Shearografie: Investition mit wirtschaftlichem Erfolg
Es gibt heute im Wesentlichen zwei wichtige Trends in der europäischen Runderneuerung, die den Einsatz von Shearografie-Systemen mehr und mehr notwendig machen. Einerseits sind Karkassen zunehmend knapp, was außer an der schwachen Marktentwicklung bei Neureifen auch an dem verstärkten Engagement der Neureifenhersteller in der Runderneuerung liegt; diese versuchen ‚ihre’ Karkasse im eigenen System zu halten. Andererseits wird das Qualitätsdenken in der mittelständisch geprägten Runderneuerung immer wichtiger – Kunden wie auch die allgemeine Wettbewerbssituation fordern dies ein. Runderneuerer, die immer noch meinen, sich die Investitionskosten in Höhe von zum Teil 100.000 Euro und mehr nicht leisten zu können, entgegnet Marktführer Steinbichler jetzt in einem Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG: „Die Investition in Shearografie ist bei jedem unserer Kunden von wirtschaftlichem Erfolg gekrönt.“
Shearografie gibt es mit teurem Silberschichtfilm in der Runderneuerung von Flugzeugreifen schon seit Jahrzehnten. Seit der Einführung filmloser Shearografie-Systeme Anfang der 1990er Jahre erfreut sie sich zunehmender Verbreitung auch in der Runderneuerung vor allem von Lkw-Reifen. Während heutzutage die meisten qualitätsbewussten, größeren Runderneuerer in Deutschland Shearografie nutzen, haben andere Märkte Westeuropas noch leichten Nachholbedarf; in Osteuropa ist Shearografie hingegen noch nicht sehr weit verbreitet.
Was verbirgt sich aber hinter dem Shearografie-Verfahren genau? „Shearografie ist ein vergleichendes Prüfverfahren. Es erkennt kleinste Verformungen. Werden Reifen mit Lufteinschlüssen, sogenannten Separationen, einem abnehmenden Umgebungsdruck ausgesetzt, so dehnen sich diese Lufteinschlüsse aus und verformen die Reifenoberfläche. Dadurch kann Shearografie sehr kleine Lufteinschlüsse zerstörungsfrei und sicher erkennen“, erläutert Rainer Huber, Produktmanager bei Steinbichler Optotechnik und verantwortlich für Produkte zur zerstörungsfreien Prüfung von Reifen. Dabei werden Shearografie-Systeme heute nicht nur zur Prüfung von Lkw-Reifen genutzt, die die Eingangskontrolle eines Runderneuerungsbetriebes bestehen sollen, sondern auch in der Neureifenindustrie. Auch in anderen Industriezweigen, vornehmlich in der Luftfahrt, werden Shearografie-Produkte eingesetzt, um Lufteinschlüsse und Materialtrennungen in Verbundwerkstoffen zu erkennen. Steinbichler Optotechnik pflegte und pflegt etwa Partnerschaften zur Entwicklung neuartiger Mess- und Prüfsysteme auch mit Automobilherstellern wie BMW oder Audi, aber auch unter Einsatz der Shearografie mit dem Flugzeughersteller Airbus.
Shearografie in Verbindung mit Unterdruckkammern zur Prüfung von Reifen erkennt Fehler, die durch vollständig eingeschlossene Luft gekennzeichnet sind, also Separationen wie Gürtelkantenlösungen, lose Fäden in der Karkasse und insbesondere der Umkehrlage, fortgeschrittene Unterrostungen mit Ablösungen, gebrochene Fäden in der Seitenwand mit eindiffundierter Luft, Ablösungen der luftdichten Butylschicht im Inneren des Reifens. „Auch bei unvollständiger Vulkanisation von runderneuerten Reifen und sogar in Neureifen können fertigungsbedingte Luftblasen auftreten, die zu vorzeitigem Versagen des Reifens führen würden, durch Shearografie aber erkannt werden“, betont der Produktmanager des bayerischen Unternehmens.
