Tyroo möchte im Markt durch „überlegte Prozessexzellenz“ glänzen – Aufbauphase abgeschlossen

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2020 war das Jahr des Neustarts. Im vergangenen Jahr ging es darum, sich vom vermeintlichen Start-up in ein etabliertes Unternehmen zu wandeln, sämtliche Prozesse „glattzuziehen“ und das Angebot in seiner Breite und Tiefe zu erweitern; Aufbau eben. Diese Phase ist jetzt abgeschlossen. Nun blickt man bei Tyroo in Neuhof hoffnungsvoll nach vorne. Dabei können das Unternehmen und ihre Gründer auch viel Positives aus ihrer eigenen Vergangenheit mitnehmen, auf die die Fintyre-Insolvenz 2020 bekanntlich einen nicht unerheblichen Schatten geworfen hat. Diese Vergangenheit sei „in der Wahrnehmung des Marktes da, ohne Frage“, sagt Stefan Kratofiel im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Doch davon wolle und müsse man sich lösen, so der Gesellschafter und Geschäftsführer von Tyroo, der in der Gründung von Tyroo für Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter „eine große Chance“ sieht.

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Die Tyroo GmbH, die bereits 2011 als Vorratsgesellschaft für einen möglichen zukünftigen Bedarf gegründet wurde, hat bis 2020 keinerlei nennenswerte geschäftliche Aktivitäten gezeigt. Dies sollte sich dann allerdings schlagartig ändern, nachdem die drei Gesellschafter und Geschäftsführer Holger Krieg, Tobias Fink und Stefan Kratofiel im Juli 2020 einen Neustart im Reifengroßhandel beschlossen hatten. Die Vorgeschichte dazu, an die man verständlicherweise in Neuhof nur ungern erinnert werden möchte, ist im Markt hinlänglich bekannt: 2018 wird Reifen Krieg an Fintyre verkauft, wie zuvor und danach weitere deutsche Handelsunternehmen auch; 2020 dann folgt die Insolvenz der deutschen Fintyre Group.

Das Gute daran, wenn man das so sagen darf: Trotz des Endes der deutschen Fintyre Group sind einige Strukturen erhalten geblieben, auf die die Tyroo und ihre Eigentümer jetzt aufbauen konnten. So zum Beispiel das Lager am alten/neuen Standort in Neuhof nahe Fulda. Die Immobilien – das sind immerhin 35.000 Quadratmeter Lagerfläche zuzüglich Außenflächen sowie ein Außenlager für Lkw-Reifen mit rund 10.000 Quadratmeter Lagerfläche waren trotz des Verkaufs von Reifen Krieg im Eigentum von Holger Krieg und Tobias Fink verblieben. Die Reifensortieranlage wiederum war von den vorhergehenden Betreibern des Logistikzentrums gekauft worden, sodass der Insolvenzverwalter diese dann an Tyroo weiterverkaufen konnte. Das Gute daran: Die Anlage war seit jeher auf die räumlichen Gegebenheiten und operativen Bedürfnisse vor Ort zugeschnitten; ein Verkauf an einen anderen Großhändler hätte da nur begrenzt Sinn gemacht.

Im Zentrallager in Neuhof stehen rund 35.000 Quadratmeter zuzüglich Außenflächen für das stark wachsende Tyroo-Großhandelsgeschäft zur Verfügung (Bild: Tyroo)

Auch das Warenwirtschaftssystem – das IT-seitige Kernstück der Logistik im Großhandelslager in Neuhof – konnte von Tyroo übernommen und genutzt werden, auch wenn – so Geschäftsführer Stefan Kratofiel – das in den Jahren bis 2020 gewachsene System nach dem Start von Tyroo „geradegezogen und weiterentwickelt“ werden musste. In den Jahren zuvor war die Warenwirtschaft mit dem Wachstum immer wieder um Bestandteile ergänzt, umgebaut worden; das System wurde von Mal zu Mal komplexer. Die operative Gründung von Tyroo vor gut zwei Jahren habe als Gelegenheit gedient, „ein an etlichen Stellen optimiertes Warenwirtschaftssystem“ zu implementieren, das dieselbe Basis hat wie das früher in Neuhof genutzte.

Noch zentraler aber als Liegenschaften, technische Anlagen und IT sei das Personal gewesen, mit dem die Gründer von Tyroo 2020 an den Start gehen konnten. Während Neugründungen, gerade im Handel, sich üblicherweise erst schrittweise personell entwickeln, konnten Stefan Kratofiel, Holger Krieg und Tobias Fink direkt bei Start des operativen Geschäftes vor zwei Jahren auf ein Team von immerhin 20 ehemaligen Mitarbeitern zurückgreifen, die das sogenannte „Abwicklungsteam“ gestellt hatten und aus sämtlichen Bereichen und Abteilungen des Unternehmens stammten. Aktuell beschäftigt Tyroo bereits wieder rund 40 Mitarbeiter, und lediglich zwei unter ihnen waren zuvor nicht vor Ort beschäftigt.

