Welche Pläne hat Pirelli-Führung mit dem deutschen Retail-Geschäft?
Pirelli hat sein Driver Center in Frankfurt nun offiziell eingeweiht. Mit dem „innovativen Store-Konzept“ will der Reifenhersteller „die Kunden mit einem bislang einzigartigen Ambiente überraschen, in dem ein umfangreiches Angebot an professionellen Dienstleistungen rund um den Reifen- und Kfz-Service angeboten wird.“ Die Eröffnung des Frankfurter Driver Center ist das vorerst deutlichste Ausrufungszeichen, das Pirelli hinter seine Expansionspläne in Deutschland setzt; im Laufe dieses Sommers hatte das Unternehmen bereits mit einigen Akquisitionen für seine Handelstochter Pneumobil von sich reden gemacht. Aus Anlass der Eröffnung des Driver Centers in Frankfurt sprach die NEUE REIFENZEITUNG mit Andrea Pirondini, Chief Commercial Officer des Pirelli-Konzerns, mit Pirellis CEO für Zentraleuropa Daniele Deambrogio sowie mit Deutschlandchef Michael Schwöbel über die Strategie hinter diesen Investitionen in das eigene Retail-Geschäft.
Im Mittelpunkt aller konzeptionellen (Neu-)Ausrichtungen des Handelsgeschäftes – gerade im so wichtigen deutschen Markt – steht die vor knapp zwei Jahren formulierte Premiumstrategie. Danach will Pirelli ganz gezielt mit Premiumprodukten und Premiumdienstleistungen Premiumkunden auf Premiummärkten ansprechen. Diese Strategie gilt auf der Ebene des Reifenherstellers genauso wie auf Ebene seiner Retail-Aktivitäten. Ein wichtiger Baustein in dieser Strategie ist die Modernisierung und Erweiterung des Driver-Partnerkonzeptes, dem in Deutschland aktuell rund 100 Partner angehören.
„Die große Herausforderung der Zukunft liegt darin die Händler zu schulen, ein immer komplexeres Produkt zu vermarkten“, erläutert Pirellis CEO für Zentraleuropa Daniele Deambrogio im Gespräch mit dieser Zeitschrift. Dieses Produkt sowie die dazugehörigen Dienstleistungen – auch im erweiterten Umfeld der Rad-Reifen-Kombination, also etwa in Bezug auf den Autoservice – professionell und im zunehmenden Wettbewerb erfolgreich zu vermarkten ist das Ziel der Pirelli-Manager, wenn sie das Driver-Partnerkonzept jetzt als „skalierbares und modulares Systemangebot“ im Markt etablieren wollen.
Dieses neue Angebot verschiedener Leistungsbausteine umfasse umfangreiche Schulungen für die Mitarbeiter des jeweiligen Driver-Partners, um die Vermarktung des „immer komplexeren Produktes“, von dem Deambrogio spricht, ständig auf einem Niveau zu halten, das den Anforderungen der Pirelli-Premiumstrategie entspricht. Auch wolle Pirelli weiterhin mit dem Auditing für seine Partner im Reifenhandel Akzente in die Zielrichtung setzen, in die auch die Schulungen oben gehen, also um ein gleichbleibend hohes Vermarktungsniveau im gesamten Markt sicherzustellen. Ein weiterer Baustein, auf den Deutschlandchef Michael Schwöbel große Stücke setzt, ist ein neues integriertes und umfangreiches Warenwirtschaftssystem, das Pirellis Driver-Partner die operativen Abläufe im Unternehmen deutlich erleichtern soll und das auch Kfz-Ersatzteile, einen Felgenkonfigurator, etc. mit abdeckt. Weitere Bausteine des „skalierbaren und modularen Systemangebots“ sind bereits verfügbar, etwa für das Flottengeschäft, oder aktuell noch in Planung.
Schwöbel betont im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, dass es sich bei dem neuen Driver-Konzept auch weiterhin um ein Partnerkonzept handele und eben nicht um ein mehr oder weniger starres Franchisekonzept. Dass sich aber die Driver-Partner in Deutschland auf eine mögliche tiefergehende Integration mit Pirelli einstellen können, das scheint klar und liegt sicher im Interesse des Reifenherstellers, sollte aber auch im Interesse der Partner im Reifenhandel liegen. Schwöbel unterstreicht unterdessen aber noch einmal den Charakter der Beziehungen zu den Reifenhändlern als „partnerschaftlich“. Mit anderen Worten: Pirelli macht ein Angebot, das sich – so Schwöbel – als wettbewerbsfähig erweist.
Nicht zuletzt auch um zu zeigen, was das neue Driver-Konzept alles umfasst, was es alles kann, hat Pirelli jetzt sein Driver Center in Frankfurt als sogenannten „Flagship-Store“ eröffnet. Dass der italienische Reifenhersteller am Standort auch Geld verdienen will und auch verdienen muss, um als nachahmenswertes Beispiel für seine Driver-Partner gelten zu können, ist für Michael Schwöbel eine Selbstverständlichkeit. Die Basis in Frankfurt am Standort in der Hanauer Landstraße – der Automeile schlechthin im Rhein-Main-Gebiet mit etlichen Autohäusern sowie einem überaus kaufkraftstarken Umfeld und überdurchschnittlich vielen Flottenkunden – ist sehr gut, so Schwöbel. Auch könne man mit einem guten Kundenstamm anfangen, der bereits bei Eröffnung mehr als die Hälfte der möglichen 24.000 Reifeneinlagerungsplätze am Standort auslastet. Neben einer Pneumobil-Filiale in der Nähe des neuen Driver Center, die Pirelli geschlossen hat, ‚gingen’ auch die Kunden des Frankfurter point-S-Partners Werthmann/Metzeler an den Driver Center; Pirelli hatte den Reifenhändler übernommen und ihn dann integriert. Neben Dubai und Moskau hat Pirelli damit nun in Frankfurt seinen dritten Driver Center eröffnet. Niederlassungsleiter ist Benjamin Raab, ein Pirelli-Eigengewächs.
