Landwirtschaftsreifenmarkt bleibt ein Wachstumsmarkt
„Brot und Reis essen die Menschen immer auf dieser Welt“, hat ein Anbieter von Landwirtschaftsreifen vor einigen Jahren in einer Expertenrunde zum Besten gegeben. Aber nicht nur das Geschäft mit Pkw- und Lkw-Reifen ist vor Negativszenarien nicht gefeit, auch mit Agrarreifen hat man kein krisenresistentes Produkt, wie uns das Jahr 2009 „nach Lehman“ gelehrt hat. Die Investitionen in landwirtschaftliches Gerät und auch in deren Bereifungen brachen damals ein, aber sicher war da schon: Irgendwann muss der Markt zurückkommen, denn essen müssen die Menschen immer. Und das nicht nur hierzulande, sondern weltweit. Weil immer mehr Menschen auf diesem Globus leben – mehr als sieben Milliarden sind es schon –, müssen auch immer mehr Nahrungsmittel erzeugt werden. Landwirtschaft ist ein Wachstumsmarkt.
Und die Landtechnik auch. Die landwirtschaftlich nutzbaren Flächen dieser Welt sind zwar limitiert, aber es gilt, aus diesen Flächen immer mehr herauszuholen, Hektarerträge zu steigern, die Fruchtbarkeit von Böden zu bewahren oder sogar zu steigern. Das geschieht zum Einen durch die Chemie, sodass dem Begriff Agroindustrie an sich nichts Böses mehr innewohnt, denn Düngemittel helfen Ernteerträge zu steigern, Gifte bewahren vor Schädlingsbefall. Und Erträge lassen sich auch steigern durch leistungsfähigeres Equipment, das mit den richtigen Reifen ausgerüstet sein sollte. Gerade in Ländern mit dem größten Bevölkerungswachstum – genannt seien China und Indien – besteht ein enormer Nachholbedarf an leistungsfähigen Traktoren, Bodenbearbeitungsmaschinen und Erntegerät. Auch die Bereifungen lassen zu wünschen übrig, sie sind nicht nur in diesen beiden großen, sondern auch in vielen weiteren kleineren Entwicklungsländern zumeist diagonaler, einfacher Bauart und oftmals zu erkennen am englischen Terminus „herring-bone“-Reifen. Diese Reifen sind überwiegend auf gezogenen Fahrzeugen bzw. nicht angetriebenen Achsen montiert. Die Radialisierung des Landwirtschaftsreifenmarktes mag in Europa weit fortgeschritten sein, auch in Nordamerika voranschreiten, in den Ländern mit dem ganz überwiegenden Einsatz von „herring-bone“-Reifen hat sie kaum begonnen. In diesem Marktsegment liegt noch für viele Jahre ein enormes Wachstumspotenzial. Verglichen mit den großen Marktsegmenten Pkw- und Lkw-Reifen (siehe Schaubild 1) sind Landwirtschaftsreifen eine Nische, selbst verglichen mit EM- und Industriereifen (übrigens auch ein lukratives Wachstumssegment) machen sie nur ein Drittel davon aus. Am Weltreifenmarkt haben Agrarreifen einen Anteil von nicht einmal drei Milliarden Euro.
An diesem Markt partizipieren die großen Reifenhersteller wie Michelin und Bridgestone (mit der weltweit wohl größten Agrarreifenmarke Firestone) mit Vollsortimenteranspruch in entwickelten Ländern, nicht aber bislang in den aufstrebenden. Trotz ihrer globalen Ansprüche müssen bei Marken wie Pirelli (in Südamerika stark) oder Goodyear (hat Amerika schon aufgegeben und will Europa-Geschäft verkaufen) schon Abstriche gemacht werden. Dafür haben sich in den letzten Jahren vor allem mit Trelleborg, CGS, Titan, BKT und der Alliance Tire Group einige Spezialisten herauskristallisiert, die auch eint, dass sie mehr oder weniger stark als OTR-Anbieter (Off-The-Road) auftreten, also nicht nur mit Landwirtschafts-, sondern auch mit dem verwandten Segment EM-/Industriereifen.
„Gesättigter“ Markt Europa
Zwar werden auch in Europa bzw. der EU (so in Finnland, Polen, Spanien, Tschechien) nach wie Landwirtschaftsreifen gefertigt, aber von größeren Investitionen in die Agrarreifenproduktion hört man eher selten. Europa ist ein Importraum für dieses Segment. Im Jahre 2010 wurden 170.000 in der EU hergestellte Agrarreifen in andere Regionen exportiert, aber fast drei Millionen importiert (ohne „herring-bone“-Reifen), so der Reifenherstellerverband ETRMA (European Tyre & Rubber Manufacturers’ Association). Nimmt man die „Einfachreifen“ noch hinzu, so erhöht sich die Anzahl importierter Landwirtschaftsreifen sogar auf fünf Millionen Einheiten für das Jahr 2010. Immerhin ist damit schon eine historische Spitze mit mehr als acht Millionen Stück (im Jahre 2008) geschliffen.
In Euro betrug der Wert der „herring-bone“-Reifen, die in die EU geliefert worden sind, mehr als 200 Millionen Euro; 60 Millionen Euro entfielen davon auf Indien, 31 Millionen auf die Türkei und 27 Millionen auf Israel. Höherwertigere Landwirtschaftsreifen wurden im Gegenwert von 166 Millionen Euro importiert; davon entfielen 72 Millionen Euro auf das Herstellungsland Indien, 35 Millionen auf Israel und 21 Millionen auf die Türkei (siehe Schaubild 2).
In Euro betrug der Wert der „herring-bone“-Reifen, die vom EU-Raum exportiert worden sind, mehr als 113 Millionen Euro; 62 Millionen Euro entfielen davon auf die Nafta-Staaten, 18 Millionen auf europäische Nicht-EU-Länder, 8,6 Millionen auf den Mercosur-Raum und 6,7 Millionen auf Afrika. Höherwertigere Landwirtschaftsreifen wurden im Gegenwert von 32 Millionen Euro exportiert; davon entfielen gut neun Millionen Euro auf Nicht-EU-Länder, 6,4 Millionen auf die Nafta-Staaten, vier Millionen auf Afrika und 3,4 Millionen auf den Mercosur-Raum (siehe Schaubild 3).
In Bezug auf Landwirtschaftsreifen ist vor allem die Handelsbilanz zwischen EU-Raum und Indien von Interesse. Denn Indien ist ein großes Herstellungsland für Reifen in diesem Segment mit der Balkrishna Tyres Ltd. an der Spitze, bekannt unter dem Kürzel BKT. An zweiter Stelle bedeutsam ist die indisch-israelische Alliance Tire Group (ATG) mit zwei eigenen Fabriken (außer in Indien auch in Israel) und Offtake-Partnerschaften in China und Taiwan. Damit nicht genug stellen auch noch andere indische Industrieunternehmen Landwirtschaftsreifen her, wobei natürlich die Vredestein-Muttergesellschaft Apollo zu nennen ist, denn mit dem Know-how der Niederländer sind Vredestein-Landwirtschaftsreifen made in India naheliegend. Während von den drei genannten indischen Reifenherstellern zu erwarten ist, dass sie (auch) eher höherwertige Produkte nach Europa exportieren, stehen die anderen indischen Namen eher für „herring-bone“-Reifen: Zu nennen wären Birla, Ceat, JK Tyre, MRF, Superking oder TVS, auch Goodyear stellt in Indien Landwirtschaftsreifen für die Märkte in der Region her. Hatte laut Eurostat Indien im Jahre 2000 erst etwa 92.000 Reifen in den EU-Raum geliefert (davon 60.000 „herring-bone“-Reifen), so waren es im Jahre 2010 bereits 1.361.000, davon 63 Prozent höherwertigere Reifen. Nach Indien exportiert hat der EU-Raum 2.000 Stück. detlef.vogt@reifenpresse.de
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