Das Geschäft mit Lkw-Reifen
Die Zukunft des Lkw-Reifenfachhandels hat die BBE Automotive im Auftrage des BRV beleuchtet und in eine Studie unter dem Titel „Der Markt für Lkw-Ersatzreifen 2020“ gegossen. Quintessenz: Die Anforderungen werden zwar steigen, aber die Chancen für in diesem Segment bereits heute überproportional stark engagierte Reifenfachhändler auch. Die Ergebnisse der BBE-Untersuchung sind im Rahmen zweier Workshops auf der Essener „Reifen“ präsentiert und mit den Besuchern erörtert worden.
„Wenngleich der Reifenfachhandel nach wie vor mit 90 Prozent einen sehr hohen Distributionsanteil an der Nutzfahrzeugvermarktung hält, so wird es nicht gerade einfacher, Profitabilität zu generieren. Die Anforderungen der Kunden bezogen auf die zu erbringenden Leistungen steigen, die Technik wird komplexer, der Wettbewerb nimmt zu“, hatte der BRV seinen Mitgliedern geschrieben, um sie zur Teilnahme an der Veranstaltung zu animieren.
Die in diesen Dingen erfahrenen Verfasser der Studie haben denn auch die beiden identischen Workshops geleitet und konnten eine mehr als passable Beteiligung konstatieren. Das ist um so bemerkenswerter, weil es zwei Tage zuvor ja bereits eine Präsentation der Kernergebnisse der Studie auf der Mitgliederversammlung des BRV gegeben hatte. Man mag es als ein Indiz werten, dass die vielerorts und immer mal wieder geäußerte Kritik am deutschen Reifenfachhandel, er komme nicht „aus dem Quark“, eine unzulässige Pauschalisierung ist und jedenfalls bei starken Lkw-Reifenvermarktern durchaus Lernbereitschaft da ist, was die Analyse des Lkw-Reifengeschäftes anbelangt. Um daraus die nötigen Schlüsse für die eigenen Betriebe zu ziehen. Dieses BRV-Angebot im Rahmen der Messe war durch und durch sinnvoll, die BBE-Repräsentanten haben es auch nicht an der nötigen Professionalität mangeln lassen.
Darwinismus im Lkw-Reifenhandelsgeschäft
Was Lkw-Reifenprofis seit Jahren beobachten oder wenigstens vorhersagen, zeigt auch die Studie: Es findet auf Seiten des Reifenfachhandels ein Selektionsprozess statt. Die Starken bei der Lkw-Reifenvermarktung werden tendenziell noch stärker, die Schwachen werden weniger. Wobei es den Verfassern der Studie um die „richtigen“ Lkw-Reifen geht, also jenen von 17,5 Zoll an aufwärts.
Der Lkw-Reifenersatzmarkt war über Jahre hinweg erstaunlich stabil und schwankte bis zum Jahr 2007 bei um die 3,2 Millionen Einheiten jährlich. Je nach konjunktureller Situation, Verfügbarkeit von Karkassen in den wichtigsten Dimensionen aufgrund von Neureifentrends und weiteren kleineren Stellschrauben hatte in dem einen Jahr das Neureifengeschäft (durchschnittlich um die zwei Millionen Stück pro Jahr), in dem anderen die Lkw-Reifenrunderneuerung (durchschnittlich um die 1,2 Millionen Stück pro Jahr) leichte Anteile gewonnen oder verloren. Dann kamen nach der Lehman-Pleite erst die große Finanz-, dann die Wirtschaftskrise, die tiefe Spuren auch im deutschen Transportgewerbe hinterließen. Zwar folgte bekanntermaßen ein Erholungsprozess, aber das „Vor-Krisen-Niveau wird nicht wieder erreicht. Zudem werden die Ausschläge im Absatz größer. Das Geschäft wird volatiler“, konstatieren die Verfasser der Studie nüchtern. Wobei der Anteil Runderneuerter tendenziell steige seit 2008, aber jedenfalls in Deutschland unterhalb der 40-Prozent-Schwelle verharrt.
