„Es geht um das Überleben der Lkw-Reifenrunderneuerung“ – NRZ-Interview
Der Wettbewerbsdruck auf die Runderneuerungsbranche in Europa und damit auch in Deutschland mit seinen immer noch stark mittelständisch geprägten Strukturen hat in den vergangenen Monaten nicht nachgelassen. Die Marktentwicklung bei runderneuerten Lkw-Reifen ist anhaltend rückläufig, konstatiert dementsprechend auch der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV). Im Interview mit der NEUE REIFENZEITUNG betont BRV-Geschäftsführer Hans-Jürgen Drechsler, „dass es um das Überleben der Lkw-Reifenrunderneuerung in Deutschland und Europa geht“. Allerdings wehrt sich die Branche und hat dazu die PR- und Imagekampagne „Pro Runderneuerung“ aufgelegt, die allerdings nicht mehr als „den unterstützenden Rahmen für die vielfältigen Aktivitäten der Runderneuerer selbst vor Ort bilden kann“, so Drechsler; die Initiative eines jeden Einzelnen ist gefragt. Wie ist da der Status quo?
Neue Reifenzeitung:
Die PR- und Imagekampagne „Pro Runderneuerung“ läuft jetzt seit rund fünf Monaten. Ist es schon Zeit, ein Fazit zu ziehen? Wie fällt dies aus?
Hans-Jürgen Drechsler:
Die Marktentwicklung bei runderneuerten Lkw-Reifen ist anhaltend rückläufig, was maßgeblich den steigenden Importen von Billig-Lkw-Reifen außereuropäischer Produktion geschuldet ist. Auch wenn wir vor diesem Hintergrund schon seit weit mehr als fünf Monaten mit den Runderneuerern unter unseren Mitgliedsunternehmen im Gespräch sind und zwei sehr intensive Meetings zur Zukunft der mittelständischen Runderneuerung mit ihnen durchgeführt haben – die PR- und Imagekampagne Pro runderneuerte Lkw-Reifen haben wir erst endgültig Ende August dieses Jahres gestartet. Insofern ist es noch etwas früh, ein Fazit zu ziehen. Man kann aber heute schon sagen, dass die Kampagne, die unter den Überschriften „Gebt Lkw-Reifen ein zweites Leben. Unserer Umwelt zuliebe!“ und „Deutschland runderneuert mit Qualität!“ läuft, in der Reifen- und Speditionsbranche angekommen ist. Insbesondere auf der eigens dafür kreierten Website www.deutschlandrunderneuert.de machen wir auf die Umweltaspekte sowie die Leistungsfähigkeit der runderneuerten Reifen aufmerksam. Die Website stellt alle Zahlen und Fakten dar und untermauert den Vorteil des Einsatzes von runderneuerten Lkw-Reifen. Weitere Maßnahmen der Kampagne sind Anzeigen und Onlinebanner, im Aufbau sind diverse Social-Media-Aktivitäten. Optisches Highlight ist das eingetragene Signet der Kampagne: ein Q, bei dem das O ein Reifenprofil mit grünem Rand symbolisiert und der Q-Strich die Deutschlandfarben zeigt. Der passende Claim dazu: Runderneuerte mit Qualität. Wie neu.
Neue Reifenzeitung:
Man hatte im vergangenen Sommer das Gefühl, dass die Runderneuerungsbranche in der Krise wirklich eng zusammenrückt. Haben Sie das auch so erlebt?
Hans-Jürgen Drechsler:
Ja, das habe ich – bis auf wenige Ausnahmen – genau so erlebt und es hält nach wie vor an. Mittlerweile nicht mehr nur auf nationaler Ebene. Sondern im Schulterschluss mit den Materialherstellern und fast allen Reifenherstellern, die selbst runderneuern, zunehmend auch auf europäischer Ebene über den BIPAVER.
Neue Reifenzeitung:
Haben Sie denn von jedem, den Sie brauchten, die Überstützung erhalten, die Sie brauchten, um die Kampagne „Pro Runderneuerung“ voranzutreiben?
Hans-Jürgen Drechsler:
Grundsätzlich ja, wobei man bei solchen Aktivitäten sicherlich nie 100 Prozent erreicht. Wir sind aber bei dieser Kampagne nahe daran, was die Runderneuerungsbetriebe selbst, die Materiallieferanten und die Reifenhersteller betrifft, die selbst runderneuern.
Neue Reifenzeitung:
Denken Sie, dass da ein Zusammengehörigkeitsgefühl und ein Bedürfnis nach Kooperation entstanden ist, das in Deutschland und vielleicht Europa nachhaltig ist?
