NRZ-Interview: Nachschneiden hilft dem Kunden und der Kundenbindung
Unternehmen, die sich auch auf die Vermarktung von Lkw-Reifen als Neureifen oder Runderneuerte spezialisieren, müssen ihren Kunden heute neben einem umfassenden Produktprogramm immer auch die Dienstleistung des Nachschneidens anbieten. Die Laufleistung des Reifens kann dadurch – wenn das Nachschneiden fachmännisch durchgeführt wird – noch einmal um 25 Prozent gesteigert werden; gleichzeitig sinken die Kosten pro Kilometer. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erläutert Marc Jürgens, Product Manager Tyre Repair Tools and Chemicals bei Rema Tip Top, warum das Nachschneiden wichtig ist, wie damit Kunden gebunden werden können und was dabei in der Werkstatt zu berücksichtigen ist.
Neue Reifenzeitung:
Warum sollten Lkw-Reifen überhaupt nachgeschnitten werden?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
In der heutigen Zeit sollten die Ressourcen der Reifenlaufleistung voll ausgeschöpft werden. Für Flottenbetreiber heißt das nicht nur eine Lebensverlängerung der Reifen um bis zu 25 Prozent, sondern zusätzliche Sicherheit auf der Straße durch bessere Haftung im letzten Viertel des Reifenlebens bei vollem Erhalt des Karkassenwertes. Und selbst die Laufstreifen der Runderneuerung können in den meisten Fällen nochmals nachgeschnitten werden.
Durch das Nachschneiden wird der Kunde mit einem separaten Service zum Reifenhandel gebracht. Es kann dabei eine Beratung zur Auswahl der nächsten Neureifen oder zur Runderneuerung erfolgen und schon ein Angebot verhandelt werden. Das ist ein Nutzen zur Kundenbindung und bringt ein zusätzliches Geschäft durch den Nachschneideservice.
Neue Reifenzeitung:
Ändert sich die Bedeutung des Nachschneidens am Markt?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
In den vergangenen Jahren nehmen wir eine zunehmende Bedeutung des Nachschneidens wahr, mit steigender Tendenz. Die Nachfrage nach Nachschneidegeräten sowie nach Klingen ist ungebrochen.
Neue Reifenzeitung:
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diese Entwicklung?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Die allgemein steigenden Betriebskosten wie Rohstoffe, Löhne und Materialkosten tragen dazu bei, dass die Bedeutung des Nachschneidens immer wichtiger wird. Auf die Kraftstoffkosten hat der Unternehmer nur einen geringen Einfluss über den Verbrauch. Bei den Lohnkosten sind nahezu alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Aber bei den Reifen kann der Unternehmer noch Kosten reduzieren – durch Nachschneiden sowie Runderneuerung.
Neue Reifenzeitung:
Können Sie schätzen, wie viele Lkw-Reifen in Deutschland und in Europa jedes Jahr nachgeschnitten werden?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Wir gehen davon aus, dass circa 20 bis 25 Prozent der Lkw-Reifen in Deutschland nachgeschnitten werden. In anderen europäischen Ländern liegt die Quote noch höher, abhängig von der Wirtschaftslage und den gesetzlichen Vorschriften zur Mindestprofiltiefe.
Neue Reifenzeitung:
Welche Ausbildung sollte oder muss derjenige haben, der nachschneidet?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Laut Richtlinie zum Nachschneiden von Luftreifen (Verkehrsblatt B3622) muss diese Arbeit von qualifiziertem und sachkundigem Personal durchgeführt werden. Eine Unterweisung nach Herstellerrichtlinien des Reifenherstellers und über die Bedienungsanleitung des Nachschneidegerätes ist erforderlich. Reifenservicebetriebe mit Qualitätsanspruch haben geschultes Fachpersonal.
Neue Reifenzeitung:
Welcher Händler sollte diese Dienstleistung anbieten?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Grundsätzlich sollte jeder Reifenhändler, der mit Lkw-Reifen zu tun hat, diese Dienstleistung anbieten. Die Räder sollten zum Nachschneiden vom Fahrzeug abmontiert werden. Und ein sicherer Halter für das schwere Rad sollte vorhanden sein, in dem das Rad gleichmäßig in Laufrichtung gedreht werden kann.
Neue Reifenzeitung:
Kann man beim Nachschneiden viele fachliche Fehler machen?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Einige wichtige Punkte beim Nachschneiden müssen beachtet werden, ansonsten kann man den Reifen nachhaltig schädigen. Bei den Herstellern ist auf der Seitenwand das Wort ‚Regroovable’ abgebildet, das auf die Nachschneidefähigkeit des Reifens hinweist. Es muss zu Beginn der Arbeit die Restprofiltiefe an mehreren Stellen gemessen werden, um die Stelle mit dem stärksten Verschleiß zu finden und das Messer auf diesen Wert plus drei bis vier Millimeter einzustellen; dabei sind die Herstellerangaben zu beachten. Macht man diese Arbeit nicht ordentlich, kann die Schnitttiefe am Messer zu tief eingestellt sein und man kommt an stark verschlissenen Stellen zu dicht an den Stahlcord des Gürtelpaketes oder legt sogar Stahlcord frei. Das führt zu Rostbildung und kann den Gürtel zerstören. Vorschrift sind Minimum zwei Millimeter Restgummi über dem Stahlgürtel.
Außerdem sollte man nur in den Hauptrillen des Profils nachschneiden; diese sind zu erkennen an den Abriebindikatoren. Wenn eine eindeutige Nachschneidevorschrift vom Hersteller des Reifenprofils vorliegt, können auch Querrillen von Blockprofilen nachprofiliert werden. Ansonsten besteht die Gefahr, das Restgummi der Lauffläche zu schwächen, was zu Profilausbrüchen führen kann.
Die Schneidtemperatur muss so eingestellt werden, dass eine optimale Schnittgeschwindigkeit erreicht wird und das Gummi dabei nicht verbrennt. Je nach Übung des Anwenders und je nach Schnittbild des Profils liegt die optimale Heizstufe meistens bei Stufe zwei oder drei an unseren Geräten. Wenn Qualm beim Nachschneiden auftritt, ist die Temperatur zu hoch eingestellt und die Schnittfläche wird klebrig.
Es dürfen auch nur abgerundete Messer, etwa die ‚R-Fix’-Typen, für Straßenprofile verwendet werden, um Profilausrisse zu vermeiden.
Neue Reifenzeitung:
Wie lange dauert das Nachschneiden eines herkömmlichen Lkw-Reifens?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Eine generelle Aussage hierzu kann nicht getroffen werden. Es hängt vom Können des Fachpersonals ab und ob der Reifen sicher gehalten wird oder zusätzlich zum Nachschneidevorgang noch eine Konzentration auf das sichere Bewegen des Reifens erforderlich ist. Auch ist die Profilgestaltung wichtig. Ein einfaches Profil mit vier Längsrillen ist durchschnittlich in zehn bis 15 Minuten nachgeschnitten. Ein Blockprofil mit vielen kurzen Schnittwegen benötigt durchschnittlich 20 bis 30 Minuten pro Reifen durch die häufigen Richtungswechsel beim Schneiden.
Neue Reifenzeitung:
Kann jeder Lkw-Reifen nachgeschnitten werden, Winterreifen auch?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Entsprechend der Richtlinie zum Nachschneiden von Luftreifen gibt es keine Einschränkungen, aber es sollte die Empfehlung der jeweiligen Reifenhersteller beachtet werden, und der Reifen muss mit dem Wort ‚Regroovable’ gekennzeichnet sein. Die Informationen erhält man auf der Internetseite des Herstellers.
Neue Reifenzeitung:
Welche Reifen sollten nicht nachgeschnitten werden?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Sollte der Reifen stark ungleichmäßig abgenutzt sein oder entsprechend der Richtlinie zur Beurteilung von Luftreifen Schäden aufweisen, die eine Reparatur ausschließen, sollte der Reifen nicht mehr nachgeschnitten werden.
Neue Reifenzeitung:
Muss ein Lkw-Reifen stets dort nachgeschnitten werden, wo er gekauft wurde?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Den Nachschneideservice kann man auch an anderen Stellen in Anspruch nehmen. Einige Spediteure haben in ihrer eigenen Werkstatt eigenes Fachpersonal und die entsprechende Ausstattung. Reine Runderneuerer bieten den Service selten an, aber Reifenhändler mit Servicewerkstatt und Runderneuerung bieten den Service an, weil sie daran interessiert sind, Reifen so ordentlich nachzuschneiden, dass die Karkasse noch für die Runderneuerung verwendet werden kann.
Neue Reifenzeitung:
Ist die Reifenindustrie selber beim Nachschneiden engagiert?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Die Reifenindustrie bietet den Nachschneideservice über die konzerneigenen Serviceketten an. Bisher sind uns keine speziellen Nachschneide-Service-Betriebe bekannt, die sich auf diese Tätigkeit konzentrieren. Im Gegenteil empfiehlt die Reifenindustrie, die auch selbst Runderneuerungen anbietet, sogar das Nachschneiden von runderneuerten Reifen, um zusätzliche Kilometer-Laufleistung auch im zweiten Reifenleben zu erhalten.
Neue Reifenzeitung:
Was sind die aktuellen Werkzeuge und das Zubehör zum Nachschneiden, die Rema Tip Top anbietet?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Derzeit führen wir zwei Nachschneidegeräte in unserem Programm. Beide Geräte haben den Trafo getrennt vom Handgriff, das ermöglicht ein ergonomisches Arbeiten mit dem leichten Handgriff. Der ‚TC 300’ unterscheidet sich im Wesentlichen vom ‚RC 400’ dahingehend, dass die vier Schaltstufen speziell für hohe bis mittlere Schnittgeschwindigkeiten entwickelt wurden; beim ‚RC 400’ sind acht Schaltstufen vorhanden. Diese haben den Vorteil, dass auch ungeübte Personen schnell die richtige Kombination aus Heizstufe und Schnittgeschwindigkeit finden können.
Die ‚Rubber Cut Station’ ist eine effiziente kleine Nachschneidestation mit Stop-and-Go-Funktion inklusive Halterung für das Nachschneidegerät, Einstellschablone und Ablagemöglichkeit.
Neue Reifenzeitung:
Hat es zum Nachschneiden jüngst nennenswerte technische Neu- oder Weiterentwicklungen gegeben?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Seit Einführung vom ‚TC 300’ wurde bei der Entwicklung auf ein sehr flexibles Schneidekabel Wert gelegt. Dieses optimiert die Beweglichkeit beim Nachschneiden. Auch die Technologie der Transformatoren hat sich verbessert, um die Energie optimal zu nutzen.
Neue Reifenzeitung:
Wie hoch sind die Investitionen in Werkzeuge und Zubehör, damit nachgeschnitten werden kann?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Die Investitionen beginnen ab circa 300 Euro zuzüglich der Nachschneidemesser, die bei rund fünf Euro je 20er-Packung liegen. Wir haben unterschiedliche Nachschneidemesser im Programm, die von drei bis 14 Millimeter Schnittbreite reichen.
Neue Reifenzeitung:
Gibt es verschiedene Verfahren oder Techniken des Nachschneidens? Was ist das vorherrschende Verfahren und warum?
Marc Jürgens, Rema Tip Top:
Seit Jahren wird mit ausgefeilter Technik gearbeitet. Die elektrisch erwärmten Messerklingen sind optimal vorgebogen, um die richtige Profilform und Schnittbreite zu ermöglichen. Die Schnitttiefe kann eingestellt werden. Im Prinzip arbeiten alle am Markt offerierten Geräte in der gleichen Weise. Es gibt elektrische Leistungen von 300 bis 1.000 Watt, was je nach Messerform und Materialstärke eine Rolle spielen kann. arno.borchers@reifenpresse.de
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