Solche Schadensbilder würde selbst ein überaus erfahrener, hochkonzentriert arbeitender Karkassenprüfer nicht sehen können. Er kann zwar mitunter innere Verletzungen eines Reifens anhand äußerer Anzeichen erkennen, er kennt sicher auch ‚Problemreifen’ mit häufigen Reklamationen. „Mit intensiver Beschäftigung wird er einen Reifen relativ sicher beurteilen. Trotzdem kann er von außen niemals jedes Detail erkennen, das die Shearografie ihm zeigt. Er wird auch deutlich länger zur Beurteilung brauchen und nicht acht Stunden am Tag mit voller Konzentration zu Werke gehen“, unterstreicht Rainer Huber. „Daher sind gerade die erfahrenen Karkassenprüfer besonders von der Shearografie begeistert“, wenn sie etwa mit einem „Intact“-System von Steinbichler Optotechnik arbeiten. Die Fehleranzeige ist in der Regel eindeutig, Karkassenprüfer an der Eingangskontrolle könnten „sich auch an jene Problemreifen wagen, die sie bisher gemieden hatten“. Dies hilft gerade vor dem Hintergrund einer abnehmenden Karkassenverfügbarkeit und Karkassenqualität dabei, den Betrieb besser auszulasten und die Reklamationsquote „signifikant“ zu senken, betont dazu der Steinbichler-Optotechnik-Produktmanager.
Grenzen der zerstörungsfreien Prüfung von Reifen
Eine Shearografie kann aber auch nicht alles. Durch die Shearografie nicht erkannt werden etwa irreguläre Materialverteilungen wie Fadenspreizungen, lediglich geschwächte oder geknickte Karkassfäden ohne Lufteinschlüsse und Luftblasen mit weniger als einem Millimeter im Durchmesser. Ohnehin erkennbare Schnittverletzungen und Lufteinschlüsse mit Verbindungskanälen zur Umgebung, durch die Luftdruckunterschiede ausgeglichen werden können, kann Shearografie ebenfalls nicht erkennen.
Besonders interessant für den Runderneuerer sind über die technischen Finessen des Systems hinaus aber dessen wirtschaftliche Vorteile. Durch die Minimierung von Fehlbeurteilungen bei der Eingangskontrolle würden Kosten beim Einkauf der Karkassen gespart werden. Außerdem könne man mit der durch die Shearografie bereitgestellten Dokumentation Schwarz auf Weiß nachweisen, warum eine Karkasse nicht gekauft werden kann – hier könne man sich viel Ärger mit seinem Lieferanten ersparen. Und wenn eine fehlerhafte Karkasse die Eingangskontrolle – ohne Shearografie – ohne Beanstandung übersteht, entstehen durch den Runderneuerungsprozess weitere vermeidbare Kosten. Wenn irgendwann beim Durchlaufen durch die Runderneuerungsanlage der Defekt doch noch auffällt – gut, auch wenn Ausschuss produziert wird. Wenn der fertig runderneuerte Reifen aber ausgeliefert wird und dann am Lkw versagt, hat der Runderneuerer ein Problem: Reklamationen. Wenn dann nachgewiesen werden kann, dass die Karkasse bei Anlieferung noch in einem tadellosen Zustand war, ließe sich der Kunde sicher beruhigen. Ideal wäre dabei, dass dies mit der Dokumentation aus der Shearografie geschehen könnte.
Noch wichtiger aber ist die Vermeidung von unangenehmen und zum Teil kostspieligen und aufwendigen Reklamationen. Huber: „Besonders aber führt die Shearografie zu weniger Ausschuss in der Produktion, gesteigerter Qualität der runderneuerten Reifen und zufriedeneren Kunden. Nicht zuletzt erhöhen sich Zuverlässigkeit und Sicherheit im Einsatz.“ Der Produktmanager fasst weiter zusammen: „Shearografie ist unverzichtbar für die qualitätsbewusste Runderneuerung. Sie fördert die Reputation des Runderneuerers und hilft, ärgerliche und kostspielige Kundenreklamationen zu vermeiden. Zudem bietet sie Einsparpotential beim Karkasseneinkauf und in der Produktion.“
Alternative und komplementäre Verfahren
In den vergangenen Jahren hat es auf dem Markt immer wieder Verfahren gegeben, die sich als nützliche Ergänzungen im Produktionsprozess etablieren konnten; wirkliche Alternativen zur Shearografie gibt es bislang keine, weswegen sie in hochentwickelten Märkten in Westeuropa – etwa in Deutschland – auch flächendeckend im Einsatz ist. Ansätze in der Vergangenheit waren etwa, Reifen bzw. Karkassen mittels Ultraschall zu überprüfen. „Sie haben sich als nicht für den breiten Einsatz tauglich erwiesen und sind daher größtenteils durch Shearografie ersetzt worden. Die Röntgentechnologie könnte als Ergänzung defekte Metallfäden sicher nachweisen, ist aber wegen des hohen auch finanziellen Aufwands, der mit dem Betrieb einer Anlage verbunden ist, in der Runderneuerung kaum zu finden. Die Druckprüfung mit annähernd Betriebsdruck findet brüchige Seitenwände und vermeidet damit gefährliche Unfälle bei der Reifenmontage. Sie ist derzeit als komplementäre Prüfmethode zur Shearografie unverzichtbar“, so Huber gegenüber der NEUE REIFENZEITUNG.
Eine sinnvolle Ergänzung zu Shearografie-Systemen, die im Übrigen durch angelerntes Personal ohne besondere Vorkenntnisse sicher bedient werden können, sind Reifenprüfungen durch Hochspannung, ist man bei Steinbichler Optotechnik überzeugt. „Nagellöcher werden derzeit effektiv nur mit Hochspannung gefunden. Diese Systeme sind gerade bei häufigen Reklamationen wegen in der Eingangskontrolle nicht entdeckter Nagellöcher sinnvoll.“ Das Unternehmen aus dem bayerischen Neubeuern bietet daher mittlerweile auch eine kombinierte Prüfmaschine an, die Shearografie, Nagellochsuche und visuelle Inspektion in einem Gerät vereint: die „Intact V20“.
Die Investitionskosten, die ein Runderneuerer für die Anschaffung eines modernen Shearografie-Systems kalkulieren muss, können sich schnell auf 70.000 bis 100.000 Euro oder mehr summieren. So ist bei Steinbichler Optotechnik eine einfache Maschine zur Prüfung von Wulst zu Wulst bereits für unter 100.000 Euro zu haben, so Rainer Huber weiter. „Mit zunehmender Prüfkapazität auch deutlich mehr“, ergänzt der Produktmanager. „Dabei erhält man für die Mehrkosten stets überproportional gesteigerte Prüfkapazität.“ Die Taktzeiten etwa von „Intact 30“ oder „Intact 80“ passten zur Neureifenherstellung und „und bieten bei kompletter Automatisierbarkeit die Grundlage für eine weitere Verbreitung der Technologie in diesem Marktsegment.“ Ein Einstieg zur Prüfung von Lauffläche und Schulter ist mit der jüngst eingeführten „Steinbichler Intact V20t“ sogar bereits für unter 70.000 Euro möglich; diese Maschinen können auch später auf Wulst-zu-Wulst-Prüfung aufgerüstet werden.
„Unfälle und Reklamationen zu vermeiden, wird in Zukunft immer wichtiger werden“, ist sich Huber sicher. „Abgesehen vom ausschließlich preisorientierten Käufer wird man ohne Shearografie seinen Kunden in Zukunft kaum mehr gerecht werden können. Es wird schon schwer werden, überhaupt noch vernünftige Karkassen zu bekommen. Das Potential, durch die Eingangskontrolle mit ‚Intact’ in der Produktion unnötige Kosten für Ankauf und Arbeiten an mangelhaften Karkassen zu sparen, ist in der EM-Reifenrunderneuerung sogar noch deutlich größer, weil die EM-Runderneuerung sehr arbeitsintensiv ist und die Karkassen teurer sind.“ Der Produktmanager ist sich sicher, dass die Anschaffung sich in jedem Fall rechnet: „Die Investition in Shearografie ist bei jedem unserer Kunden von wirtschaftlichem Erfolg gekrönt.“
Steinbichler Optotechnik GmbH
Die Geschäfte der Steinbichler Optotechnik GmbH mit Sitz im bayerischen Neubeuern werden heute von Dr. Marcus Steinbichler geführt, dem Sohn von Dr. Hans Steinbichler. Der verstorbene Unternehmensgründer hatte schon früh die Chancen der zerstörungsfreien optischen Materialprüfung erkannt und gründete die Firma Steinbichler Optotechnik GmbH 1987. Die Entwicklung neuer Produkte konnte damals sehr von der aufkommenden Computertechnologie profitieren. Die Runderneuerungsbranche macht heute rund die Hälfte des Steinbichler-Geschäftes mit Shearografie-Systemen aus, die wiederum für rund eine Drittel der Umsätze des Unternehmens stehen, die im vergangenen Jahr bei rund 27 Millionen Euro gelegen hatten und um 32 Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen waren. „Daneben bieten wir überragende Lösungen im Bereich der digitalen optischen Messtechnik, Oberflächenprüfung und Medizintechnik. Es ist unser erklärtes Ziel, in allen Geschäftsbereichen wie in der Vergangenheit erheblich zu wachsen. Dazu sind wir breit aufgestellt und konnten Marktschwankungen noch immer erfolgreich trotzen“, so Rainer Huber abschließend. arno.borchers@reifenpresse.de
Mit komplett automatisierbaren Shearografie-Anlagen wie etwa der „Intact 80“ von Steinbichler können Taktzeiten wie in der Neureifenindustrie erreicht werden
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