Borbet: Räder sind nicht nur Mode, sondern zuallererst Sicherheitsteile

Oliver J. Schneider ist als Geschäftsführer der Borbet Vertriebs GmbH (Neuching bei München) für die Entwicklung des Bereichs Fachhandel und des Nachrüstgeschäftes der Borbet-Gruppe verantwortlich. Peter Wilhelm Borbet, Mehrheitsgesellschafter des aktuell größten Aluminiumräderherstellers Europas, hat ambitionierte Ziele für diesen Geschäftsbereich ausgegeben. „Um die zu verwirklichen, bin ich 2011 zu Borbet gewechselt“, sagt der langjährig einschlägig branchenerfahrene 42-Jährige.

Die Firma Borbet, die im Herbst 2012 ihren 50. Geburtstag am Standort Hallenberg-Hesborn/Sauerland feiern konnte, verfügt mittlerweile über eine Kapazität, um mehr als 16 Millionen Aluminiumgussräder jährlich herzustellen. Dieses enorme Volumen, das übrigens selbst in den Zeiten der Krise „nach Lehman“ 2008/2009 (oder sollte man besser formulieren „trotz Lehman“?) weiter kräftig ausgebaut worden war, geht ganz überwiegend in die Erstausrüstung – um 95 Prozent und in manchen Phasen sogar mehr. Wobei es im Übrigen nicht nur um reine Volumina geht, sondern auch zu berücksichtigen ist, dass die von Jahr zu Jahr und Automodell zu Automodell größer werdenden Räderdimensionen in der Erstausrüstung auch zu Lasten des theoretisch möglichen Outputs gehen.

Das OE-Volumen soll verteidigt, dank immer noch wachsender Nachfrage sogar ausgebaut werden, der OE-Anteil allerdings, so hatte es Peter Wilhelm Borbet vor einigen Monaten gegenüber dieser Zeitschrift vorgegeben (vgl. NEUE REIFENZEITUNG 4/2012), werde sinken, wenn Schneider und sein Team für „acht Prozent“ (O-Ton Borbet) gesorgt haben. Ein ambitioniertes Ziel angesichts der marktteilnehmerübergreifenden Erkenntnis, dass das Nach- und Umrüstgeschäft in Europa stagniert und deutschlandweit eher sogar rückläufig sein wird in den nächsten Jahren.

„Der Fachhandel ist dem Familienunternehmen Borbet wichtig, mit dem ist Borbet im Markt bekannt geworden, das ist nicht vergessen“, erklärt Schneider, der gleichwohl beim Amtsantritt die gleichen Probleme vorgefunden hatte, mit denen die Borbet-Vertriebsmannschaft seit Jahren konfrontiert war: Kapazitätsengpässe, daraus oftmals folgernd die für Verkäufer so unbefriedigende Situation, auf Geschäfte und somit Marktanteile verzichten zu müssen. Das Unternehmen hatte darauf reagiert und lässt bis heute Bedarfsspitzen in zwei Räderfabriken im Auftrag Räder produzieren (komplett vom Guss über die Bearbeitung bis zur Lackierung), jeweils nach den Borbet-Standards und mit Borbet-Unterstützung. Die Hersteller werden intern (fast) wie gruppenzugehörige Standorte gesehen, schließlich erfolgen die Räderentwicklungen bei Borbet selbst.

So wie der Fachhandel die Keimzelle des Borbet-Rädergeschäftes ist, wird das traditionelle Stammwerk Hallenberg-Hesborn für Fachhandelsräder zwar tendenziell als Produktionsstandort der Marke bevorzugt. Denn die Strukturen in der Produktion in Hallenberg-Hesborn mögen auch eher kleinere und wie im Aftermarkt oftmals benötigte Losgrößen nahelegen als in den anderen Werken der Gruppe in Europa. Aber im Zuge der fertigungstechnischen Standardisierung können Räder fürs Ersatzgeschäft, wie sie Schneider und seine gut 30 Mitarbeiter benötigen, aus jeder der sieben hauseigenen Fabriken stammen. Erstausrüstungsqualität mit den Nabenkappen der großen Automobilhersteller ist hier in jedem Falle identisch mit den Qualitäten der Räder, die den Namen Borbet tragen. Die Aftermarkt-Erfahrung im Werk Hesborn hat übrigens auch bewirkt, dass dort Auftragsräder für Fahrzeugveredeler, auch Tuner und andere bekannte Felgenmarken im Aftermarket hergestellt werden, die denn auch selber ihre Räderangebote gerne mit dem Zusatz „Erstausrüsterqualität“ zieren. Auch an den Standorten in Solingen und Bad Langensalza werden aktuell für diese Kundengruppe Räder, auch im Flow-forming-Verfahren (aber nicht nur), hergestellt. Hesborn ist derzeit auch das Kompetenzzentrum der hauseigenen Technologie ExaPeel, welche in Zukunft evtl. auch an anderen Standorten Einzug hält.

