Collmann unter Micro-Poise wieder auf Wachstumskurs
Als die US-amerikanische Fachzeitschrift „Popular Science Monthly“ im März 1935 über die technischen Möglichkeiten berichtete, Reifen rundzuerneuern, anstatt sie nach einem ‚Arbeitsleben’ von 20.000 Meilen zu entsorgen, steckte die Runderneuerungsbranche noch in ihren Kinderschuhen. Immerhin zwanzig Jahre zuvor hatte Oliver Rubber in den USA erstmals mit dem Verfahren der Kalterneuerung experimentiert. Aber auch bei der Veröffentlichung des Artikels in der populärwissenschaftlichen Zeitschrift Jahre später hatte sich am Arbeitseinsatz in der Produktion nicht viel verändert: Die Runderneuerung blieb überaus arbeitsintensiv, das Abrauen der Reifen musste zum großen Teil von Hand gemacht werden. Dies sollte sich bald ändern.
In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre versuchte der Deutsche Nanno Collmann insbesondere diesen Teil des Runderneuerungsprozesses zu vereinfachen, was 1938 zur Vorstellung der ersten Reifenraumaschine der Welt führte. Auch ein Dreivierteljahrhundert später ist die Marke „Collmann“ in Runderneuerungskreisen weltweit immer noch bekannt und respektiert, nicht zuletzt auch, weil die neuen Inhaber nach der Collmann-Insolvenz weiterhin ein großes Interesse an dem Geschäft haben.
Die Collmann GmbH & Co. Spezialmaschinenbau KG wurde im September 2010 von der Micro-Poise Measurement Systems LLC (Streetsboro, Ohio/USA) übernommen, nachdem das Unternehmen mit Sitz in Lübeck im April zuvor Insolvenz angemeldet hatte; man war in den Strudel der Wirtschaftskrise geraten. Heute sehen viele in der Übernahme durch Micro-Poise die Rettung der Marke. Bei einem Gespräch, das die NEUE REIFENZEITUNG kürzlich mit Ralf Frohwerk, bei Micro-Poise Measurement Systems Europe (Lübeck) für den weltweiten Vertrieb und Einkauf zuständig, und Sales Manager Klaus-Dieter Wergien sprach, betonten beide die großen Vorteile, die die Übernahme des Pioniers der Runderneuerungsbranche durch die US-Amerikaner mit sich bringt. „Oftmals, wenn ein Unternehmen ein anderes übernimmt, sind finanzielle Gründe die einzig wichtigen“, sagt Frohwerk. „Mit Micro-Poise ist dies anders. Die produzieren bereits etliche Anlagen für das Finishing von Reifen, von Röntgenanlagen einmal abgesehen. Nun sind wir ein Unternehmen, das darüber hinaus noch mehr anbieten kann; wir können der Reifenbranche ein komplettes Portfolio bieten.“ Dazu gehören etwa Anlagen, um den Rundlauf von Reifen zu testen.
Ausbau des Collmann-Sortiments
In den Übergangsjahren, als Collmann durch die Insolvenz gegangen und die Übernahme und spätere Umbenennung in Micro-Poise Measurement Systems Europe GmbH Anfang 2012 vollzogen wurde, konzentrierte man sich zunächst auf das Kerngeschäft. Für die Runderneuerung bedeutet dies zunächst, dass sie einen Platz auf dem Rücksitz einnehmen musste. „Nach dem Wiederanfang 2010 begannen wir zunächst mit unserer Röntgenanlage“, erläutert Frohwerk. „Wir werden uns aber in jedem Fall wieder auf alle Collmann-Produkte konzentrieren, für die Runderneuerungsbranche wie für die Neureifenproduktion. Wir werden unsere bestehenden Produkte erneuern und sie wieder auf den Markt bringen.“
Laut Frohwerk sei Micro-Poise Measurement Systems Europe mittlerweile in einer Position, dass man sich über die zerstörungsfreie Reifenkontrolle per Röntgen hinaus mit weiteren Anlagen aus dem früheren Sortiment beschäftigen könne. „Von 2011 auf 2012 haben wie die Anzahl der in Lübeck gefertigten Maschinen beträchtlich gesteigert. Unsere Kunden sind wirklich dankbar, dass Collmann dank der Unterstützung durch Micro-Poise wieder am Start ist. Wir schätzen, dass sich die Umsätze 2013 weiter steigern lassen.“ Gegenwärtig nimmt der Geschäftszweig der Runderneuerung bei Micro-Poise Measurement Systems Europe lediglich zehn Prozent am Gesamtumsatz ein – Tendenz laut Frohwerk: steigend. „Bis 2010 und darüber hinaus haben wir uns vorwiegend um das Neureifengeschäft gekümmert. Nun wollen wir aber das Runderneuerungsgeschäft wieder forcieren.“
Zentrale Produkte
Das heute wichtigste Produkt in dem Collmann-Micro-Poise-Sortiment für die Runderneuerungsbranche – offizielle spricht man jetzt von „Micro-Poise featuring Collmann“ – ist die stark nachgefragte Raumaschine 0142. „Diese Anlage ist komplett computergesteuert“, erläutert Klaus-Dieter Wergien. „Man muss lediglich die Profilbezeichnung des Reifens eingeben und die Anlage weiß dann genau, wie sie den Reifen abrauen muss. Sie folgt der Kontur des Reifens und raut absolut exakt. Die Anlage umfasst einen Sensor, der misst, wie viel Gummi über dem Stahlgürtel liegt. Der Anwender muss den Reifen lediglich einspannen, befüllen und das Rauprogramm auswählen – der Rest findet automatisch statt.“ Die Raumaschine 0142 ist in der Lage, Reifen zwischen 14 und 24,5 Zoll zu rauen; sie kann außerdem auch Supersinglereifen in der Größe 495/45 R22,5 rauen. Laut Wergien sei die Anlage in den vergangenen Jahren immer wieder mit Blick auf neueste Anforderungen angepasst und modernisiert worden. „Eine neue Option ist etwa die zweiseitige Bürste, mit der die Seitenwände gleichzeitig gereinigt werden können.“
Von „Micro-Poise featuring Collmann“ gibt es ebenfalls Raumaschinen für EM-Reifen mit kleineren Durchmessern, erläutert Ralf Frohwerk, der sich um dieses Marktsegment in Zukunft gerne mehr kümmern möchte. „Hauptsächlich haben wir derzeit unsere Kunden unter den Lkw-Reifenrunderneuerern. Der nächste Schritt sollte aber sein, dass wir mehr für die EM-Reifenrunderneuerungsbranche anbieten.“ Zusätzlich zu den Raumaschinen – dem zentralen Produkt im Collmann-Sortiment – führt das Unternehmen noch Belegemaschinen und Pressen im Sortiment.