Hans-Jürgen Drechsler:
Ja, ich denke schon. Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene sind die unabhängigen mittelständischen Runderneuerer, aber auch die Materiallieferanten und fast alle Reifenhersteller, die runderneuern, deutlich zusammengerückt. Das hat natürlich seine primäre Ursache in der eingangs geschilderten Marktsituation, die alle Runderneuerer gleichsam trifft – unabhängig von der existenten Wettbewerbssituation untereinander. Betrachtet man den Importboom an Billig-Lkw-Reifen außereuropäischer Produktion – die mittlerweile unter dem Preis für Runderneuerte in den Markt gepusht werden –, kann man ohne Übertreibung mittlerweile davon sprechen, dass es um das Überleben der Lkw-Reifenrunderneuerung in Deutschland und Europa geht.
Neue Reifenzeitung:
Was haben Sie vonseiten des BRV und der dort vereinten Runderneuerer und Materiallieferanten nun konkret unternommen? Welche Mittel haben Sie im Rahmen der Kampagne mit welchen Zielsetzungen gewählt?
Hans-Jürgen Drechsler:
Alle Beteiligten, also die Runderneuerer, Materiallieferanten, System- und Lizenzgeber und der BRV, haben sich auf ein gemeinsames Budget verständigt – größer 100.000 Euro –, aus dem die Kampagne finanziert wird. Deren Inhalt und Darstellung ist von den Beteiligten klar vorgegeben und umfasst folgende zu kommunizierende Eckpunkte:
- die hohe Qualität (Laufleistung etc.) runderneuerter Lkw-Reifen als typengenehmigte Produkte nach UN-ECE-R 109,
- die Umweltrelevanz (Ressourcenschonung etc.) der Runderneuerung an sich,
- die Runderneuerung als Hightech-Technologie (einschließlich Shearografie etc.),
- betriebswirtschaftliche Betrachtungen/Berechnungen der Vorteile runderneuerter Lkw-Reifen (Kosten pro Kilometer etc.),
- nach Möglichkeit positive – namhafte – Referenzen der Anwendung/des Einsatzes runderneuerter Lkw-Reifen aus unterschiedlichen Anwendungsgebieten: Nationaler und internationaler Fernverkehr (Long Distance), Kombinierter Fern- und Verteilerverkehr (Regional Traffic), Innerstädtischer Nahverkehr incl. ÖPNV (Urban Traffic), Baustellenverkehr (Construction), Sonderfahrzeuge im Spezialeinsatz (Off Road – Mehrzweckaufgaben).
Zielgruppen dabei sind gleichermaßen:
- Anwender/Verbraucher,
- Verbände etc. im Speditions-/Transportwesen in Deutschland,
- Öffentliche Bedarfsträger (ÖPNV etc.), Großflotten (z. B. Post),
- Speditions- und Transportbetriebe in Deutschland, wiederum nach Anwendungsgebieten (siehe oben) und schließlich
- Reifenfachhandels- und -Servicebetriebe/BRV-Mitglieder als Absatzmittler runderneuerter Reifen.
Neue Reifenzeitung:
Die Anzeigen und Banner der Kampagne wurden in den vergangenen Monaten vielfach gesehen. Was fand darüber hinaus an weniger öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen statt, hat aber Ihrer Meinung stark gewirkt?
Hans-Jürgen Drechsler:
Neben der gewollten Präsenz in den zielgruppenrelevanten Medien über Anzeigen- und Bannerwerbung ging es in diesem Zeitraum parallel darum, die Website www.deutschlandrunderneuert.de als neutrale Informationsplattform zu den oben genannten Inhalten für die definierten Zielgruppen inhaltlich zu füllen, damit sie auch entsprechend genutzt werden kann.
An dieser Stelle muss man aber auch klar einschränken, dass eine solche PR- und Imagekampagne nur den unterstützenden Rahmen für die vielfältigen Aktivitäten der Runderneuerer selbst vor Ort bilden kann. Zumindest ist es uns bis dato gemeinsam gelungen, wie beabsichtigt den runderneuerten Lkw-Reifen wieder etwas mehr in den Fokus der damit befassten Öffentlichkeit zu bringen.
Neue Reifenzeitung:
Es ist immer schwer, den Erfolg einer Kampagne mit harten Fakten zu Belegen. Woran messen Sie bisher den Erfolg Ihrer Kampagne?
Hans-Jürgen Drechsler:
Wie eben schon gesagt: Daran, dass es uns sukzessive gelingt, den runderneuerten Lkw-Reifen wieder deutlich in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen, ihn als umweltrelevantes Produkt im Sinne von Ressourcenschonung dazustellen und damit dazu beizutragen, dass der Anteil runderneuerter Reifen am Lkw-Reifenersatzgeschäft stabilisiert und möglichst wieder ausgebaut werden kann.
Neue Reifenzeitung:
Unterstützt die Mehrheit Ihrer Mitglieder aus dem Reifenhandel eigentlich die Kampagne für die Runderneuerung? Auch der BRV insgesamt ist ja an den Ausgaben beteiligt. Oder gab es da auch Widerstände?
