Runderneuerung als strategisches Entwicklungselement für Pirelli
Bereits seit einigen Jahren investiert Pirelli intensiv in das Nutzfahrzeugreifensegment. Dazu gehört die Entwicklung technologisch fortschrittlicher Reifen genauso wie das Angebot herausragender Dienstleistungen für die Flottenkunden. Insgesamt geht es dabei stets um die Minimierung der Fahrzeugbetriebskosten. Diese stellen heute das zentrale Kriterium für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dar, die den geringsten Preis pro Kilometer benötigen, um auf ihren jeweiligen Märkten bestehen zu können. Und in dieser Logik spielt natürlich mehr und mehr die Runderneuerung eine strategische Rolle.
Dieser Text ist im März 2014 in unserer zweisprachigen Redaktionsbeilage “Retreading Special” erschienen, die Abonnenten auch hier als E-Paper lesen können. Sie sind noch kein Abonnent? Das sollten Sie hier ändern!
Heute stehen die Umsätze aus dem Segment „Industrial Business“ mit Lkw-, Landwirtschafts- und OTR-Reifen sowie mit Stahlcord für rund 27 Prozent des gesamten Pirelli-Umsatzes. Geografisch betrachtet stammen zusammen nahezu 70 Prozent dieser Umsätze aus zwei Regionen: Europa mit 33 und Südamerika mit 36 Prozent. Die verbleibenden gut 30 Prozent verteilen sich auf Wachstumsmärkte wie den Mittleren Osten, Afrika, Asien-Pazifik und Nordamerika inklusive Mexiko. Mit elf Produktionsstätten – in Italien, Rumänien, Türkei, Ägypten, China und Brasilien – sowie einem Vertriebsnetz in 160 Ländern hat die Business Unit „Industrial“ im vergangenen Jahr einen geschätzten Jahresumsatz in Höhe von 1,7 Milliarden Euro erzielt. Während heute die Entwicklungen im Nutzfahrzeugreifensegment weltweit in zwei verschiedenen Geschwindigkeiten stattfinden – langsam auf den reifen Märkten und rasant in den Schwellenländern –, muss darauf hingewiesen werden, dass Pirelli auf dem stark wachsenden lateinamerikanischen und hier insbesondere auf dem brasilianischen Markt bereits über die Jahre eine starke Präsenz als Marktführer aufbauen konnte. Auch was die Runderneuerung betrifft, ist das Mailänder Unternehmen nicht unbedingt den traditionellen Weg der Geschäftsentwicklung gegangen; im Gegenteil: Pirelli entwickelt sein Geschäft hier ebenfalls auf einem Weg von Brasilien über Lateinamerika nach Europa und dem Rest der Welt und nicht andersherum. In der Tat ist die Präsenz des Unternehmens auf dem Runderneuerungsmarkt in Brasilien und Lateinamerika kaum mit der in Europa zu vergleichen, von den entsprechenden Umsatzanteilen und der Anzahl der Partner vor Ort ganz zu schweigen. „Wir gewinnen all unsere Erfahrungen und Fähigkeiten auf diesen Märkten und nutzen diese, um sie dann auf andere Märkte, etwa Europa, zu übertragen“, sagt Alberto Viganò, Marketingdirektor der Business Unit „Industrial“ im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Das Angebot, das Pirelli etwa auf dem lateinamerikanischen Markt macht, ist das der eigenen Runderneuerungsmarke „Novateck“, deren Laufstreifen von Marangoni in Fabriken in Brasilien sowie seit vergangenem Jahr auch in Argentinien gefertigt werden. Marangoni verfügt selber in Lateinamerika über einen beträchtlichen Marktanteil und will seinen Umsatzanteil dort bis Ende des kommenden Jahres auf 20 Prozent steigern. Andererseits könnten sich beide Partner aufeinander verlassen; man spreche dieselbe Sprache. Die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen beiden Unternehmen seien gut und Viganò – ohne zu sehr ins Detail gehen zu dürfen – kündigt einige aufregende Pläne für die kommenden Monate an.
In Brasilien betreibt Pirelli ein Netzwerk von 125 zertifizierten Runderneuerungspartnern, von denen einige sich noch im Stadium der offiziellen Prüfung durch die Pirelli-Techniker befinden. Erst jüngst hatte Pirelli das Novateck-Sortiment um sämtliche Profile der populären Serie:01-Lkw-Reifen ergänzt. Diese erst vor wenigen Jahren in Europa eingeführte Premiumneureifenserie wurde im vergangenen Oktober ebenfalls in Brasilien auf der Nutzfahrzeugmesse Fenatran (São Paulo) vorgestellt, gefolgt vom dazu passenden Novateck-Angebot. Dabei seien natürlich alle Lkw-Reifen des Herstellers runderneuerungsfähig: ob nun die Premiummarke Pirelli oder die zweite Marke Formula.
