EU-Reifenlabel: Fachhandel sollte aus seinem ‚Winterschlaf’ erwachen
Was hat die Branche im vergangenen Sommer kontrovers über die bevorstehende Einführung des EU-Reifenlabels diskutiert. Konferenzen fanden statt zum Inhalt des kleinen, bunten Aufklebers, Presseveranstaltungen und zu guter Letzt auch die Reifen-Messe, auf der es 2012 kaum ein anderes Thema zu geben schien; entsprechend groß war das Medienecho und die allgemeine Erwartungshaltung. Zurecht hatten damals alle Marktteilnehmer betont, das Reifenlabel ist ein Sommer-Reifenlabel, folglich müsse man bis zur kommenden Sommerreifensaison warten, um die Auswirkungen der EU-Verordnung auf das Käufer- und Verkäuferverhalten und den Reifenhandel insgesamt bilanzieren zu können. Nun, es ist Sommer 2013 – die Zeit ist reif, sich ein fundiertes Urteil zu bilden. Dieses fällt derweil vernichtend aus, leider! Der stationäre Handel vergibt hier eine große Chance.
Zugegebenermaßen, das Sommerreifengeschäft war nicht gerade das beste; der Wettbewerb war enorm, die Preise standen deutlich unter Druck. Da ist es nachzuvollziehen, dass Reifenhändler bzw. deren Verkäufer sich im Verkaufsgespräch nicht lange mit ‚Nebenkriegsschauplätzen‘ aufhalten, sondern gleich zur Sache kommen, sprich: auf den Preis. Jüngste Umfragen der point S Deutschland werfen in diesem Zusammenhang ein äußerst fahles Licht auf die Fachhändlerschaft. Während die Beratung in Bezug auf das EU-Reifenlabel sogar durch die Verordnung vorgeschrieben ist, ohne dass diese sich über die Details der Beratung auslässt, fand die Kooperation aus Ober-Ramstadt im Rahmen eines sogenannten Mystery Shoppings Folgendes heraus: 70 Prozent der Händler hatten es nicht für notwendig erachtet, das EU-Reifenlabel am Verkaufstresen überhaupt zu erwähnen.
Ob sich diese Zahl verallgemeinern lässt, muss jeder für sich selber entscheiden. Fakt ist aber auch: Fragt man bei anderen Organisationen des Reifenhandels oder direkt bei Reifenfachhändlern nach, ist die Antwort eigentlich stets dieselbe: Reifenlabel, das spielt bei uns keine Rolle!
Dies ist eine vertane Chance, finden dabei nicht wenige aus der Industrie und aus den Organisationen. Auch BRV-Chef Peter Hülzer fand auf der jüngsten Mitgliederversammlung seines Verbands deutliche Worte. Ein Reifenhändler, der sich als Fachhändler auf seinem lokalen Markt positionieren will, sollte die Information über grundlegende Produkteigenschaften zum Standardrepertoire gehören – und der geschäftsführende Vorsitzende meinte damit Leistungseigenschaften und nicht den Preis. Hülzer fand wenig lobende Worte für den Umgang der Händlerschaft mit dem Thema EU-Reifenlabel und kritisierte die Art mit dem Kunden zu kommunizieren, die eben nicht nachhaltig sei.
Ins selbe Horn stieß kürzlich ebenfalls Rolf Körbler, Geschäftsführer der point S Deutschland GmbH. Auf der oben bereits genannten Tagung nahm er die Ergebnisse des Mystery Shoppings zum EU-Reifenlabel zum Anlass um zu fragen: „Was spricht eigentlich dagegen, das Reifenlabel ganz gezielt beim Kunden anzusprechen?“ Der Fachhändler könne sich gegenüber dem Kunden mit Informationen zum Produkt als der einzig richtige Ansprechpartner für das Thema Reifen herausstellen und die Komplexität des Produktes somit zu seinen Gunsten nutzen. Die Antwort auf seine eigene Frage musste Körbler freilich schuldig bleiben, gerieten doch selbst versierte Reifenhändler bei der Beantwortung ins Stocken.
Das EU-Reifenlabel begleitet die Marktteilnehmer jetzt bereits zwei Saisons. Vielleicht ist es da einfach noch früh, sich ein abschließendes Urteil zu erlauben, ob es funktioniert oder nicht, ob es Endverbraucher dazu bringt, bessere Reifen schlechteren vorzuziehen und ob Hersteller große Summen in die Verbesserung eben jener Reifen investieren. „Zum jetzigen Zeitpunkt – relativ zeitnah zur Einführung des EU-Reifenlabels – ist es deutlich zu früh, bereits ein abschließendes Fazit zur Akzeptanz des EU-Reifenlabels zu ziehen“, lautet die Stellungnahme, die Peter Hülzer auf Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG dazu abgibt. „Laut WdK weist eine erste Untersuchung im Auftrag eines der Hersteller darauf hin, dass Endverbraucher in Deutschland beginnen, das EU-Reifenlabel vermehrt in ihre Kaufentscheidungen einzubeziehen. Die Ergebnisse marktübergreifender Studien zu diesem Thema stehen derzeit noch aus“, so der geschäftsführende BRV-Vorsitzende weiter.
Andererseits: „Aus dem Kreis unserer Mitglieder hören wir, dass Kunden das Reifenlabel in Verkaufsgesprächen bis dato kaum bis gar nicht thematisieren. Wenn überhaupt, dann betrachten sie es weniger als Entscheidungshilfe für den Kauf, sondern äußern eher Verunsicherung darüber, ob und inwieweit die Labelwerte überhaupt aussagefähig sind. Interessant ist in dem Zusammenhang eine Information des WdK, dass die Premiumreifenhersteller aus den verschiedenen Distributionskanälen unterschiedliches Feedback erhalten: Während die Labelkriterien beim Großhandel und bei internetgestützten Vertriebswegen offenbar Bedeutung haben, wird das EU-Reifenlabel beim stationären Handel als Informationsinstrument zu den Leistungseigenschaften Rollwiderstand, Nasshaftung und Geräusch noch nicht flächendeckend nachgefragt bzw. eingesetzt. Das deckt sich mit unserer Einschätzung.“
Die Erfahrungen mit dem EU-Reifenlabel und dessen Bedeutung an der Verkaufsfront sind auch für die Verantwortlichen bei der GD Handelssysteme nur schwer zu greifen. „Das EU-Label wurde von den Reifenhändlern sehr unterschiedlich angenommen“, sagt etwa Premio-Leiter Jochen Clahsen im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. „Einige GDHS-Partner haben die Bewertungen der Reifen teilweise argumentativ genutzt, von anderen Partnern wissen wir, dass sie sie gar nicht eingesetzt haben. Die Händler haben die Argumentationshilfen, die sich durch das Label ergeben haben, noch nicht wahrgenommen. Im deutschen Reifenmarkt zählen immer noch in hohem Maße die Ergebnisse der unterschiedlichen Reifentests. Ein Testlabel hat einen höheren Stellenwert beim Kunden, er fragt nach ‚sehr gut‘ und ‚sehr empfehlenswert‘, noch nicht nach den Labelwerten A und B.“
Diese Erfahrung hat auch Peter Deubzer gemacht. Der Reifenhändler aus Speichersdorf bei Bayreuth sagt: „Das Reifenlabel hat im Frühjahr bei der Kaufentscheidung unserer Kunden so gut wie gar keine Rolle gespielt. Obwohl wir die Kunden beim Verkaufsgespräch in der Regel sehr deutlich auf das Reifenlabel hingewiesen haben, entschieden sich wesentlich mehr von ihnen für einen Reifen, der in Tests gut abgeschnitten hatte, als für ein Produkt mit besseren Labelwerten. Gelegentlich fragten Kunden, wie groß die Unterschiede in den einzelnen Klassen seien; zur Kaufentscheidung trug das Label jedoch wenig bei. Allerdings dauerten die Beratungsgespräche in einigen Fällen dadurch deutlich länger als vor dem Label. Die Anzahl der Kaufinteressenten, die grundsätzlich nach Reifen mit guten Labelwerten anfragten, war extrem gering.“
Die Liste an ähnlich gelagerten Aussagen ließe sich ohne Not noch ausweiten. Der Punkt ist allerdings deutlich geworden: Reifenhändler nutzen das EU-Reifenlabel so gut wir gar nicht. Dabei vergeben sie ein Chance, in einem volatilen Markt, dessen Beständigkeit in den vergangenen Monaten zu allererst die Unbeständigkeit gewesen ist, einen klaren Akzent zu setzen und eben nicht ‚mit der Herde – über die Klippe – zu laufen‘.
Peter Hülzer dazu: „Aus unserer Sicht bietet das Label eine ausgezeichnete Möglichkeit, Endkunden zu vermitteln, wie viel Intelligenz, Kreativität und Know-how in einem Qualitätsreifen stecken. Das deutlich zu machen, liegt in unseren Händen – so lautet unsere klare Botschaft an den Reifenhandel. Erforderlich ist sicherlich eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, die auch von den staatlichen Stellen flankiert werden muss. Fakt ist: Obwohl die Verbraucher bislang zurückhaltender auf das Reifenlabel reagiert haben, als von uns erhofft, darf die Chance, mithilfe des Labels zu einer höheren Sensibilisierung für das Low-Interest-Produkt Reifen zu kommen, nicht vertan werden.“
Man begrüße natürlich „im Handelsbereich das eingeführte Label als weiteres Verkaufsargument. Aus unserer Sicht hat die Industrie im Vorfeld alles getan, um den Reifen noch besser nach Wirtschaftlichkeit und Sicherheit beurteilen zu können“, ergänzt Premio-Leiter Jochen Clahsen. „Jetzt ist es die Aufgabe der Reifenhersteller die Reifen dementsprechend weiter zu entwickeln und möglichst gut gelabelte Produkte in den Markt zu bringen.“
Inwiefern Endverbraucher aber in Zukunft nach eben solchen Produkten fragen, steht in den Sternen. Auch wenn Sterne bekanntlich nur schwer zu erreichen sind, hat zumindest Reifenhändler Peter Deubzer eine positive Erfahrung mit dem EU-Reifenlabel gemacht, wie er im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erzählt: „Lediglich an eine ältere Dame kann ich mich erinnern, die darauf bestand, einen AA-gelabelten Reifen montiert zu bekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dem Reifenlabel in Zukunft mehr Bedeutung zukommen wird“, gibt sich der Händler pessimistisch. „Der Kunde ist vom Reifenlabel nicht überzeugt. Für uns bedeutete es in einigen Fällen deutlich mehr Beratungsaufwand, der zur Kaufentscheidung letztendlich nur sehr selten beigetragen hat.“
Nicht ganz so kritisch will Jochen Clahsen die Situation sehen und meint: „Der Großteil der Reifenverkäufe findet innerhalb weniger Wochen des Jahres statt. Da ist es natürlich schwierig, aufgrund des Zeitmangels aktiv die Labeleigenschaften zu erklären. Wir glauben, dass die Akzeptanz des Reifenlabels über mehrere Wechselsaisons erst wachsen muss. Bei der Elektroware hat sich das Label auch erst über Jahren etabliert.“ arno.borchers@reifenpresse.de
Zugegeben, das EU-Reifenlabel ist erklärungsbedürftiger als der Alternativvorschlag oben, der vielleicht von der Redaktion der NEUE REIFENZEITUNG in die Diskussion hätte eingebracht werden sollen – aber gerade dieser Umstand gibt Reifenfachhändlern doch die Gelegenheit, sich gegenüber dem Kunden mit Informationen zum Produkt als der einzig richtige Ansprechpartner für das Thema Reifen herausstellen und die Komplexität des Produktes zu ihren Gunsten zu nutzen; der Fachhandel sollte endlich aus seinem diesbezüglichen ‚Winterschlaf’ erwachen
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