Hans-Jürgen Drechsler:
Die Mehrheit der Runderneuerungsbetriebe, die (bis auf eine Ausnahme) quasi zu 100 Prozent im BRV organisiert sind, unterstützt die Kampagne. Widerstände gab es nicht. Wir glauben schon, dass die Mehrheit unserer Mitglieder, auch wenn sie selbst keine Runderneuerer sind, die Kampagne unterstützt. Auf der anderen Seite soll ja die Kampagne gerade auch diese Klientel – die Vermarkter von Lkw-Reifen – wieder stärker für runderneuerte Lkw-Reifen sensibilisieren. Widerstände dazu gab es bis dato – zumindest unserer Kenntnis nach – aus dem Reifenhandel nicht.
Neue Reifenzeitung:
Soll die Kampagne denn über den Winter und im kommenden Jahr weiterlaufen?
Hans-Jürgen Drechsler:
Sie ist mit dem derzeitigen Budget vorerst auf zwölf Monate konzipiert, also wird sie erst einmal bis zum Sommer 2016 weitergeführt.
Neue Reifenzeitung:
Müsste dazu denn das Budget von aktuell „größer 100.000 Euro“ noch einmal aufgestockt werden? Wenn ja, was sind dabei die Pläne?
Hans-Jürgen Drechsler:
Natürlich macht es unbedingt Sinn, eine solche Kampagne auf mindestens drei Jahre auszulegen. Ob uns das allerdings hinsichtlich der dafür notwendigen Budgets gelingen wird, bleibt abzuwarten. Versuchen werden wir es. Das werden aber die Runderneuerer im Frühjahr nächsten Jahres zu entscheiden haben.
Neue Reifenzeitung:
Ist das aktuelle Budget denn bereits ausgeschöpft und bei wie viel „größer 100.000 Euro“ liegt dies?
Hans-Jürgen Drechsler:
Ich bitte um Verständnis, dass wir hierzu keine genauen Zahlen veröffentlichen. Da die Planungen aber, wie schon erwähnt, bis Sommer 2016 gehen, ist das Budget derzeit noch nicht voll ausgeschöpft.
Neue Reifenzeitung:
Neben der kurzfristig umzusetzenden PR- und Imagekampagne haben Sie im Sommer noch weitere (mögliche) Maßnahmen beschlossen. Wie steht es um die staatliche Förderung von runderneuerten Reifen in Flotten à la De-minimis?
Hans-Jürgen Drechsler:
Der entsprechende Antrag wurde vom BRV an das zuständige Ministerium gestellt, ist aber noch nicht entschieden. Das hängt auch damit zusammen, dass es nach wie vor Aktivitäten gibt, das De-minimis-Förderprogramm (das ja umweltschonende Neureifen und runderneuerte Reifen beinhaltet) in 2016 doch weiter fortzuführen. Wenn dem so sein sollte, kommt es aus unserer Sicht in erster Linie darauf an, dass runderneuerte Lkw-Reifen nach wie vor in diesem Rahmen gefördert werden, denn eine zusätzliche Förderung käme dann nicht in Frage. Dementsprechend wurde der Antrag formuliert; er beantragt aber auch für den Fall des Auslaufens von De-minimis eine anschließend weiterlaufende Förderung nur von runderneuerten Lkw-Reifen.
Neue Reifenzeitung:
Und gibt es Neuigkeiten zu einem möglichen Antidumpingverfahren gegen vermeintliche Billigreifen aus China?
Hans-Jürgen Drechsler:
Bekanntermaßen engagiert sich der BRV im Rahmen seiner BIPAVER-Mitgliedschaft bereits seit dem Frühjahr dieses Jahres in dieser Sache. Dabei sind wir uns bewusst, dass die Initiierung eines Antidumpingverfahrens einer vielfältigen politischen Diskussion und Überzeugungsarbeit in Brüssel und damit längerer Zeiträume bedarf. Darüber hinaus ist juristisch immer noch nicht eindeutig geklärt, ob das adäquate Verfahren gegen Lkw-Billigneureifen aus außereuropäischer Produktion (in der Regel aus China) in einem sogenannten Schutzmaßnahmenverfahren oder eben einem Antidumpingverfahren besteht. Im Schulterschluss der gesamten Reifenbranche in Europa wird aber nunmehr gemeinsam parallel an beiden Varianten intensiv gearbeitet, und zwar derzeit sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene; insbesondere in Deutschland, Großbritannien und Italien.
Verschärft hat sich die Notwendigkeit solcher Maßnahmen auch in Europa dadurch, dass mittlerweile nicht mehr nur in den Wachstumsmärkten Brasilien und Indien Antidumpingschutzzölle auf chinesische Lkw-Reifen erhoben werden. Auch in der Türkei, Ägypten, Südamerika (Argentinien und Kolumbien), in der eurasischen Wirtschafts- und Zollunion (Russland, Weißrussland und Kasachstan) und in den USA wird das wohl derzeit überprüft. Insofern steht zu befürchten, dass mit der weiteren Abschottung anderer Märkte der Importdruck von Billig-Lkw-Reifen in Europa noch deutlich zunehmen wird, wenn sich Europa nicht dagegen schützt. ab
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