2013? Na ja! – Rückblick auf ein irgendwie verkorkstes Reifenjahr
Eigentlich versteht sich der Verfasser dieses Rückblicks ja als positiv denkender Mensch, als einer, der zuerst das Gute benennt und möglicherweise erst danach etwas zu bedenken gibt. Es geht ihm ja auch ganz gut, auch in der Reifenbranche. Dass die „13“ in der Jahreszahl vorkommt und die ja bekanntlich mit Ungemach behaftet sein soll, wischt er weg, zählt wie ein kleines Kind mit den Fingern angefangen beim Jahr 2000 nach und kommt auf 14. Und doch: Zu alledem was im Rückblick auf 2013 zum jetzigen Zeitpunkt so einfällt gesellt sich immer sofort „ein Aber“. Irgendwie sind zu viele Haare in zu wenig Suppe. Wer die folgenden Zeilen liest, möge berücksichtigen: Hier gibt bei seinem Rundumschlag von der großen Reifenwelt über die europäische Ebene bis hin zum deutschen Reifenmarkt nicht nur ein Optimist seine Sicht der Dinge zum Besten, sondern auch einer, der nicht frei ist von einem gewissen Hang zum Zynismus.
Global – Banal?
So manches in unserer Branche erweist sich als recht simpel, wenn man einmal genauer drüber nachdenkt und sieht: Letzten Endes haben wir es immer wieder mit handelnden Menschen, ihren Stärken wie Begeisterungsfähigkeit, kluges Taktieren, Geduld, Empathie, aber auch ihren Fehlern wie Eitelkeit, Ignoranz, Größenwahn, Borniertheit zu tun. Manches wird auch erst in der Rückschau verständlich. In eher unregelmäßigen Abständen fühlt sich irgendein Führer von einer der großen Reifenindustrieunternehmungen – jeder ist mal dran – berufen, der anstehenden Konsolidierung der Branche das Wort reden zu wollen. Jede Wette: Der Journalist fällt drauf rein und wittert hier einen Deal, wägt dort Potenziale ab, ist ihm doch erst jüngst das dann doch nicht weiter verfolgte Gerücht zugetragen worden … Ach! Wer soll denn bitte schön mit wem? Einerseits geht es nicht nur dem Redakteur dieser Zeitschrift gut, sondern auch den großen Herstellern. Von deren Renditen träumt man in anderen Branchen. Selbst der langjährige amerikanische Patient Goodyear steht auf seinem Heimatmarkt nicht mehr im tückischen Treibsand, sondern bekommt ein Gefühl von festem Boden und sieht auch in Europa Licht am Ende des Tunnels. Und dann wären da im Falle eines Falles ja noch die das Hohelied des Wettbewerbs singenden Kartellwächter. Mit seltsam krächzender Stimme, aber soviel verlangend, dass eine Elefantenhochzeit dann plötzlich doch keine so gute Idee zu sein scheint.
Mit der in Angriff genommenen Akquisition Coopers durch Apollo wurde keine Konsolidierungswelle ausgelöst, der so teure Deal ist noch nicht einmal in trockenen Tüchern. Vielleicht sollten sich die Inder vor Zustandekommen ihres US-Abenteuers auch mal bei den Japanern, Franzosen und Deutschen nach deren Erfahrungen erkundigen: Bridgestone mit Firestone, Michelin mit Uniroyal Goodrich, Continental mit General – sie eint, dass sie einen „damned long stony path“ zurückzulegen hatten. Okay: Hat jeweils zum guten Ende geführt. „Per aspera ad astra“ würde der schlaumeiernde Bildungsbürger sagen, der Kölner kann’s kürzer: „Et hätt noch emmer joot jejange“. Kein Abschweifen: Während sich Investoren und Fonds Hoffnung auf einen Reibach machen und auch der oberste Cooper-Chef auf mehr als 20 Millionen US-Dollar, murren die Arbeiter: die US-Gewerkschaften einerseits, die in einem fernen China-Werk andererseits. Kann ein indisch-holländisch-amerikanisch-chinesischer Einheitsbrei bekömmlich sein?
Multikulti? Nicht mal innerhalb der westlichen Welt will das Zusammenführen zweier Unternehmenskulturen so recht gelingen. Wer wird im Goodyear-Dunlop-Gespann wohl untergebuttert? Ein noch besseres Beispiel für schwer verständliches Gebaren: Was kann man von einem Erzkapitalisten „Morry“ Taylor erwarten, dem erspart geblieben wäre, im Kampf um eine bankrotte Reifenfirma Galaxy israelisch-indischen Konsorten zu unterliegen, wäre er in den 90-er Jahren doch Präsident der Vereinigten Staaten geworden? „The Grizz“ wischt sich kurzerhand den Schaum vom Mund ob Niederlagen und verunglimpft dafür die französische Arbeiterschaft im Großraum Amiens um ein vor der Schließung stehendes Goodyear-Reifenwerk, sodass die jetzt ihrerseits schäumen. Denkbar, dass sie am Ende doch einlenken, zähneknirschend dann gewiss, aber nach dem Motto: lieber einen Arbeitsplatz unter einem rabaukenhaften US-Tycoon als gar kein Job. Taylor ist mit seinen fast 70 Jahren wenigstens noch ein echter Typ, davon gibt’s in der Reifenbranche nicht mehr viele. Der Mann geht durch die Wand, nimmt russischen Herstellern, die die Investitionen Pirellis vor Ort in Agrarreifen befürchten, deren Landwirtschafts- und Industriereifengeschäft ab und sieht auch noch einige weitere potenzielle Opfer in Europa.
