Böden – ein Landwirtschaftsreifenthema
Auch Pressemitteilungen unterliegen Trends. In Bezug auf Landwirtschaftsreifen ist mittlerweile kein Produkt mehr davor sicher, in Presseinfos als „besonders bodenschonend“ apostrophiert zu werden, gegen „Bodenverdichtung“ zu wirken usw. usw. Welches technische Detail zu derartigen Eigenschaften führt wird schon seltener thematisiert, manchmal auf die im Vergleich zu einem Vorgänger- oder (namentlich nicht genannten) Wettbewerbermodell vergrößerte Aufstandsfläche hingewiesen, aber selten bis nie in die Tiefe gegangen. So verkommt ein wichtiges Thema zu einem Schlagwörterfriedhof.
Das ist sehr bedauerlich, denn das Thema ist einfach viel zu wichtig. Es geht um Existenzielles für die Menschheit, es geht um Böden. Der Einflussfaktor von Reifen für die Ernährung der Menschheit ist limitiert. Für den globalen Klimawandel macht die Reifenindustrie keiner verantwortlich, für Versteppungen, Ausbreitungen von Wüsten, das Problemfeld Bodenerosion und -versiegelung, -versalzung und -vergiftung auch nicht. Wo hochmodernes und sehr schweres landwirtschaftliches Gerät steht und fährt, da wird es allerdings kritisch. Hier geht es nicht um das bei Pkw-Reifen immer wieder strapazierte Beispiel, dass deren vier postkartengroßen Aufstandsflächen die einzige Verbindung zur Fahrbahn sind. Es sind schon einige Postkarten bei Landwirtschaftsreifen, die die Verbindung zu landwirtschaftlich bearbeiteten Flächen herstellen, zu den Böden.
2015 von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Böden erklärt
Dass 2015 von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Böden erklärt worden ist, ist weithin unbekannt. Böden haben keine Lobby, dass ihr Schutz notwendig ist, hat es nicht in das Bewusstsein der Menschen geschafft. Vielleicht noch nicht, vielleicht in ein paar Jahren, wenn es hoffentlich noch nicht zu spät ist. Für die Böden. Daher hier ein wenig Input, worum es überhaupt geht.
Fruchtbarer Boden ist eine knappe Ressource, und die nimmt nicht zu, sondern ab. Schon heute, bei einer geschätzten Weltbevölkerung von 7,3 Milliarden Menschen, gelingt es der globalen Landwirtschaft nicht, etwa 800 Millionen Menschen den Hunger zu nehmen. Wie soll das erst im Jahre 2050 gelingen, wenn neun Milliarden Menschen (andere Rechnungen gehen sogar von bis zu 9,6 Milliarden aus) die Erde bevölkern? Um 70 Prozent (!) müsste die Nahrungsmittelproduktion bis dahin erhöht werden, hat die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) hochgerechnet, um neun Milliarden Menschen satt zu bekommen. Die Ernährung der Menschen durch das, was Meere, Seen und Flüsse hergeben, ist bedroht durch Überfischung. Überhaupt liegt dieser Anteil an allen global zur Verfügung stehenden Nahrungsmitteln im einstelligen Prozentbereich. Etwa 95 Prozent aller Nahrungsmittel stehen in direkter Verbindung zu den Böden. Weil sie beweidet werden, weil auf ihnen Getreide, Obst oder was auch immer angebaut wird, das zur Ernährung von Menschen dient. Der sogenannte „Tank-oder-Teller-Konflikt“, bei dem der Boden nicht der Ernährung von Menschen dient, sondern auf dem Energie für Fahrzeuge gewonnen wird, soll an dieser Stelle einmal ausgeklammert bleiben, obwohl auch das ein Thema wäre, das äußerst lohnend ist, thematisiert zu werden, aber eben eher ein ethisches ist denn eines, das hier von einer Reifenfachzeitschrift beleuchtet werden soll.