Blickt man zurück, dann könne man diese – rechtlich und operativ natürlich nicht bestehende – Verbindung zu Reifen Krieg und der deutschen Fintyre Group durchaus „als Vorteil“ bezeichnen, so Stefan Kratofiel. Der 42-Jährige selbst arbeitete bereits ab 2017 für Holger Krieg und Tobias Fink und war anlässlich der operativen Gründung von Tyroo zum Mitgesellschafter und, wie bereits erwähnt, operativen Geschäftsführer aufgestiegen. Es sei aber eben auch nicht mehr gewesen: ein Startvorteil. Dieser dürfe eben nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gründung von Tyroo in voller Unabhängigkeit zu früheren Unternehmen geschehen sei und – wichtiger noch – sich das neue Unternehmen demnach auch allein im deutschen und im europäischen Reifengroßhandel behaupten muss.

IT- und Logistikdienstleister

Dazu vertrauen die Verantwortlichen von Tyroo auf ein klares Geschäftsmodell, das immerhin bereits für das vergangene Jahr – das erste volle operative Geschäftsjahr – einen Umsatz von rund 80 Millionen Euro eingebracht hat; für 2022 seien wenigstens 100 Millionen Euro geplant. „Wir bei Tyroo sind IT- und Logistikdienstleister“, umschreibt Stefan Kratofiel den Ansatz des Unternehmens, das zwar mit Reifen und Rädern handelt, das sich aber über eine „überlegte Prozessexzellenz“ im Wettbewerb positionieren möchte.

Dazu zählt natürlich die logistische Abwicklung im Lager in Neuhof selbst. Dafür investiere man kontinuierlich auch in die Ausstattung. So habe man erst kürzlich rund 700.000 Euro für neun Kommissionierstapler von Linde investiert. Diese seien nicht nur BG-konform und böten den Mitarbeiten ein Höchstmaß an Sicherheit. Sie hülfen auch dabei, die Effizienz im Prozess weiter zu steigern. Die gesamte logistische Abwicklung, so Kratofiel, biete mit Blick auf das Umsatz- und Absatzvolumen sogar „noch Luft nach oben“; saisonale Engpässe sollten in Neuhof demnach kein Thema sein.

Dass Tyroo in Bezug auf IT und Logistik offenbar einiges zu bieten hat, hat zwischenzeitig übrigens auch die Reifenindustrie erkannt. Ende des vergangenen Jahres hatte Falken Tyre Europe mitgeteilt, man sei jetzt „Ankermieter“ bei Tyroo. Mit anderen Worten: Der Großhändler übernimmt die Aufgaben eines Kontraktlogistikers für den Hersteller. Neben Falken habe man noch mit zwei weiteren Herstellern entsprechende Vereinbarungen, deren Namen allerdings nicht genannt werden dürfen.

Zu der vorgenannten Exzellenz zähle aber außerdem der komplett neue Onlineshop, der Kunden ein Höchstmaß an Funktionalitäten im Bestellen selbst sowie in der Nutzerdatenverwaltung bieten soll; Tracking & Co., auch sämtliche Bestelldaten seien digital abrufbar. Tyroo ist zwar auch auf Plattformen etc. aktiv. Dort wolle man allerdings „nur zeigen, dass wir da sind“, wie Marketingleiter Christian Schild erläutert. Der eigene Shop trage den größten Umsatzanteil bei und werde in der Strategie entsprechend forciert, alle weiteren Absatzkanäle seien eher fragmentiert.

Aber auch der Versand, der logistischen Abwicklung hintangestellt, biete Kunden vielfache Vorteile, ist man dazu in Neuhof überzeugt. Dabei setzt Tyroo auf erprobte Konzepte in der Logistik. Dazu zählen drei Dienstleister für den normalen Paketversand, der deutschlandweite Nachtexpress mit NOX, drei eigene Transporter sowie der palettenweise Versand per Spedition bei größeren Bestellungen. Maßgebliche Zeitvorteile erhielten die Kunden, da Tyroo seine Reifen bereits für die nationale und internationale Auslieferung per Paketdienst direkt vorsortiert und – in der Saisonspitze – bis zu 20 solcher Hubs direkt anfährt. Voraussetzung dafür ist einerseits die Tyroo-eigene Reifensortieranlage, ohne die nicht gleichzeitig mehrere Wechselbrücken effizient beladen werden können. Andererseits gehört dazu natürlich auch eine gewisse unternehmerische Größe, die aber – so illustrieren vorgenannte Umsatzkennzahlen – offenbar bereits im Premierenjahr erreicht wurde.

Eine entsprechende Schnelligkeit und Verlässlichkeit in der Bestellabwicklung, die Stefan Kratofiel mit dem Schlagwort der „Exzellenz“ beschrieben hat, könne sich darüber hinaus nur ergeben, wenn man dabei auf vor Ort lagernde Bestände zurückgreift. „Wir setzen immer auf unseren Eigenbestand“, so der Inhaber und Geschäftsführer und benötigt „Fremdbestände von ausgewählten Partnern“ lediglich für einen „Bruchteil“ des Handelsgeschäftes.

Tyroo tritt dabei als Vollsortimenter im Markt auf, wozu Pkw-, LLkw-, Lkw- und Motorradreifen genauso zählen wie Felgen und Sensoren für RDK-Systeme; Landwirtschafts- und andere Großreifen gehören (derzeit) nicht ins Sortiment des Großhändlers. Auch mit Blick auf das Markenportfolio setzt Tyroo auf maximale Vielfalt – von Premium bis Preis, das Sortiment soll die volle Breite und Tiefe des Marktes abdecken, wobei die Bezugsquellen von der Industrie bis zum internationalen Großhandel ebenso vielfältig sind. arno.borchers@reifenpresse.de

 

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