Röntgenanlagen könnten demnächst zu dieser Liste hinzugefügt werden. „Wir sprechen immer öfter mit Runderneuerern über die Vorzüge von Röntgenkontrollen“, so Frohwerk weiter. „Die Vorteile liegen klar bei der Kontrolle des Stahlgürtels und der versteckten Kordlagen in der Karkasse. Die gesamte Runderneuerungsbranche wird in Zukunft ein komplett neues Niveau erreichen. Man kann das schon allein daran sehen, wie sehr sich die Neureifenindustrie derzeit dafür interessiert. In vielen Ländern gibt es heute einen Druck auf die Neureifenhersteller, ebenfalls eine Runderneuerung anzubieten. Und die meisten Collmann-Produkte bieten Antworten für die Neureifenproduktion und für die Runderneuerung. Gerade wenn es darum geht, Produkte für die Runderneuerungsindustrie zu entwickeln, dann können wir auf unsere langjährige Erfahrung auch auf dem Gebiet der Neureifenfertigung vertrauen. Das ist für uns ein riesiger Vorteil.“
Anlagenmodernisierung – ein Geschäft mit Potenzial
Der Gebrauch von Röntgentechnologie auch im Runderneuerungssektor stellt für Micro-Poise Measurement Systems Europe eine besondere Chance dar. Ein weiteres Geschäft, um das sich das Unternehmen seit einiger Zeit intensiv kümmert, ist die Modernisierung von bereits im Gebrauch befindlichen Collmann-Anlagen, ob für die Neureifenproduktion oder die Runderneuerung. „Es ist für unseren Betrieb in Lübeck eine wichtige Entwicklung, dass wir dort jetzt mehr und mehr auch Collmann-Anlagen überholen und auf den neuesten Stand bringen, Anlagen, die bereits einige Jahre genutzt wurden“, erläutert Ralf Frohwerk. „Maschinen, die schon 20, 30 Jahre Dienst hinter sich haben, haben technologisch immer noch eine gute Grundlage. Diese können wir aber mit einer Kostenersparnis von 20 bis 40 Prozent erneuern, so dass sie mit der ganzen modernen Technologie genutzt werden können. Wir sind die erste Micro-Poise-Fabrik, die dies tut. Anlagenmodernisierung, das sogenannte ‚Rebuilding’, haben wir erstmals 2011 betrieben und es ist ein wachsendes Geschäft. Einige der Top-Fünf-Reifenhersteller haben uns bereits Aufträge erteilt, um zu sehen, wie dies funktioniert.“
Die Dienstleistungen, die Micro-Poise Measurement Systems Europe in diesem Zusammenhang anbietet, fangen beim Austausch von Kameras in den Röntgenanlagen an und reichen bis zum Komplettaustausch. „Egal wie alt die Anlage ist, wir finden immer einen Weg“, ergänzt Klaus-Dieter Wergien. „Dieser Servicegrad ist ein Unterscheidungsmerkmal, mit dem wir uns von unseren Wettbewerbern absetzen können.“
Übernahme durch Ametek mit positiven Folgen
Die ehemalige Collmann-, jetzt Micro-Poise-Fabrik in Lübeck hat es in den vergangenen zweieinhalb Jahren gut getroffen; die Umsätze steigen wieder an und neue Produkte kommen auf den Markt. Die neueste Entwicklung in der langen Geschichte der Firma Collmann fand im Oktober 2012 nur zweieinhalb Jahre nach der Übernahme durch Micro-Poise Measurement Systems aus den USA statt. Ende vergangenen Jahres wurde Micro-Poise – samt Tochtergesellschaft Micro-Poise Measurement Systems Europe – selber verkauft. Die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft American Industrial Partners verkaufte Micro-Poise für rund 170 Millionen US-Dollar an Ametek Inc., ein US-Unternehmen aus der Prozesskontrolle und Prozesssteuerung, der Gerätekalibrierung, der Materialanalytik und der Präzisionsmesstechnik mit Sitz in Berwyn (Pennsylvania). Laut Frohwerk sei diese Veränderung sehr willkommen. „Als Collmann durch Micro-Poise übernommen wurde, konnten wir mehr Dienstleistungen bieten und waren mit mehr Vertrieblern im Markt“, erläutert er. „Jetzt sind wir eine Geschäftseinheit von Ametek, ein Unternehmen, das auf Wachstumsmärkten stark ist und auf Synergien setzt. Es ist der logische nächste Schritt, dass sich dies in Zukunft auch positiv auf unseren Betrieb und das tägliche Geschäft auswirkt.“ stephen.goodchild@tyrepress.com/ab
Schreiben Sie einen Kommentar
An Diskussionen teilnehmenHinterlassen Sie uns einen Kommentar!