Die ultradünne Haut der Erde
Böden sind der belebte oberste Teil der Erdkruste, humusreiche Muttererde ist zwanzig, vielleicht dreißig Zentimeter dick. Böden versorgen Pflanzen mit Nährstoffen und Wasser, das sie obendrein filtern, sauberes Trinkwasser gäbe es ohne die segensreiche Hilfe von Böden nicht. Böden sind ein gewachsenes Naturgut, gemessen am ganzen Globus ist ihr Anteil nahe Null. Er ist leicht zerstörbar und er wird allzu leicht zerstört. Mit jedem Bodenaushub wird fruchtbarer Boden vernichtet. Unfruchtbare Schichten gelangen zuoberst, fruchtbare verschwinden in zwei oder drei Metern Tiefe und sind verloren. Böden gehören zu den wertvollsten Gütern der Menschheit.
Böden kann man nicht einfach reproduzieren oder vermehren. In Generationen gesehen sind Böden eine nicht erneuerbare Ressource, sie benötigen Tausende von Jahren, um zu regenerieren – wenn sie überhaupt dazu die Möglichkeit erhalten. Im privilegierten Europa (die Böden hier sind aufgrund der „nur“ 10.000 Jahre zurückliegenden Eiszeit noch jung und fruchtbar) dauert es bestenfalls etwa zehn Jahre, dass sich auch nur ein Millimeter Boden gebildet hat, in anderen Klimaten – so der Mensch sich denn aus der Natur heraushält – dauert es tausend Jahre, bis sich ein Zentimeter fruchtbarer Boden gebildet hat. Aber der Mensch hält sich nicht raus, auch nicht auf dem Acker: Je intensiver die landwirtschaftliche Nutzung, desto mehr fruchtbarer Boden geht verloren. Wir wollen immer mehr Menschen satt bekommen, die industrielle Landwirtschaft treibt mit immer größeren Maschinen, chemischen Hochleistungsdüngemitteln und für den Boden lockerndes Kleingetier hochgiftigen Pestiziden die Erträge auf immer neue Rekordhöhen – und vernichtet auf lange Sicht die Lebensgrundlage.
Bodenverdichtung ist ein Problem, Bodenvernichtung die Realität. Die Schäden, die die Menschheit den Böden zufügt, sehen nicht spektakulär aus, sie sind oftmals nicht einmal offensichtlich. Man schätzt, dass jährlich mehr als 20 Milliarden Tonnen weltweit verlorengehen, dass es die Menschen schon geschafft haben, ein Viertel der globalen Erdoberfläche für die Nahrungsmittelerzeugung unbrauchbar gemacht zu haben. Heute haben wir global gesehen knapp fünf Milliarden Hektar, die landwirtschaftlich zur Ernährung genutzt werden, davon weniger als ein Drittel als Acker-, der Rest als Weideland. Die Wälder dieser Erde anzutasten, verbietet sich, sie sind der große CO2-Speicher des Planeten und unser aller Lunge.
Es gibt keine Patentrezepte
In Afrika erfolgt Bodenvernichtung beispielsweise durch Wüstenbildung oder Erosion, aber auch durch Überweidung. Unsere schlauen europäischen „Patentrezepte“ wie mit Hochleistungssaatgütern oder modernsten Erntegeräten zu arbeiten werden hier nicht funktionieren. In Europa gilt es, der anhaltenden Flächenversiegelungen durch immer neue Verkehrswege Einhalt zu gebieten, aufzuhören mit Überdüngungen und damit langfristige Schäden an Böden hinzunehmen und bereits kurzfristige beim Grundwasser. Bodenschonende Technologien in der Landwirtschaft sind ein ganz kleiner, gleichwohl wichtiger Beitrag, um die Problematik einzudämmen. Mehr als ein Drittel aller Ackerböden in der EU gelten bereits als verdichtet. Das erkennt man daran, dass ihnen die organische Substanz abhanden gekommen ist. Ein einziger Starkregen spült solche Böden weg, weil die in ihnen einst enthaltenen aufs Komplizierteste miteinander vernetzten Lebensgemeinschaften von Wurzelwerk und Kleinstgetier vernichtet worden sind. Wir feiern immer größere, immer schwerere Traktoren und immer größere und folgerichtig auch immer schwerere Reifen, das ist kein Beitrag, der Bodenverdichtung Einhalt zu gebieten – die Böden hätten’s gern eine Nummer kleiner. detlef.vogt@reifenpresse.de
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