Vor diesem Hintergrund den europäischen Runderneuerungsmarkt in Angriff zu nehmen, ist wohl nicht einfach. Der negative Trend hierzulande scheint einen deutlichen Rückgang bei der Anzahl der runderneuerten Reifen um vier Prozent auf jetzt 5,1 Millionen Stück hervorgerufen zu haben, während die Anzahl der verkauften Lkw-Neureifen um sieben Prozent auf jetzt 8,8 Millionen Stück gestiegen ist.
Die Faktoren, die zu dieser Entwicklung geführt haben, sind vielfältig, liegen aber hauptsächlich an der Karkassenknappheit sowie der Zunahme der aus China importierten – und oftmals nicht als runderneuerungsfähig erachteten – Neureifen von 1,4 auf jetzt 1,9 Millionen Stück. Angesichts der vielschichtigen politischen und insbesondere wirtschaftlichen Unsicherheiten in vielen Ländern Europas entschieden sich zahlreiche Flottenbetreiber, lieber günstige chinesische Neureifen zu kaufen, anstatt in die Runderneuerung, also in den Kauf runderneuerungsfähiger Neureifen, zu investieren. Dennoch sei Pirellis globale Strategie in Sachen Runderneuerung im vergangenen Jahr durchaus positiv verlaufen, hauptsächlich gestützt durch das Geschäft in Lateinamerika und dort hauptsächlich in Brasilien.
„Für 2014 haben wir konkrete Wachstumspläne für den europäischen Markt, insbesondere, was die wichtigsten Runderneuerungsmärkte Italien, Deutschland, Großbritannien und Schweden betrifft“, so der Marketingdirektor der Business Unit „Industrial“ weiter. Auf diesem letztgenannten Markt, betont Viganò, wolle man das 2013 mit der Übernahme der Multi-Marken-Handelskette Däckia begonnene Projekt fortsetzen. „In Schweden hat die Runderneuerung eine besonders hohe Bedeutung. Wir haben weiter in die Mischungen für die Herstellung der Laufstreifen investiert, um damit insbesondere den Rollwiderstand zu verringern und die Laufleistung zu erhöhen, und zwar durch speziell entwickelte Ringlaufstreifen.“ In Europa und in der Türkei kann Pirelli daher seine neueste Generation an Lkw-Reifen – die Serie:01-Reifen – mit für die Runderneuerung optimierten Mischungen auch als Ringe anbieten. Zusammen mit den 50 zertifizierten Runderneuerungspartnern in Europa und der Türkei kooperiert Pirelli jetzt weltweit mit insgesamt 175 Runderneuerungspartnern.
Über die weitere Entwicklung des Runderneuerungsgeschäftes wolle das Unternehmen zunächst keine Details nennen. In Abhängigkeit zu den Ergebnissen einer Machbarkeitsstudie kündigt Viganò indes mögliche Investitionen in eine Heißrunderneuerung in Europa an. Hierzulande erwartet Pirelli ein weiteres Wachstum der Heißrunderneuerung im Vergleich zur Kaltrunderneuerung; ein Anteil von 50 Prozent hält Viganò durchaus für möglich. Man dürfe erwarten, dass im Laufe dieses Jahres zwar die Partnerschaft mit Marangoni für Europa weiter vertieft werde, insbesondere, was die Märkte Großbritannien, Deutschland, Italien und die Türkei betrifft. Aber eben nicht nur. Bereits im vergangenen Jahr habe man entsprechende neue Partnerschaften für Australien, Saudi-Arabien, Kenia und sogar China ins Leben gerufen. Gerade in China setze Pirelli gemeinsam mit einem lokalen Partner und Marangoni ein Projekt um, das Neureifen wie auch Runderneuerte umfasst. Darüber hinaus wolle man in Lateinamerika die Runderneuerung jetzt auch auf Landwirtschaftsreifen ausdehnen und somit das Geschäft insgesamt vervollständigen; ein Geschäft, bei dem man in der Vergangenheit kaum wirklich Gas gegeben hat.
„In Lateinamerika hat sich Novateck zu einer wertvollen Marke entwickelt und wir profitieren auch in Europa sehr davon. Hier ist der Weg allerdings noch weit. Aber dank der starken technologischen Verbesserungen sowie der richtigen Partner bin ich überzeugt, dass wir auch hier einen guten Job machen werden“, so Alberto Viganò abschließend. lucia.tonini@pneusnews.it/ab
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