ETRMA will Nokians Winterreifenlabel untersagen lassen

,

Der europäische Reifen- und Gummiherstellerverband ETRMA (European Tyre & Rubber Manufacturers’ Association) zeigt sich dieser Tage besonders dünnhäutig, wenn es um das Opens external link in new windowEU-Reifenlabel geht. Während sich Nokian Tyres für seine nordischen Winterreifen ein spezielles Winterreifenlabel ausgedacht hat, mit dem der Hersteller die Leistungsfähigkeit seiner Produkte auf Schnee und Eis bewirbt und damit seine Kernkompetenzen in Sachen Winterreifen unterstreichen will, kann die ETRMA nichts Gutes an dem Nokian-Label finden. Wie der Verband in einer Mitteilung betont, distanzierten sich jetzt alle ETRMA-Mitglieder – mit Ausnahme von Nokian Tyres, versteht sich – von der Einführung eines Eis- und Schneeaufklebers durch den finnischen Hersteller.

Dem Verband zufolge gibt das bestehende EU-Reifenlabel keine Hinweise auf die Leistungsfähigkeit eines Reifens auf Eis und Schnee, da dafür aktuell keine offizielle Testmethode existiere. Wie es weiter vonseiten der ETRMA heißt, arbeite die Reifenindustrie zwar seit 2010 daran, „verlässliche und objektive Eistestmethoden zu definieren“, doch diese Arbeiten seien noch nicht abgeschlossen und sollten – das sehe auch der EU-Gesetzgeber so – weitergeführt werden. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse zeigen demnach, dass weder ein zweistufiges und erst recht kein siebenstufiges Klassifizierungssystem für die Einstufung von Winterreifen möglich sei, da die Eistestergebnisse zu sehr variierten.

„Alle Testergebnisse, die bisher erlangt wurden, legen nahe, dass die Wiederholbarkeit und Reproduzierbarkeit von Ergebnissen nicht ausreichend hoch ist, um eine Einstufung zu ermöglichen“, argumentiert die ETRMA. Eine Unterscheidung zwischen Schneereifen und sogenannten „Nordic-Reifen“ erscheine jedoch möglich unter Zuhilfenahme eines Grenzwertes, und offenbar denkt man seitens des Verbandes über eine solche Lösung nach. Nichtsdestoweniger gäben die Testergebnisse nach derzeitiger Lage eine Klassifizierung von „G“ bis „A“, wie Nokian Tyres sie jetzt für seine Winterreifen in Finnland, Norwegen und Schweden vorgenommen hat, jedenfalls nicht her.

Da man bei der ETRMA vor diesem Hintergrund befürchtet, Nokians Winterreifenlabel könne bei Verbrauchern zu Unrecht den Eindruck erwecken, eine Einstufung von Reifen hinsichtlich ihrer Hafteigenschaften auf Schnee und Eis sei trotz allem schon heute möglich, fordert der Verband die zuständigen behördlichen Stellen in Finnland, Norwegen und Schweden auf, der Nokian-Initiative ein sofortiges Ende zu setzen. Diese ungewöhnlich scharfe Reaktion gegenüber einem der eigenen Mitgliedsunternehmen lässt erahnen, wie wenig man erfreut über die allgemeine Diskussion in Sachen der auf dem offiziellen Reifenlabel fehlenden Winterkriterien zu sein scheint: Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als soll ein weiteres Fingerbohren in dieser „Wunde“ mit aller Macht vermieden werden.

Dabei scheint die Argumentation der ETRMA bezüglich der Causa Nokian in sich so ganz schlüssig nicht zu sein. Einerseits wird nämlich behauptet, eine Unterscheidung der Wintereigenschaften von Reifen sei aufgrund ungenügender Reproduzierbarkeit entsprechender Messungen nicht einmal in zwei Abstufungen möglich. Andererseits verweist der Verband darauf, eine Unterscheidung von Schneereifen und sogenannter „Nordic“-Reifen sei auf Basis bestimmter Grenzwerte denkbar. Was denn nun: Geht oder geht nicht? Lassen sich die Leistungen von Reifen auf Schnee und Eis in zwei Stufen bewerten oder nicht? Wäre die Antwort tatsächlich ein Nein, würde das streng genommen im Umkehrschluss zugleich bedeuten, dass eine Unterscheidung von Sommer- und Winterreifen nicht möglich ist.

Klar, die M+S-Markierung ist bekanntlich an keinerlei Erfüllung irgendwelcher Mindestkriterien gebunden. Doch zumindest das Schneeflockensymbol auf der Seitenwand besagt doch, dass ein damit markierter Reifen eine in einem bestimmten Maß bessere Traktion auf Schnee aufweist als ein entsprechender Referenzreifen. Insofern stellt die Behauptung der ETRMA, die Unterscheidung der Winterperformance in zwei Klassen sei nicht realisierbar, letztendlich die Schneeflockenkennzeichnung infrage. Mehr noch: Gleichzeitig damit werden die Winterreifentests der etablierten Automobilzeitschriften und Prüforganisationen diskreditiert, maßen die sich doch an, Bremswege auf Schnee und teilweise auch auf Eis zu messen sowie in mehr als zwei Abstufungen auf Basis dessen dann Noten, Punkte oder was auch sonst immer zu vergeben.

Und was ist mit den Leistungsangaben der eigenen Mitglieder etwa in Sachen Schnee- oder Eisbremsen, wo man bei Produktneuvorstellungen meist in den Vordergrund zu stellen weiß, welche Fortschritte – in Prozent oder Metern – gegenüber dem Vorgängermodell oder Konkurrenzprodukten erzielt wurden? Gemäß der ETRMA-Logik wären solche Angaben in letzter Konsequenz samt und sonders als unseriös zu bezeichnen, weil messtechnisch angeblich ja gar nicht reproduzierbar genug. So kann das alles aber wahrscheinlich kaum gemeint sein, weshalb der Verbandsseite bzw. den anderen ETRMA-Mitglieder wohl eher wegen Nokians Schlitzohrigkeit der Kamm schwillt, mit einem selbst kreiierten Winterlabel den Start des offiziellen EU-Reifenlabelings zu nutzen, um sich bzw. seine Produkte in den nordeuropäischen Märkten ins rechte Licht zu rücken. ab/christian.marx@reifenpresse.de

0 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

An Diskussionen teilnehmen
Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert