ATU-„Sonderinformation“ soll Marktstimmung positiv beeinflussen – Käufer verzweifelt gesucht
Dass die derzeitigen Investoren um den US-amerikanischen Finanzinvestor Centerbridge ATU gerne weiterreichen wollen, ist bereits seit Längerem bekannt. Ende Juli verdichteten sich entsprechende Informationen, die nun mit einem internen Rundschreiben von Jörn Werner, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Fachwerkstatt- und Autoteilekette, „an die Führungskräfte der ATU“ bestätigt wird; die „Sonderinformation“ liegt der NEUE REIFENZEITUNG vor. ATU habe mit „guten Fortschritten […] natürlich auch das Interesse von Investoren geweckt“, so Werner in dem Schreiben. In den vergangenen Monaten seien „diverse internationale Strategen […] mit dem Ziel einer Partnerschaft an uns herangetreten. Dies werten wir als Erfolg unserer Arbeit.“ Alles gut bei ATU?
Folglich hätten die ATU-Eigentümer nun die Investmentbank Goldman Sachs mandatiert, „diesen Prozess zu koordinieren“, so Werner weiter; Eigentümer Centerbridge und Co. – darunter auch Goldman Sachs selbst – sehen das „Ziel einer Partnerschaft“, mit anderen Worten: den Verkauf, „grundsätzlich positiv“. Dem Vernehmen nach ist Goldman Sachs derzeit aber weltweit vor allem auch eigeninitiativ unterwegs, um einen Investor für ATU zu finden. Interessant bei dem internen Rundschreiben: Es taucht in vielen Redaktionen gleichzeitig auf. Dies nährt den Verdacht, dass die „Sonderinformation“ zwar als intern gelten soll, was die ATU-Pressestelle auch gegenüber dieser Zeitschrift betont, sie aber vor allem einem Zweck dient: Sie soll die öffentliche Stimmung für die jetzt stattfindenden Verhandlungen mit der „größeren Gruppe von strategischen Interessenten“ positiv beeinflussen. Das Unternehmen, dessen Eigentümer und Management haben mit Sicherheit ein großes Interesse daran, dass Medien die „Sonderinformation“ über die „guten Fortschritte“ und das „Interesse von Investoren“ weitererzählen.
Werner schreibt, einer der Gründe für das Rundschreiben seien „in vereinzelten Medien falsch wiedergegebene Zahlen bzw. Zusammenhänge“, worin diese bestanden haben sollen, sagt er indes nicht. Dafür erläutert Werner aktuelle Geschäftszahlen, die er freilich positiv interpretiert.
Das Unternehmen mit Sitz in Weiden in der Oberpfalz hatte in den vergangenen fünf Jahren dem Schreiben zufolge im Jahresdurchschnitt sechs Prozent bei Umsatz und Rohertrag eingebüßt; von den einst 1,28 Milliarden Euro Umsatz (2008) waren im jetzt abgelaufenen Geschäftsjahr 2015/2016 gerade einmal noch 977 Millionen Euro übrig. Auch für das neue Jahr prognostiziert ATU 990 Millionen Euro Umsatz. In den vergangenen drei Monaten (Mai bis einschließlich Juli) seien die Umsätze mit 227 Millionen Euro „stabil auf Vorjahresniveau“ und „damit exakt auf Plan“ gewesen, während die Roherträge in diesem Zeitraum mit 149 Millionen Euro um 0,9 Prozent zurückgegangen sein sollen. In diesem Jahr will das Unternehmen ein operative Ergebnis von 36 Millionen Euro erzielen und mittelfristig eine „nachhaltige Profitabilität“ erzielen. Wie diese Kennziffer in den vergangenen Jahren ausgefallen ist, erwähnt Werner indes nicht. Auch nicht, wie das Ergebnis am Ende des Geschäftsjahres ausfiel.
Wenn man will, kann man in diesen Zahlen schon durchaus Positives sehen, musste ATU doch wie oben berichtet in den vergangenen Jahren deutliche Rückgänge bei vielen Unternehmenskennzahlen hinnehmen. „Zumindest geht’s nicht weiter bergab“, könnte die verzweifelte Message von Jörn Werner lauten. „Wir haben erstmalig wieder Stabilität hergestellt und damit die Basis für eine nachhaltige Aufwärtsentwicklung geschaffen“, interpretiert der Versitzende der Geschäftsführung diese Zahlen, die wir freilich im Moment nicht verifizieren können. Auf Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG bestätigte man in Weiden, man veröffentliche grundsätzlich keine Geschäftsberichte und die aktuellen Zahlen für das Geschäftsjahr 2015/2016 lägen abschließend noch nicht vor.
Inwiefern Werner mit seiner Interpretation der Zahlen recht behält, müssen ATU und deren Geschäftsführung erst einmal nachweisen. Ob die beschriebene „Stabilisierung der Geschäftsergebnisse“ Wunschdenken ist oder auf einem festen Fundament steht, muss man zumindest mit Blick auf die Vergangenheit des Unternehmens hinterfragen; es bleiben durchaus Zweifel.
Über einzelne Geschäfts- und Produktbereiche lässt Jörn Werner sich in seiner „Sonderinformation“ nicht im Detail aus. Gerade in Bezug auf das Reifengeschäft – ATU hängt finanziell dem Vernehmen nach sehr stark am Winterreifengeschäft – hätte der Vorsitzende der Geschäftsführung durchaus den einen oder anderen Punkt erwähnen können. Der Chef der Fachwerkstatt- und Autoteilekette mit ihren „über 600 Filialen in Deutschland, Österreich und Schweiz“ (ATU-Zahlen) – 576 davon in Deutschland – hätte seinen Führungskräften beispielsweise erklären können, wie es um die Warenkreditversicherungen bestellt ist. Mehreren Quellen zufolge hätten die Warenkreditversicherer ATU gekündigt; gerade so kurz vor dem Beginn der Umrüstsaison ein überaus problematischer Umstand, sollte die Reifenindustrie jetzt doch die ATU-Läger füllen. Dem Vernehmen nach vermarktet ATU jährlich 3,5 Millionen Reifen. arno.borchers@reifenpresse.de
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