BRV-Mitgliederversammlung: Die Branche kann zufrieden sein
Mit dem im Jahr 2009 Erreichten könne die Reifenbranche durchaus zufrieden sein, so der geschäftsführende Vorsitzende des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) Peter Hülzer auf der diesjährigen Mitgliederversammlung in Essen am Tag vor dem Beginn der Messe „Reifen 2010“. Der Händlerschaft wurde ein straffes, in hohem Maße von Sachlichkeit und Professionalität geprägtes Programm geboten unter Verzicht auf das auf solchen Tagungen gelegentlich anzutreffende Entertainment, mit dem zum Beispiel die „Motivationskünstler“ gerne aufwarten, um sich dort ihre Gagen zu verdienen. Gastdozenten wie Professor Dr. Willi Diez (Direktor des Instituts für Automobilwirrtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen/Geislingen) und Professor Dr. Kurt H. Biedenkopf (Ministerpräsident a. D. des Freistaates Sachsen) stehen dagegen für ein hohes Maß an Seriosität und gewährleisten, dass jedermann, der aufmerksam zuhört, mit einem Wissenszuwachs den Saal verlassen kann.
Für das Jahr der Krise 2009 waren die Ängste um die Reifenbranche groß gewesen, sie hat sich allerdings als erstaunlich robust und resistenter gegen den wirtschaftlichen Niedergang erwiesen als andere Branchen. Die deutschen Reifenhändler konnten ein unerwartetes Plus bei Pkw-Reifen aufgrund der hohen Nachfrage für Winterreifen verzeichnen, bei Lkw-Reifen entwickelte sich das Ersatzgeschäft negativ, aber nicht so schmerzhaft wie befürchtet. Dennoch dürfte Hülzers Einschätzung, dass die ohnehin schwache Eigenkapitalbasis der Unternehmen des Reifenfachhandels weiter abgeschmolzen ist, Sorge bereiten. „Fette Jahre“, so sie denn wieder kommen, sollten genutzt werden, um diese Eigenkapitalbasis wieder aufzustocken. Die ersten fünf Monate 2010 hätten jedenfalls einen positiven Schub gebracht, so Peter Hülzer: Und ist doch bei den Prognosen lieber vorsichtig – ein Minus von 1,8 Prozent bei Pkw-Sommer- und ein Minus von 9,1 Prozent bei Pkw-Winterreifen im Jahre 2010 lautet die Prognose.
Mit „Rückkehr zur Normalität“ umschreibt der BRV-Vorsitzende die Erwartungshaltung und zählt positive wie negative Entwicklungen auf: Der Trend zu Premiumprodukten und das Einhaltgebieten der margenschwachen Budgetmarken auf der einen Seite, die immer noch viel zu schwache Umsatzrendite von 0,6 Prozent auf der anderen. Dem großartigen Sell-in-Anteil (Industrie an Handel) einerseits steht ein erodierender Sell-out-Anteil (Handel an Verbraucher) von nur noch 44,1 Prozent gegenüber, ein eklatanter Verlust am Distributionsanteil in der Größenordnung von 14 Prozent in nur einem Jahrzehnt. Dass 37 Prozent der Autofahrer beim nächsten Reifenkauf eine Premiummarke kaufen wollen, wie eine Untersuchung ergeben hat, ist eine hoffnungmachende Nachricht, dass 47 Prozent das Autohaus anfahren wollen und nur 38 Prozent den Reifenhandel, eine deprimierende. (Ferner: 30 Prozent würden sich für eine gute Zweitmarke, aber lediglich elf Prozent für eine preiswerte Marke entscheiden.)
Dass die genannten Zahlen keinen repräsentativen Charakter haben, ließ der BRV-Geschäftsführer zwar nicht unerwähnt, mahnte jedoch an, die Augen vor den Trends nicht zu verschließen und zitierte Marc Johann (Mitglied im BRV-Arbeitskreis „Betriebswirtschaft, Kommunikation, Steuern“), der sich in „Trends & Facts“ zu Worte gemeldet hatte und auch auf der BRV-Jahreshauptversammlung auftreten sollte, dass und wie diese „stolze Branche (…) verlorenes Terrain zurückerobern“ müsse.
