Mitgliederversammlung des BRV
Beachtliche Zahlen: Es war die 28. Essener „Reifen“, genauso häufig hat der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) inzwischen ordentliche Mitgliederversammlungen durchgeführt. Da entwickelt sich Routine. Und so wie die Messe selbst routiniert abgespult wurde Ende Mai des Jahres 2014, wurde auch das Verbandstreffen – im Übrigen gut besucht, auch darauf sei hingewiesen – am Vortag der Messe souverän durchgezogen. Die Verbandsgeschäftsstelle in Bonn bzw. der BRV-Chef Peter Hülzer, BRV-Geschäftsführer Hans-Jürgen Drechsler und ihr Team haben inzwischen so viel Erfahrung, dass ein reibungsloser Verlauf schon fast als garantiert vorausgesetzt werden kann.
Wohl auch weil die Agenda so umfangreich war, forcierte der seit 2005 als geschäftsführender BRV-Vorsitzende fungierende Hülzer (59) das Tempo, wurden nun einmal dazugehörige Formalien schnörkellos abgehandelt, mit einem gut aufgelegten Gast Günter Netzer im Rahmen eines Interviews ein unterhaltsamer Akzent gesetzt, mit dem Thema Reifendruckkontrolle ein unter den Nägeln brennendes Branchenthema „upgedated“, zum Thema Lkw-Reifenvermarktung ein Ausblick in die Zukunft geworfen und die Kreativität im Reifenfachhandel in Form von Awards gewürdigt. Inhaltlich – freilich – geht es allen Marktteilnehmern um die Lage der Branche.
Mehr Moll als Dur
Peter Hülzer, geschäftsführender BRV-Vorsitzender, hält aus Anlass der BRV-Mitgliederversammlung alljährlich so eine Art Grundsatzrede. Da wird die Reifenbranche von allen Seiten beleuchtet, werden Entwicklungen aufgezeichnet, stehen „hard facts“ neben „soften“, die sich aus der Wahrnehmung so vieler Branchenteilnehmergespräche speisen wie sie außer Hülzer wohl kein anderer führt. Obendrein seine enorme Erfahrung aus mehr als einem Vierteljahrhundert an der Verbandsspitze gemahnen Reifenhändler, Reifenindustrievertreter, auch Reifenjournalisten – kurz jedermann, der mit dem Produkt, von und mit dem wir alle leben, zu tun hat – gut zuzuhören.
Hülzer lässt sich nicht blenden von den guten Absatzzahlen in den ersten Monaten des Jahres 2014, er legt den Finger in Wunden. Er will nicht mutlos machen, deprimieren, sieht auch positive Entwicklungen und Chancen – so hinsichtlich des Lkw-Reifengeschäftes in den nächsten Jahren –, aber er sagt es selber: Sein Bericht ist „eher von Moll als von Dur geprägt“.
Der Blick auf die beiden vergangenen Jahre lässt bei einem Verlust von 6,6 Millionen Pkw-Reifen „Handel an Verbraucher“ gegenüber 2011 auch keine Euphorie zu. Für „rückläufige Pkw-Fahrleistung bei gleichzeitiger Erhöhung der Laufleistung“ und die Unwägbarkeiten des für die Branche so wichtigen Wetters kann kein Reifenhändler und der BRV schon mal gar nicht. Schon geradezu traditionell rückt in Reden dieser Art das Spannungsfeld zwischen Industrie und Handel in den Fokus, so auch bei der diesjährigen „Nabelschau“ – und das weiß natürlich keiner besser als der Redner selbst. Hülzer macht zwar auch die Reifenhersteller für herrschenden Preisdruck mitverantwortlich, aber vergisst auch nicht zu erwähnen, dass die durch das Internet entstandene Preistransparenz von der Industrie nicht verantwortet werden kann.
Das dem BRV-Chef von Händlern gegenübergebrachte „Stimmungsbild, das häufig von Sorge, Skepsis und Mutlosigkeit geprägt ist“ oder (…) „von einer gewissen Depression geprägte Stimmung“ nähren den Zweifel, ob „das Geschäftsmodell Reifenfachhandel allein“ Zukunft hat. Das mag erklären, „dass die Verkaufsangebote des Reifenfachhandels an die Hersteller in letzter Zeit“ wohl deutlich zugenommen haben. Und wenn aus Erkenntnissen des Institutes für Handelsforschung zitiert wird, dass der stationäre Einzelhandel massive Umsatzeinbußen in den nächsten Jahren haben wird, dann wird verständlich, dass lieber heute als morgen solch ein Kaufangebot gemacht wird. Die Preise, die sich für Reifenhandelsbetriebe erzielen lassen, dürften angesichts dieser Logik nicht besser werden.