„Ich habe großen Respekt davor, wie kleinere Anbieter des Ersatzmarktes es schaffen, die hohen Anforderungen an das Sicherheitsteil Fahrzeugrad zu erfüllen“, sagt der Geschäftsführer der Borbet Vertriebs GmbH und streut dabei – bewusst oder unbewusst – Zweifel, ob jeder kleinere Produzent (und Vermarkter) den hehren Ansprüchen auch gerecht werden kann oder sich dieser Verantwortung überhaupt vollumfänglich bewusst ist. Für ihn lässt sich die Güte eines Rades jedenfalls nicht auf den modischen Aspekt, das Design oder Styling reduzieren.

Borbet als Marke

Während andere Marktteilnehmer – durchaus erfolgreich – mit Mehr-Marken-Strategien für Pkw-Aluminiumräder operieren, hat sich die Firma Borbet für eine Ein-Marken-Strategie zur Bearbeitung des Ersatzgeschäftes entschieden. In gewisser Weise Bestätigung für diese Entscheidung hat das Unternehmen dadurch im Nachhinein erfahren, dass es im Dezember letzten Jahres zu einer der stärksten Marken Deutschlands gekürt wurde und sich sogar mit dem Titel „Marke des Jahrhunderts“ schmücken kann. Dennoch: Beide Optionen – Ein- wie Mehr-Marken-Strategien – beinhalten Vor- und Nachteile; auch in der nahen Reifenbranche gibt es positive Beispiele sowohl für den Mehr-Marken-Strauß in Form beispielsweise des Continental-Konzerns als auch die Ein-Marken-Strategie Pirellis. Wobei: Aufgrund der Historie hat Borbet mit „cw“ auch eine zweite Marke, wobei das Kürzel ursprünglich für „car wheels“ stand und jetzt für Aluminiumräder genutzt wird, die auf leichten Nutzfahrzeugen montiert werden, wodurch es eine andere Bedeutung erhält: „commercial wheels“, abgeleitet vom englischen Sprachgebrauch Light Commercial Vehicle.

Die Spreizung einer Marke gehört zur hohen Kunst des Marketings. Für Borbet bedeutet das eine Kategorisierung in „Premium“, „Sports“ und „Classic“. Unter Borbet Premium werden die Rädertypen verstanden, die produktionstechnisch besonders herausfordernd sind bzw. Features aufweisen, mit denen sich die Marke sicht- oder messbar positiv vom direkten Wettbewerb im Ersatzgeschäft abhebt. Flow-forming ist aktuell eine solche Technologie, die in der Erstausrüstung nachgefragt ist, mit der aber auch Nachrüsträder deutlich höhere Festigkeitswerte erreichen und signifikant gewichtsoptimiert werden können. Selbst Schmiederäder will Schneider für die Zukunft nicht ausschließen („die Kompetenz haben wir im Hause“), für mehrteilige Räder aber ist derzeit kaum Marktakzeptanz zu sehen. Räder der Kategorie „Sports“ zeichnen sich durch optische Finessen aus, können aber – zum Beispiel gewichtsreduziert durch Hinterschnitt – auch technische Akzente setzen. Und Räder der Kategorie „Classic“ sind die Schnelldreher, womit allerdings mit dem A-Rad auch ein „Klassiker des Rädermarktes“ gemeint sein dürfte, die Winterräder ohnehin. Diese Abgrenzungen erfolgen übrigens eher intern, in der Kommunikation nach außen „ist alles Borbet“, wird aber erkennbar sein in Werbung und Kommunikation der Marke.

Bereits in der „Vor-Schneider-Zeit“ hatte sich Borbet als Pionier bei „ECE-Rädern“ im Markt und für den Markt Meriten erworben. Solcherlei Räder sind europaweit eintragungs-/gutachtenfrei bzw. dank KBA-Freigabe bauartgleich mit Erstausrüstungsrädern.

