Nokian will „Missverständnisse aus der Welt schaffen“, erzeugt aber noch mehr neue
Nachdem seit dem Ende der vergangenen Woche klar ist, dass Nokian Tyres im Laufe von zehn Jahren speziell für Reifentests vorgesehene Reifen produziert und an die testenden Organisationen und Zeitschriften geliefert hat, bemüht sich das Unternehmen nun um Schadensbegrenzung. In einer Mitteilung, die gestern von Antti-Jussi Tähtinen, bei Nokian Tyres Vice-President Marketing and Communication, versandt wurde, entschuldigt sich das Unternehmen noch einmal „aufrichtig für unser Verhalten in der Vergangenheit“. Anstatt aber klar zu sagen, was falsch gewesen ist, und durch aufrichtige Aussagen zum eigenen Fehlverhalten um das Vertrauen der Verbraucher, der Branche und der Reifentester zu werben, wird man den Eindruck nicht los: Nokian Tyres sucht zumindest eine nicht unerhebliche Mitschuld für den begangenen Testbetrug am ‚System Reifentests’ selbst.
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Außerdem wiederholt Nokian Tyres den allgemeinen Vorwurf, im Laufe der vergangenen Jahre seien „mehrere Akteure der Branche, darunter auch Nokian Tyres, verdächtigt“ worden, „oder es wurden entsprechende Beweise dafür vorgelegt, dass es Unterschiede zwischen Reifen in den Tests von Magazinen und den für den Verkauf im Handel bestimmten Reifen gibt. Das hat zur allmählichen Verbesserung der Testverfahren [der Reifentester; d.Red.] geführt.“ Ob sich so verlorenes Vertrauen wiederherstellen lässt, indem die Testverfahren quasi als Agent Provocateur dargestellt werden, ist fraglich, zumal der Hersteller von „Angelegenheit“, „Aktivitäten“ und „Vorgehensweisen“ spricht, anstatt wirklich „für mehr Offenheit und Transparenz zu sorgen“, wie selber angekündigt. Die „Existenz, Herkunft oder den Inhalt von E-Mail-Nachrichten, die in den Medien erwähnt wurden“ und die den Testbetrug ans Licht gebracht hatten, zu kommentieren, dazu sei Ari Lehtoranta jedoch „nicht in der Lage“.
Die Beiträge, die seit vergangenem Freitag zur systematischen Täuschung von Reifentestern durch Nokian Tyres veröffentlicht wurden, „insbesondere in Finnland“, hätten „unterschiedlichste Spekulationen“ enthalten, will der Hersteller festgestellt wissen. „Die Artikel und Kommentare enthielten mehrere Sachfehler und unnötige Verknüpfungen zwischen nicht zusammenhängenden Angelegenheiten. Nokian Tyres arbeitet daran, die Missverständnisse aus der Welt zu schaffen“, schreibt das Unternehmen, nennt indes aber keine weiteren Details, welches Medium wann, wo und wie falsch berichtet haben soll.
Man fragt sich auch, wie die folgende Aussage von Nokian Tyres zu verstehen ist: „Kunden, die in den letzten Jahren Reifen aufgrund von Testergebnissen gekauft haben, haben Reifen erhalten, deren Eigenschaften den getesteten Reifen entsprachen.“ Man war sich eigentlich seit Freitag sicher, dass dies eben gerade nicht der Fall war, auch wenn zugegebenermaßen „in den letzten Jahren“ einige Zeitschriften – namentlich die ADAC Motorwelt und die Auto-Bild – Reifen für ihre ‚großen’ Tests ausschließlich im Handel kaufen. In der gleichen Mitteilung lässt Nokian Tyres allerdings auch wissen: „Als tatsächlich eine Testmanipulation [bei Nokian Tyres und bei anderen „Akteuren in der Branche“] stattfand, unterschieden sich die für den Test gesendeten Reifen und die an den Kunden verkauften Reifen nur in Bezug auf bestimmte Eigenschaften, nicht jedoch in Bezug auf die Qualität.“ – Das Krisenmanagement der Finnen scheint durchaus verbesserungsfähig ob solcher Widersprüchlichkeiten.
So oder so, bei Nokian Tyres ist man außerdem überzeugt, dass „es keine Gründe für eine Entschädigung“ gebe. Ob dies wirklich so ist, könnte demnächst ein Fall für die Gerichte werden. In Finnland jedenfalls ruft aktuell eine Anwaltskanzlei mit Sitz in Helsinki Nokian-Reifen fahrende Endverbraucher dazu auf, sich zur Vertretung ihrer vermeintlichen Rechte zu melden. Die Kanzlei Turre Legal geht offenbar davon aus, dass diese Anspruch auf eine Entschädigung haben. Mehr fürchtet man sich bei Nokian Tyres allerdings und vermutlich zu Recht, dass entsprechende Klagen auch in den Vereinigten Staaten eingereicht werden könnten. „Das Unternehmen betont, dass seine Reifen stets sicher waren und die Sicherheit zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt war.“ Außerdem: „Es hat niemals Versuche gegeben, Tests unserer Produkte zu beeinflussen, die für den Verkauf in Nordamerika bestimmt waren. Die Tests der wichtigsten europäischen, skandinavischen und russischen Magazine sind seit Jahren zuverlässig.“
„Unsere Fehler der Vergangenheit werden durch keine der obigen Aussagen akzeptabler“, schiebt der Hersteller dann doch noch hinterher. „Es sollte jedoch betont werden, dass die Sicherheit und die persönliche Bewertung der Qualität der Reifen durch die Fahrer am wichtigsten sind. Wir haben Millionen zufriedener Kunden, die mehrere Generationen umfassen.“ arno.borchers@reifenpresse.de
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