Kontinental – Auch egal!
Wo wir gerade bei Europa sind. Die Brüsseler Behörden haben sich von Reifenflüsterern aus Hannover und Clermont-Ferrand überzeugen lassen, dass wir ein Reifenlabel benötigen. Verbände und Hersteller sehen Chancen, predigen Vorteile. Da tauchen „Whistleblower“ (damit wäre auch dieses „gefühlte Wort des Jahres 2013“ untergebracht) in Form von Reifenverantwortlichen bei Automobilherstellern auf und winken ab. Das sei ein „Marketinggag“ des Ersatzgeschäftes, so richtig zur Sache ginge es doch nur bei OE-Homologationen, da würden ganz andere, selbstredend viel härtere Anforderungen gestellt. Ach so. Und überhaupt: Wenn einer mit „AA“ glänze, wisse man doch gleich, dass das über die Laufleistung erkauft worden sei. Au ja, hätte man auch selbst drauf kommen können. Schließlich haben uns die Techniker der Reifenindustrie jahrelang etwas vorgebetet von Kompromissen, die sie eingehen müssten, Zielkonflikten und Physik, die man nun einmal nicht überlisten könne, und dem magischen Dreieck aus Nasshaftung, Rollwiderstand und Laufleistung. Und die reifentestenden Zeitschriften sind auch schon auf den Trichter gekommen und lassen bei der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse die offiziellen Labelwerte gleich weg. „Stimmen sowieso nicht“, sagt einer ihrer anerkannt besten Fahrer, „hinten und vorne nicht.“
Dass das Label, so wie es eingeführt wurde, nicht auf den Winterreifen gemünzt ist, das haben wir ja nun begriffen. So richtig interessiert sich der Verbraucher aber auch nicht für das Label, wenn er Sommerreifen kaufen soll. Im Reifenhandel selbst winkt auch schon manch einer ab und kehrt zurück zum lieben Preisargument oder zu alten Beratungsmustern. Die Branche hat aktuell eine zweite Chance und die Brüsseler Bürokraten auch. Lernen wir aus gemachten Fehlern und fangen’s bei der Winterkennzeichnung besser an. Das alte „M+S“ war schon immer ein „Muster ohne Wert“, Schwamm drüber. Da kommt das „Three-Peak-Mountain-Snow-Flake“-Symbol gerade recht. Ja, aber: Bei Nutzfahrzeugreifen sieht die Welt doch ganz anders aus als bei solchen für Pkw. Grrrr … Kriegt unsere Reifenbranche denn gar nichts auf die Reihe, was man mal als rundum gelungen bezeichnen könnte. Vielleicht kommt ja mal wieder jemand auf die Idee, dass 1,6 Millimeter Profiltiefe nicht ausreichend seien. Zwei, drei, vier Millimeter, je mehr, desto sicherer. Bei verschneiter, bei nasser Straße. Ach, Slicks sind wahre Rollwiderstandswunder, das kommt der Umwelt zugute. Wie konnte man das vergessen?!
National – Fatal?
Die deutsche Reifenhandelslandschaft sei überbesetzt, künden Marktkenner. Zumal es irgendwann aufgrund von zunehmender Urbanisierung, geänderter Interessenlagen der jungen Generation oder demographischer Entwicklungen weniger Autos auf deutschen Straßen geben und dann auch der Ersatzbedarf schrumpfen wird. Vor allem im Großhandel sei der Überbesatz frappierend und stünde Marktbereinigung an. Klagen über eine wirtschaftlich bedrohliche Situation von Reifeneinzel- und -großhändlern allerorten. Haben wir da was verpasst? Wo sind denn in 2013 Händler kollabiert? Schockwellen haben den deutschen Reifenmarkt jedenfalls 2013 nicht heimgesucht. Geht es den Händlern immer noch zu gut? Jammern sie auf hohem Niveau? Haben sie in fetten Jahren derart dicke Polster angesetzt, dass sie noch lange davon zehren können? Keine Ahnung!
Krise der Kooperationen, ein Geschäftsmodell, das sich überdauert hat. Das gilt natürlich immer für die anderen, grundsätzlich allerdings nicht und für einen selber schon mal gar nicht. Wem gar nichts anderes mehr einfällt, der kann ja immer noch an die Reifenindustrie bzw. deren Handelsketten verkaufen. Dann kann es sogar passieren, dass sich im unerbittlichen Zwist verfangene Familienstämme wie die aus Landshut plötzlich unter gemeinsamem Dach wiederfinden.
Als der Film des Jahres 2013 für den deutschen Reifenhandel begann, stand da am Eingang des Kinos „Leben und sterben lassen“ oder „Man lebt nur zweimal“ (so zwei Bond-Titel)? Oder leben Todgesagte doch länger, wie es sprichwörtlich heißt? Ist die Lage vielleicht besser als die Stimmung? Bedeutet der Austritt von Helm und RTC schon automatisch, dass die älteste bestehende Reifenhandelskooperation – gegründet 1978 – dahingerafft wird? Oder droht der Team-Exitus erst bei weiterem Aderlass? Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück, der Verfasser ist Optimist. Na dann:
Alles Gute für 2014! detlef.vogt@reifenpresse.de
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