Dass es beispielsweise analog etwa zu Pkw-Neuzulassungen eine gewisse Spannbreite gibt, in der sich das Lkw-Reifenersatzgeschäft bewegt, liegt auf der Hand: bei positiver Konjunktur mit einem gewissen Ausschlag nach oben, bei negativer mit einem ebenso übersichtlichen Ausschlag nach unten. Gleichwohl: Dank des technischen Fortschrittes werden einerseits die Neureifenhersteller sukzessive für höhere Laufleistungen und andererseits dank verbesserter Runderneuerfähigkeit von Fernostreifen deren Anbieter dafür sorgen, dass der Lkw-Neureifenabsatz bröckelt. Daraus resultierende Überkapazitäten bei den hiesigen Herstellern und die gerade in den letzten Jahren zunehmend zu beobachtenden Versuche von Newcomern, im Lkw-Segment Fuß zu fassen (Apollo und Maxxis/Cheng Shin seien als zwei ernsthafte, weil finanzstarke und erwiesenermaßen leistungsfähige Beispiele genannt), lassen erwarten, dass die Marktverhältnisse anspruchsvoller und Preisscharmützel zur Tagesordnung werden. Es mag einen „Darwinismus“ auf Handelsseite geben, auf Herstellerseite ist die Artenvielfalt noch nicht an ihrer Grenze angelangt.
„Die Reifenindustrie prägt den Markt“, heißt es in den BBE-Studie. Nicht erst seit Neuestem, möchte man hinzufügen. Und längst gilt das nicht nur für den Neureifenmarkt. Bereits vor 13 Jahren hatte die NEUE REIFENZEITUNG getitelt: „Die Runderneuerung von Lkw-Reifen: Die Neureifenhersteller erhöhen ihren Einfluss.“ Die Neureifenhersteller haben ihre Karkasshoheit über die Jahre hinweg ausgebaut, sie lenken die Karkassen in die hauseigenen sowie obendrein merklich ausgebauten Runderneuerungswerke und sorgen somit für Karkassknappheit im freien Markt. Obendrein haben die Außendienste der Neureifenhersteller nicht nur quantitativ eine enorme Mannschaftsstärke, sie sind auch immer besser geschult. Und die Studie weist noch auf einen dritten Aspekt hin: Die Industrieketten – ob Euromaster, Vergölst, Premio/HMI oder Pneumobil – erhöhen ihre Marktanteile. Der ungebundene Teil des Reifenfachhandels in deutschen Landen partizipiert immer weniger am Lkw-Reifenersatzmarkt.
Bislang galt – zumindest war diese Zahl in der Vergangenheit immer wieder zu hören und wird auch in der Studie genannt –, dass bei Flottengrößen von etwa 50 Fahrzeugen aufwärts der Reifenfachhandel allenfalls Erfüllungsgehilfe der Hersteller ist, das Wort Serviceprovider hat in weiten Teilen des freien deutschen Handels einen negativen Beigeschmack. Aber erstens ist diese Zahl 50 ja nicht in Stein gemeißelt und dürfte sich tendenziell verringern. Und zweitens sei einmal darauf hingewiesen, dass einige sehr professionell operierende Händler sich in der Rolle eines Serviceproviders sehr wohl fühlen und sie professionell und darum auch recht profitabel ausfüllen.
Über industrieeigene Handelsketten und industrienahe Kooperationen laufen bereits heute 46 Prozent des Lkw-Reifenersatzgeschäftes. Dass die Kooperationen freier Reifenhändler bereits heute für rund ein Drittel stehen, lässt unwillkürlich an die starken Vermarkter in der Team-Gruppe denken. Und auch große freie Händler mit einem starken Lkw-Geschäft wie Reiff, Pneuhage oder Helm waren dereinst ja Mitglieder in dieser „Lkw-lastigen“ Kooperation. Dagegen werden Vertragswerkstätten (wie von MAN, Volvo, Mercedes-Benz etc.) lediglich beim Einzelkriterium Pannendienst als spürbar angesehen. Angesichts der Programme, die die Lkw-Hersteller auflegen, und der immer anspruchsvolleren Telematikdienste möchte der Verfasser an dieser Stelle abweichend von den Ergebnissen der Studie seine Zweifel formulieren, ob dieser Anteil bei mageren 4,5 Prozent bis zum Jahre 2020 dümpeln wird. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Vermarktung von Lkw-Reifen über das Internet, wofür innerhalb der Studie zwar ein Anstieg von 1,5 auf 2,5 Prozent veranschlagt wird. Die Verfasser halten es aber offensichtlich ebenso wie andere Marktbeobachter für denkbar, dass da noch mal ein Entrepreneur wie weiland jemand aus Kaiserslautern ein „Kolumbus-Ei“ legen kann, sodass sie formulieren: Das Internet erweist sich (noch) nicht als „marktveränderndes Modell“. Delticom vermarkte jedenfalls 54.000 Lkw-Reifen via Internet, wurde auf dem Workshop kolportiert. Erinnert sei an dieser Stelle an einen Versuch etwa zeitgleich zur „Reifen“ des Jahres 2012, den Vertriebskanal Internet durch direkte B2C-Angebote an Flottenbetreiber auch für Lkw-Reifen zu erschließen, ein weiterer, eher mehrere weitere werden gewiss folgen. Ob einer bei dem Versuch, Lkw-Reifen übers Internet zu vermarkten, richtig Gas geben wird oder kann, ist eine „offene Flanke“ und könnte die schöne BBE-Studie zur Makulatur werden lassen.