Der Standort Neuching

Für viele Markttteilnehmer ist der Name „cw“ noch gegenwärtig, denn er stand für Offroad-Kompetenz in den Jahren, als dieses Segment boomte. Das war vor und nach 1989, als Borbet die damalige CW-Fahrzeugtechnik übernahm, schon am gleichen Standort, an dem die Borbet Vertriebs GmbH noch heute angesiedelt ist. Freilich hat sich das Unternehmen bzw. hat sich der Standort verändert, seitdem der Offroad-Hype abgeebbt ist. Die besondere Stellung im Vertrieb von Geländereifen der zu Continental gehörenden Marke General Tire ging verloren, dafür wird eine Besonderheit bis heute gepflegt: Am Standort Neuching bei München werden die (allerdings bereits lackierten) Räderrohlinge durch mechanische Bearbeitung endfiguriert (Bohren des Lochkreises, Abdrehen der Einpresstiefe, Fräsen des Mittellochs und Konfiguration und Verpackung mit Nabendeckel), sodass eine kundenindividuelle Endfertigung erfolgen kann – kein völliges Alleinstellungsmerkmal im Markt, aber ein Angebot, mit dem man sich profilieren kann und das handwerklich noch immer von den gleichen Mitarbeitern erbracht wird, die damit schon seit einigen Jahren begonnen haben und demnach über eine enorme Erfahrung und Kompetenz verfügen.

Die ehemalige Firma CW-Fahrzeugtechnik hat sich nicht nur hinsichtlich der unternehmerischen Ausrichtung mit der Zeit verändert, in den Jahren 1993/94 haben auch intensive Baumaßnahmen die Voraussetzung für die heutigen logistischen Gegebenheiten geschaffen: Während vom Lager Medebach (Sauerland), wo die Schneider-Mannschaft auch auf personelle Logistikressourcen der Gruppe zurückgreifen kann, überwiegend die Exportmärkte der Handelsmarke Borbet bedient werden, ist Neuching (deckt etwa 65 Prozent ab) das Hauptlager für Aftermarkt-Räder der Gruppe in deutschen Landen, Österreich und in der Schweiz. Auf etwa 220.000 bis 250.000 Stück belaufen sich die Staukapazitäten an beiden Lagerhäusern, die permanente Bestandspflege geht von einer Abdeckung eines 3-Monats-Bedarfes aus. Auf „vierweise“ Auslieferungen hat man sich mit den Jahren eingestellt und die Prozesse immer effizienter gestaltet, die aber – so Oliver Schneider – „im Übrigen schon von jeher auf lean getrimmt sind“.

Während Zuwächse und Marktanteilsgewinne in Deutschland für die Marke Borbet eigentlich nur möglich sind, wenn man Wettbewerbern etwas wegnimmt, sieht Schneider in wachsenden Märkten zukünftige Potenziale, an denen man überproportional partizipieren möchte. Traditionell vertraut Borbet in den Exportmärkten auf Importeure, die die Marke und ihre Spezialitäten seit Jahren kennen und schätzen und ist damit gut gefahren. Es entwickeln sich aber geografisch und hinsichtlich des Fahrzeugbestandes neue Märkte wie beispielsweise Russland, für die man sich neu aufstellen muss und auch bereit sei, über deren optimale Erschließung neu nachzudenken. Konkreter wird Schneider nicht.

Von Medebach aus betreuen sechs, von Neuching aus vier Innendienstmitarbeiter die Ersatzmärkte. Die fünf Außendienstler im deutsch/österreichischen Markt und europäischen Nachbarländern werden von hier, wo auch Schneider sein „Hauptbüro“ hat, ebenfalls geführt. Die Marke Borbet ist fachhandelsorientiert, bei Kooperationen gesetzt, mit ausgesuchten Großhandelskunden arbeite man intensiv zusammen, auch weil ohne Großhandel die gesetzten Ziele (absolutes Bekenntnis zum vielfach auch zu Unrecht gescholtenen Großhandel) gar nicht erreichbar wären.

Die ambitionierten vom Firmenchef vorgegebenen Ziele hat die Borbet Vertriebs GmbH noch nicht erreicht, sowohl beim Um- als auch beim Absatz warten auf Oliver Schneider und sein Team noch einige Anstrengungen. Er weiß, dass er besser sein muss als Mitbewerber, auch solchen, denen er Respekt für ihre Leistungen zollt. Aber mit dem (OE-)Produzenten-Know-how, mit der im Unternehmen blühenden Kreativität und nicht zuletzt einem familiengeführten Unternehmertum, das bereit für mutige, schnelle und manchmal auch teure Entscheidungen ist, sind die wichtigsten Voraussetzungen gegeben, die Ziele zu erreichen. detlef.vogt@reifenpresse.de

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