Dazu will der Verband durch vielfältige Maßnahmen seinen Beitrag leisten, gibt Hülzer einen Ausblick auf diverse Initiativen, die die Geschäftsstelle bereits initiiert hat bzw. die eingestielt sind. Dass – wie eigentlich immer – vom Plenum die Formalien im Schnelldurchlauf und ohne Widerspruch durchgewunken wurden, mag als Beleg für das Vertrauensverhältnis der Mitglieder in ihre Bonner Zentrale gewertet werden.
Nachdem Nikolaus Ehrler, Mitglied des BRV-Vorstands, seinen Kollegen einen Kriterienkatalog zur Beurteilung von B2C-Plattformen vorgelegt – der von einem Online-Anteil am Pkw-Gesamtreifenmarkt in Höhe von 6,4 Prozent ausgeht und ganz wesentlich den Preiskäufer meint (Ehrler: Ist das die Zielgruppe des Fachhandels?) – und aufgefordert hatte, das Internet nur zu nutzen, wenn es dem Händler nutzt, gab es – neben dem erwähnten Johann-Referat – noch zwei Auszeichnungsrunden und zwei Gastbeiträge, bevor der zweite BRV-Geschäftsführer Hans-Joachim Drechsler in einer „Tour d’Horizon“ zum Abschluss der Veranstaltung durch die an technischen Details aktuell so lebhafte Branche preschen konnte.
Neben den bekannten Marketing-Awards (siehe an anderer Stelle) wurden erstmalig sogenannte „Bestmeister im Vulkaniseur-/Reifenmechanikerhandwerk des Jahres 2009“ ausgezeichnet: Bilal Daouck, der zugleich ein inniges und vom Auditorium sehr wohlwollend aufgenommenes Bekenntnis zu diesem Handwerk abgab, für die Fachrichtung Reifen-/Fahrwerksservice und Sascha Kiel für die Fachrichtung Vulkanisationstechnik.
Als externe Referenten hatte der Verband mit Professor Dr. Willi Diez und Professor Dr. Kurt Biedenkopf zwei unterschiedliche, gleichwohl höchst kompetente Köpfe gewinnen können. Ersterer widmete sich der „Lage der Automobilbranche im Frühjahr 2010“, die von „Katerstimmung“ nach dem Jahr der Abwrackprämie gekennzeichnet sei, gab darüber hinaus aber auch mittelfristige Ausblicke, die unsere Branche tangieren: Der Trend zu kleineren, kompakteren Autos werde anhalten, auch zu SUVs, aber solchen, für die das neudeutsche Wort „Downsizing“ gilt. Der deutsche Automarkt ist jedenfalls insgesamt als gesättigt zu betrachten, in guten Jahren werden knapp über drei Millionen Pkw neu zugelassen, in schlechten knapp unter drei Millionen.
Sichtlich betroffen von dem kurz zuvor bekannt gewordenen Rücktritt des Bundespräsidenten zeigte sich Biedenkopf, allerdings verlieh dieser Vorgang seinem Thema „Was nun Deutschland – wie gewinnen wir unsere Stärken zurück?“ eine ungeahnte Aktualität. Der Grande der deutschen Politik verlangt von weiten Teilen der Bevölkerung Kraftanstrengungen bei dem Bemühen, Stärken zurück- und Zukunftsfähigkeit zu gewinnen, vermisst aber dazu bei zu vielen die Bereitschaft. Pessimistisch sei er dennoch nicht, ließ er wissen, aber er verlangt den Abschied von alten Schemata und neue Strukturen sowie Antworten an deren Stelle. Vorbild ist ihm die kommunale Ebene, wo es vielerorts gelungen ist, Reglementierungen abzuschaffen.
Zum Abschluss also Hans-Jürgen Drechslers Parforceritt mit der Überschrift „Öko-Labelling – wdk-zertifizierte Schulungen zur Montage und Demontage von UHP- und Runflat-Reifen; ganzheitliches Konzept „zertifizierter Motorrad- und Roller-Reifen-Service“ – Darstellung der damit verbundenen Chancen für den Reifenfachhandel.“ Das ist eine ganze Menge und Drechsler, weil er tief in diesen wichtigen Themen steckt, auch der richtige Referent. Vielleicht wäre weniger trotzdem mehr gewesen? detlef.vogt@reifenpresse.de
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