Studie: Verschiebungen bei den Automobilmärkten
Der weltweite Automobilmarkt steht unter Strom durch zahlreiche Verschiebungen und Verwerfungen von Märkten sowie durch neue Entwicklungen, die von Elektro- oder Hybridautos über intelligente Fahrzeugsteuerung bis hin zu Car-Sharing-Diensten reichen. Zu diesem Schluss kommt der Kreditversicherer Euler Hermes in einer aktuellen Studie „Auto market – a live wire“. Insgesamt sind die Aussichten der Automobilbranche gut, vor allem getrieben durch die sich merklich erholenden und stabil wachsenden traditionellen Märkte in den USA und Europa. Dies täuscht allerdings nicht über zahlreiche Probleme, insbesondere in den Schwellenländern hinweg. Einen harschen Gegenwind spüren die deutschen Autobauer derzeit vor allem in China. Aber auch die Rezession in Brasilien und Russland macht ihnen zu schaffen.
„China war viele Jahre ein wahres El Dorado für deutsche Autobauer – quasi alles, was sie anpackten, wurde dort fast automatisch zu Gold“, so Ludovic Subran, Chefvolkswirt der Euler Hermes Gruppe. „Zwischen 2008 und 2014 hat sich der chinesische Automarkt verdreifacht mit durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten von 30%. Das war in europäischen Krisenzeiten das stabile neue Standbein – das nun aber anfängt zu wackeln. Für 2015 und 2016 erwarten wir gerade mal noch ein Wachstum von 3% – ein Zehntel der letzten Jahre. Das Land der Mitte macht inzwischen bei einigen Autobauern jedoch bis zu einem Drittel des Absatzes aus, sodass eine große Abhängigkeit besteht und sich China auch nicht einfach durch einen beliebigen anderen Markt kompensieren lässt. Die Autobauer hängen inzwischen am Tropf des chinesischen Markts. Die Börsenturbulenzen und Yuan-Abwertung machen ihnen zusätzlich zu schaffen, denn diese verteuern ihre exportierten Fahrzeuge der Luxusklasse erheblich. Davon profitieren die chinesischen Hersteller: Sie haben im Gegenzug ihren Marktanteil um 10 Prozentpunkte auf 42% stark ausgebaut.“
Die Zahlungsmoral in China hat sich ebenfalls erheblich verschlechtert. Rechnungen werden im Reich der Mitte im Schnitt 22 Tage später bezahlt also noch 2007, zwischen 2014 und 2015 verschlechtert sich dies nach Einschätzungen von Euler Hermes um weitere zwei Tage. In der Automobilbranche ist die Zahlungsmoral in China besonders schlecht, Zahlungsziele werden bis auf das Maximum ausgereizt: Ganze 106 Tage liegen bei börsennotierten Unternehmen in der Automobilbranche durchschnittlich zwischen Rechnungslegung und Begleichung von Forderungen, bei kleineren Unternehmen oft sogar noch weit darüber. Der weltweite Schnitt in der Branche liegt hingegen bei lediglich 58 Tagen, das sind 48 Tage mehr.
„Eine wachsende Anzahl von Unternehmen in China ist auf Lieferantenkredite angewiesen, da der Zugang zu Bankkrediten oder alternativen Finanzierungsmöglichkeiten eingeschränkter ist“, sagt Thomas Krings, Risikovorstand bei Euler Hermes. „Verbreitet sind daher extrem lange Zahlungsziele sowie das Ausreizen dieser Ziele bis hin zum Zahlungsverzug. Nichtzahlungen haben sich in 2014 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Das führt in einem Teufelskreis auch zu einem Anstieg der Insolvenzfälle. 2015 gehen wir in China von 8% mehr Insolvenzen aus – entgegen dem weltweiten Trend, nachdem die Insolvenzen um 2% sinken.
Im Gegensatz zum chinesischen Markt glätten sich die Sorgenfalten der Autobauer in den traditionellen Märkten zunehmend. Der amerikanische Markt kehrt bei den Verkaufszahlen zu seinem Vorkrisenniveau zurück und wächst 2015 um 4% sowie 2016 um etwas schwächere 1%. Auch Europa ist mit 5% Wachstum im laufenden und voraussichtlich 4% im kommenden Jahr auf dem Weg aus der Krise, auch wenn Europa bei den verkauften Fahrzeugen noch deutlich hinter dem Vorkrisenlevel zurückbleibt. Deutschland nähert sich mit 3,2 Millionen verkauften Autos und einem Zuwachs von 3% in 2015 und 1,5% in 2016 langsam seinem mittelfristigen Durchschnitt (3,3 Millionen), während Nachbar Frankreich mit 10% noch weit von einstigen Hochzeiten entfernt ist. Dennoch kommt auch der französische Markt mit +4% und +2% in den kommenden Jahren nach Ansicht von Euler Hermes wieder in den Tritt. Spitzenreiter beim Autokauf sind allerdings die Briten: Dort erwarten die Experten 5% mehr Registrierungen in 2015. Damit liegen sie sogar über dem langjährigen Durchschnitt bei den Verkaufszahlen.
Doch auch in diesen Märkten gibt es neue Herausforderungen, denen sich die Autobauer in der Zukunft stellen müssen: Car-Sharing ist beispielsweise in Deutschland, im Land der Luxusautos, auf dem Vormarsch und wird in 490 Städten angeboten. Waren 2010 gerade mal 200.000 Deutsche bei Car-Sharing-Dienstleistern registriert, sind es heute mit mehr als einer Million bereits fünf Mal so viele. In den USA ist Uber auf dem Vormarsch und andere, neue Dienste sprießen zunehmend aus dem Boden.
„Noch sind sie für die Autobauer keine Bedrohung“, meint Krings. „Aber sie dürfen nicht bei Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sparen. Im Gegenteil: Sie müssen sich auf viele neue Entwicklungen einstellen und rechtzeitig vorbereiten, wenn sie nicht den Zug verpassen wollen. Vernetzte Autos, emissionsarme Fahrzeuge, e-Mobilität oder die Hybridtechnologie à la Tesla sowie autonomes Fahren sind heute noch weitestgehend Zukunftsmusik – aber sie sollten anfangen, sie zu komponieren. Das ist zwar mit hohen Kosten verbunden zu einer Zeit, in der der größte Absatzmarkt schwächelt, es ist aber dennoch unausweichlich, wenn sie langfristig mitspielen wollen.“
„Die einstigen Lieblinge der Autobauer, Brasilien und Russland, bereiten weiterhin Kopfschmerzen: Brasilianische Zulassungen sinken um 14%, in Russland sogar um 36%“, sagt Subran. „Zum Glück ist Licht am Horizont mit neuen Hoffnungsträgern. Neben Indien tauchen vor allem Saudi-Arabien und die Türkei bei den Favoriten auf. Auch der Iran bietet künftig enormes Potenzial, auch wenn die Öffnung ein langwieriger und zunächst sehr holpriger Weg mit einigen Schlaglöchern sein wird. Diesen sollten die Autohersteller besser gekonnt ausweichen, denn die Entwicklungen in Thailand, Argentinien und Venezuela sollten ihnen noch schmerzhaft in Erinnerung geblieben sein – wirtschaftliche und politische Risiken können jederzeit zu einem Plattfuß führen, bei dem man nicht genau weiß, wann und ob der Abschleppdienst kommt.“ dv
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