Zukünftige Rolle des Driver-Konzeptes
Auch in Zukunft will Pirelli ganz gezielt sein Driver-Partnerkonzept ausbauen. Akquisitionen allerdings, mit denen Pirelli jüngst auf dem deutschen Markt von sich reden gemacht hat, lassen eine Doppelstrategie vermuten. Nach Reifen-Wagner R.W. hatte der italienische Reifenhersteller in diesem Herbst auch das Quasi-Schwesterunternehmen Reifen-Wagner I.S. – beide im bayerischen Landshut mit insgesamt 25 Niederlassungen in der Region zu Hause – gekauft. Mit weiteren Übernahmen hat Pirelli im Laufe dieses Jahres rund 30 neue Niederlassungen für sein Retail-Netzwerk erworben. Während die aktuell 60 Pirelli-eigenen Niederlassungen samt und sonders unter Pneumobil firmieren (ein 100-Prozent-Unternehmen der Pirelli Deutschland GmbH) und auch einen entsprechenden Markenauftritt haben, tragen sich die Verantwortlichen bei Pirelli nicht mit dem Gedanken, die neuerworbenen deutschen Betriebe ebenfalls in Pneumobil umzubenennen. Die Identität der beiden Reifen-Wagners und deren lokale/regionale Verwurzelung ist in über 90 Jahren entstanden. So etwas dürfe man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, betont Michael Schwöbel.
Zu den Hintergründen der Akquisitionen dieses Sommers befragt, stellt der Vorsitzende der Geschäftsführung der Pirelli Deutschland GmbH klar, dass Übernahmen nicht das bevorzugte Mittel seien, um das eigene Retail-Geschäft in Deutschland weiter auszubauen. Im Gegenteil: Man sehe klar die Vorteile eines eigenverantwortlich handelnden, unternehmerisch denkenden Partners. Dieser Partner liefere nicht nur tendenziell bessere Ergebnisse, wenn auch der direkte Einfluss auf das Tagesgeschäft eines – wenn auch vertraglich verpflichteten Partners – per Definition geringer ist; er verringert vor allem auch die Investitionskosten auf Seiten des Reifenherstellers. „Die erste Option für uns ist es immer, den Unternehmer zu unterstützen, mit seinem Geschäft weiterzumachen. Wenn er aber verkaufen will, dann muss man dies hinnehmen“, so Daniele Deambrogio.
Im Falle der jetzt vorgenommenen Akquisitionen, ergänzt Schwöbel, habe man schlichtweg eine Entscheidung treffen müssen: Die bisherigen Eigentümer waren eben an einem Verkauf ihrer Betriebe interessiert. Und da man davon ausgehen darf, dass es mehrere Kaufinteressenten für die renommierten, traditionsreichen Handelsunternehmen gegeben hat, musste die Pirelli-Geschäftsleitung die Entscheidung schnell treffen: Entweder kaufen, oder der Kunde geht an einen Wettbewerber. Auch darf man davon ausgehen, dass die übernommenen Betriebe beim Absatz von Pirelli-Reifen durchaus noch Wachstumspotenzial zeigten, so dass sich die Akquisitionen auch durch die erwarteten Absatzsteigerungen (mit) rechtfertigen lassen. „Für uns war die Übernahme eine gute Gelegenheit“, erklärt Schwöbel im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG und unterstreicht gleichzeitig: „Es ist nicht unser Ziel, weitere Unternehmen zu übernehmen.“
„Unser langfristiges Konzept für die Zukunft ist das Driver-Konzept“, betont Michael Schwöbel. Driver sei das Konzept für den Pirelli-Partner im Reifenfachhandel. Es gelte, dieses Konzept weiterzuentwickeln und die Partner künftig noch enger durch das oben beschriebene wettbewerbsfähige Angebot an sich zu binden.
Während die Verantwortlichen bei Pirelli in Bezug auf Driver noch betont von einem Partnerkonzept sprechen, scheint eine tiefergehende Integration – vielleicht einmal in Form eines Franchisevertrages – die logische Schlussfolgerung der aktuellen Entwicklungen. Etwas, das aber in jedem Fall bereits beschlossene Sache ist, ist die stärkere Betonung des Driver-Konzeptes als Marke und für den Markenauftritt zum Endverbraucher hin. In Zukunft, so Schwöbel weiter, sollen Partnerbetriebe samt und sonders auch als Pirellis Driver-Partner erkennbar sein, ohne dabei allerdings die eigene, zum Teil über Jahrzehnte hinweg gewachsene Identität zu gefährden.
In das sich zukünftig wandelnde Driver-Partnerkonzept soll sich auch die Pneumobil-Kette einbinden. Auch hier soll für Endverbraucher ersichtlich werden, dass Pneumobil ein Driver-Partner ist, dessen Anbindung an das „skalierbare und modulare Systemangebot“ natürlich entsprechend umfangreich sein wird. Dass Pirellis Pneumobil-Betriebe in naher Zukunft vielleicht einmal ihren Markenauftritt in den eines Driver-Center wie in Frankfurt ändern, sieht Pirellis CEO für Zentraleuropa nicht. Daniele Deambrogio betont indes auch, dass der Hersteller in Zukunft europaweit das Driver-Netzwerk ausbauen will – und dazu sollen dann eben auch die Pneumobil-Betriebe gehören, deren Identität als solche aber gewahrt bleiben soll. arno.borchers@reifenpresse.de
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