkw-Produktionsvolumens von heute 18 auf dann 33 Millionen Fahrzeuge erwartet, für Indien rechnet man gar mit einer Verdreifachung von vier auf elf Millionen Einheiten. Gleichzeitig komme es zur Stagnation in traditionellen Automobilregionen wie West- und Südeuropa unter anderem aufgrund geringer Absatzzahlen. Bei alldem delegieren Fahrzeughersteller mehr und mehr Aufgaben an Zulieferer ab. Der Studie zufolge wird sich die automobile Wertschöpfung 2025 auf 1.250 Milliarden Euro belaufen, von denen dann 69 Prozent auf die Zulieferer entfallen sollen. „Gemessen an den 61 Prozent der 840 Milliarden Euro im Jahr 2012 eine klare Steigerung“, rechnet Oliver Wyman vor. Außerdem nehme die Komplexität im Produktspektrum neue Dimensionen an, weil die Automobilindustrie in den kommenden Jahren mehr denn je von neuen Fahrzeugkonzepten, Modellen und Technologien geprägt sein werde.
Die daraus resultierenden Herausforderungen zu bewältigen bzw. die sich dadurch bietenden Chancen zu nutzen, wird nach Überzeugung der Managementberatung aber nur ertrags- und kapitalstarken Zulieferer gelingen. Denn nur sie könnten die erforderlichen Investitionen in globale Strukturen sowie neue Technologien in dem erforderlichen Umfang angehen. „Gerade die mittelständisch geprägte Zuliefererlandschaft ist durch den Aufbau der Strukturen für das anstehende Wachstum außerhalb Europas einem enormen Druck ausgesetzt“, erklärt Lars Stolz, Partner bei Oliver Wyman. „Bei vielen könnte die Profitabilität lange Zeit massiv beeinträchtigt werden“, ergänzt er mit Blick auf die in den nächsten Jahren anstehenden „hohen Investitionsbedarfe“. Sei die Summe aus Abschreibungen auf Investitionen in Wertschöpfungsstrukturen und Aufwendungen für Forschung, Produktentwicklung und Verwaltung von 2008 bis 2011 jährlich im Schnitt bereits von 19,1 auf 20,3 Prozent vom Umsatz angestiegen und das operative Ergebnis international gleichzeitig im Schnitt von 7,5 auf 5,5 Prozent zurückgegangen, so werden nun nämlich noch einmal weitaus höhere Investitionen/Zusatzaufwendungen erwartet.
Nach Berechnungen von Oliver Wyman könnten diese strukturell bedingten Kosten in einer Übergangsphase auf bis zu 23,3 Prozent vom Umsatz zulegen und das operative Ergebnis auf durchschnittlich nur noch 2,5 Prozent drücken. Eine solche Quote werde gerade bei Zulieferern mit einem geringeren „in den seltensten Fällen genügen, um nach Zinsen und Steuern ein positives Ergebnis zu erreichen“, heißt es. Als weiterer Erschwernisfaktor wird zudem darauf hingewiesen, dass die globale Automobilindustrie kein lineares Wachstum aufweise, sondern von erheblichen Schwankungen geprägt sei. „Bleiben die Umsätze in Zeiten hoher Investitionen hinter den Erwartungen zurück, könnte der Profit noch schneller unter die Nulllinie rutschen. Ohne ausreichendes Profitabilitätspolster aber werden die meisten Zulieferer kaum in der Lage sein, den Strukturwandel 2.0 aus eigener Kraft zu stemmen“, wird die daraus resultierende Problematik beschrieben. Zumal sich gerade für Unternehmen mit einem unklaren Geschäftsmodell oder einer schlechten Position im Wettbewerb gemäß Oliver Wyman der Zugang zu den benötigten externen Finanzmitteln teilweise schwierig gestaltet, während andererseits erfolgreiche und profitable Automobilzulieferer von den derzeit niedrigen Zinsen und guter Verfügbarkeit von Fremdkapital profitierten.
Ohne die entsprechenden Mittel bzw. Investitionen ist es kleineren Zulieferern demnach allerdings nicht möglich, von den sich bietenden Wachstumschancen des Marktes zu profitieren. Denn wenn die Autohersteller in großen Schwellenländern wie beispielsweise China, aber auch in Amerika immer mehr Entwicklungszentren und Produktionsstätten errichten, dann erwarteten sie auch von ihren Zulieferern eine Präsenz vor Ort, wird als Beispiel angeführt. Dies lasse sich ohne Profitabilität bzw. die entsprechenden Finanzmittel nicht stemmen, sodass es nun für viele mittelständische Zulieferer – wie Tom Sieber von Oliver Wyman meint – „fünf vor zwölf“ sei. „Jetzt rächt sich, dass sie in der Vergangenheit dem Absinken ihrer Profitabilität weitgehend tatenlos zugesehen haben. Wenn sie nicht schnell handeln, setzen sie die Existenz ihres Unternehmens aufs Spiel, weil ihnen die Mittel für das Wachstum der Zukunft fehlen“, sagt er. Konsequenter denn je müssten die mittelständischen Zulieferer jetzt an ihrer strategischen Positionierung arbeiten – und dies langfristig gesehen: Klare Footprint-/Portfolio-Strategien, die Definition werthaltiger Aktivitäten und des eigenen Wertschöpfungsbeitrages sowie eine gute Aufstellung in Bezug auf Einkauf, Produktion oder Entwicklung (Kostenmanagement, Effizienz) werden als Mittel der Wahl beschrieben. „Der Grat zwischen Durchkommen und Abstürzen ist extrem schmal“, so Stolz. „Wer nicht ins Minus rutschen und einen Liquiditätsengpass riskieren will, sollte sich jetzt strategisch richtig ausrichten und operativ massiv auf Profitabilität trimmen“, rät er. cm
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