Der Reifenindustrie ist es in all den Jahren, den Jahrzehnten, in denen es den Verband gibt, in denen es diese Fachzeitschrift gibt, nicht gelungen, beim Verbraucher auch nur halbwegs zu verankern, dass der Reifen ein faszinierendes und für die Sicherheit so enorm wichtiges Hightech-Produkt ist und das auch in immer stärker zunehmendem Maße. Hier ist Kritik angebracht und erklärt auch viel, im Übrigen auch die Preismisere. Aber Hülzer hat sich auch die notwendige inner Distanz bewahrt, dem Handel den Spiegel vorzuhalten und Selbstkritik anzumahnen. Denn dem „Fachhandel“ ist es auch nicht gelungen, die Beratungskompetenz aufzubauen, von der er so gerne spricht. Von einigen löblichen Ausnahmen einmal ganz abgesehen. Die Industrie hat es nicht geschafft, den Reifen des Jahres 2014 angemessen in seiner Bedeutung beim Konsumenten zu positionieren. Und die Ehrlichkeit gebietet es zu sagen: Nicht einmal mit den geringen Fortschritten der Hersteller, das Image von Reifen anzuheben, hat der Handel mitgehalten. Vielerorts wird noch heute verkauft wie in den 80er Jahren: über den Preis. Als geschäftsführender BRV-Vorsitzender formuliert Hülzer freilich vorsichtiger, „dass wir als Reifenfachhandel unsere Vermarktungsanstrengungen deutlich erhöhen müssen“. Die Forderung, „das Produkt Reifen beratungs- und nicht preisorientiert aktiv“ zu verkaufen, mag ein alter Hut sein, aber der ist immer noch aktuell und fordert nicht nur die Industrie, sondern vor allem das „Ende der Prozesskette“. Und an diesem Ende steht der Einzelhandel! Der muss sich – zeigt Peter Hülzer den Weg – zu einem „innovativen Dienstleister wandeln“.
Gegenkandidaten Fehlanzeige
Wer im Vorstand des Branchenverbandes sitzt, ist vorhersehbar; gemeinhin werden in Frage kommende Personen vorher konsultiert, überraschende Kandidaturen bzw. gar Gegenkandidaturen sind rar in der BRV-Historie, dieses Mal sogar Fehlanzeige. In Ermangelung eines Kandidaten für den Vorsitz aus Reihen der Händlerschaft führt Hülzer nicht nur seit mehr als einem Vierteljahrhundert die Geschäfte, sondern steht auch dem Vorstand seit drei Amtsperioden entsprechend neun Jahren vor. Für die vierte – und erklärtermaßen seine letzte – Amtsperiode bis 2017 kandidierte Hülzer erneut. Zitat Lothar Kerscher, bis zur BRV-Versammlung dessen stellvertretender Vorsitzender, zum Thema Kandidatensuche (entnommen dem Verbandsorgan „Trends & Facts“): „Entweder wurde uns signalisiert, dass für ein ehrenamtliches Engagement im Verband keine Zeit zur Verfügung stünde oder aber man sich die Aufgabe eines Verbandsvorsitzenden nicht zutraue“ (…), sodass sich der Wunsch herauskristallisiert habe, „Herrn Hülzer nochmals zu bitten, die Aufgabe für drei weitere Jahre zu übernehmen“. Mit 112 Ja- von 112 abgegebenen Stimmen konnte die Zustimmung nicht größer sein.
Kerscher selbst konnte gar nicht wiedergewählt werden, denn mit der Abgabe seines Reifengeschäftes vor einigen Monaten an Vergölst kann er satzungsgemäß dem Gremium nicht mehr angehören (wollte dies im Übrigen auch nicht mehr, wie er schon vor der Trennung von ESKA erklärt hatte). Zu seinem Nachfolge als „Vize“ wurde ebenso überzeugend Marc Johann gewählt wie die bisherigen Vorstandsmitglieder Nikolaus Ehrler, Norbert Lange, Roland Richter, Marcus Tiemann und Goran Zubanovic wiedergewählt. Mit dem Ausscheiden Kerschers sowie des ebenfalls aufgrund einer Geschäftsaufgabe (Reifen Wagner im September 2013 an Pneumobil) vakant gewordenen Platzes von Michael Schnickmann galt es auch Kandidaten als Beisitzer im Vorstand zu finden. Mit den gewählten Rolf Körbler (point S), Peter Lüdorf (Gummi Berger) und Matthias Schubert erhöht sich die Personenzahl im obersten Verbandsgremium auf insgesamt zehn. detlef.vogt@reifenpresse.de
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[…] Als Gesprächspartner für Ministerien, Institutionen und andere Verbände will der Jubilar auch in den kommenden drei Jahren noch der Reifenbranche Gesicht geben und Stimme verleihen, bevor er Ende 2017 dann in den Ruhestand […]
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