Wer weniger als 500 Lkw-Reifen (neu und runderneuert) im Jahr verkauft, der bleibt hinter der allgemeinen Marktentwicklung zurück, wer auf einen Mitnahmeeffekt hofft oder den Lkw-Bereich als „Nebenbei-Geschäft“ versteht, der kann dem mit diesem Geschäftsfeld wachsenden verbundenen Aufwand und den Kunden- sowie technischen Ansprüchen immer weniger gerecht werden. Je mehr Lkw-Reifen vermarktet werden – am Besten 2.000 plus X –, desto besser sind die Perspektiven. Auf einen Sonderaspekt wird hingewiesen: Der geringere Preis für den Runderneuerten gegenüber dem Neureifen wird relativiert durch bessere und vermutlich künftig steigende Roherträge. Diese Perspektive mag auch damit zu tun haben, dass allgemein mit einer Marktkonsolidierung dahin gerechnet wird, dass einige lokale (Kalt-)Runderneuerer ausscheiden werden.
Quo vadis?
Wie entwickelt sich der Lkw-Reifenersatzmarkt bis zum Jahre 2020? Was hat das für Konsequenzen für die Reifenhandelslandschaft? Die BBE-Studie zeigt mögliche Antworten, denkbare „Szenarien“ auf. Soll sich ein starker Lkw-Reifenvermarkter zum reinen Lkw-Reifenvermarkter aufschwingen, soll er einen angemessenen Mix aus Lkw- und Pkw-Geschäft (sowie sonstige Segmente wie Motorrad-, AS-, EM- und Industriereifen) anstreben, soll er Lkw-Reifen als Randsortiment führen (und dabei ggf. schon eine Exitstrategie im Hinterkopf haben?), ist/bleibt er Einzelkämpfer, hat er den Status eines „Platzhirschen“ bzw. kann ihn erringen?
Wer ein starker Lkw-Vermarkter sein und profitabel wirtschaften will, der wird investieren, der wird Trends des Marktes folgen müssen. Das Lkw-Reifengeschäft ist bereits in hohem Maße mobil und wird noch mobiler. Einsatzfähigkeit 24 Stunden an allen Wochentagen wird verlangt. Die Service- und Pannenfahrzeuge müssen optimal ausgerüstet sein. Der Kunde kommt zunehmend weniger auf den Hof des Reifenhändlers, der muss vielmehr dahin, wo der Kunde ist (bzw. dessen Hauptumschlagszentren, dessen „Hubs“ sind), genauer: dessen Lkw. Der traditionelle Lkw-Reifenservice in der Werkstatt des Händlers verliert an Bedeutung, benötigt er Filialen, um (s)eine Region abzudecken oder ist ein sogenanntes „Satelliten-Konzept“ mit kleinen verstreuten Lägern (eigene „Hubs“), die von den Servicefahrzeugen schnell erreicht werden können, wirtschaftlicher und insgesamt leistungsfähiger? Die eigenen Mitarbeiter müssen dank wiederholter Schulungen auf dem neuesten Stand der Technik und motiviert sein. Die Verfasser der Untersuchung brechen eine Lanze für den Service, sie fragen, ob alle Dienstleistungspotenziale ausgeschöpft sind, regen Lkw-Achsvermessung und Glasservice an sowie das Angebot der fachgerechten Lagerung auch von Lkw-Reifen. „Was beim Reifen verloren geht, kann beim Service wieder reingeholt werden“, heißt es. Wer ein Selbstverständnis als „Serviceprovider“ bei Lkw-Reifen entwickelt, dessen Zukunftsaussichten sind die besseren. detlef.vogt@reifenpresse.de
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