Labeleinführung könnte gegen „Schweizer Rabattverkäufer“ helfen
Da die Schweiz nicht Mitglied der Europäischen Union ist, wird das EU-Reifenlabel dort eben auch nicht zum 1. November verpflichtend eingeführt. Dennoch müssen sich Schweizer Importeure, Vertriebsorganisationen und vor allem Händler auf die neue Situation ab Herbst vorbereiten, denn ein Großteil der geschätzten rund 4,8 Millionen betroffenen Pkw-, 500.000 LLkw- und 150.000 Lkw-Reifen (2011; Schätzungen des RVS) wird trotzdem gelabelt sein – aus rein logistischen Gründen aufseiten der Hersteller und Vertriebspartner. Dabei ist die Verunsicherung bei den Eidgenossen zum Teil nicht unerheblich, wie immer wieder zu hören ist. Einzig die Tatsache, dass man auch mit einem Schulterzucken auf etwaige Kundenfragen zum Label reagieren kann, ohne gegen die Beratungspflichten innerhalb der EU zu verstoßen, beruhigt hier.
Gerade der Reifen-Verband der Schweiz (RVS) – Kollektivmitglied im deutschen Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk – bemüht sich hier um eine optimale Information seiner Mitglieder und hat vergleichsweise früh entsprechende Kampagnen aufgelegt. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG erläutert Stefan Baumann, dass man dennoch „vorläufig bezweifeln“ dürfe, dass Schweizer Reifenhändler ebenso intensiv informieren wie ihre Kollegen in Österreich oder Deutschland. Dennoch: Man unterstütze das EU-Reifenlabel und rechne mit einer Übernahme für die Schweiz in den kommenden drei bis fünf Jahren.
„Der Reifenverband unterstützt jede Aktion, welche die Sicherheit im Straßenverkehr fördert. Ebenso ist es uns ein Anliegen, die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten. Wir sind daher der Meinung, dass das Label eine gute Ergänzung zu den weiterreichenden, ausführlicheren Tests der Automobilklubs wie ADAC, TCS etc. ist“, erklärt Stefan Baumann, der bis Ende Juni Geschäftsleiter von Continental Suisse war und in dieser Funktion auch Mitglied des RVS-Vorstands. Dennoch sei es der gute und erprobte konservative Schweizer Weg, bei Neuerungen erst einmal abwarten zu wollen. Dies sei sicher auch bei der Einführung des EU-Reifenlabels in allen Nachbarländern der Fall. Laut Baumann sollten bis zu 90 Prozent der Reifen, die ab diesem Herbst in die Schweiz geliefert werden – wo es keine eigenen Reifenfabriken mehr gibt –, mit dem EU-Reifenlabel versehen sein.
Etwas, das Schweizer Reifenhändler ebenfalls nicht ganz verstehen, ist, wie man Händlern und Endverbrauchern die Einführung eines Reifenlabels zum Winter hin zumuten kann, obwohl das Label über Wintereigenschaften rein gar nichts aussagt. Dies wird in vielen Gesprächen mit Schweizer Marktteilnehmern deutlich. Folglich ist es durchaus nachzuvollziehen, dass die Schweiz sich bei einer möglichen Einführung des EU-Reifenlabels die Zeit nimmt, die man braucht. Dass die Schweiz dabei einen wie auch immer gearteten Sonderweg gehen könnte, hält Baumann für ausgeschlossen; es werde kein – zusätzliches – ‚Schweizer Reifenlabel‘ geben. Allein die Kosten dafür würden einen solchen Weg verbieten. Wenn die Schweiz sich also die EU-Reifenkennzeichnungsverordnung zu Eigen macht, dann vollumfänglich und ebenfalls verpflichtend für Hersteller und Händler.
Ist es also nur noch die Frage, wann das EU-Reifenlabel in der Schweiz eingeführt wird? Oder steht auch das Ob noch zur Debatte? Laut Stefan Baumann ist es „wohl nur eine Frage der Zeit und keine Option“, bis das EU-Reifenlabel auch in der Schweiz verpflichtend eingeführt wird. Baumann rechnet mit einer Zeit von drei bis fünf Jahren, bis sich die Schweizer ein Bild gemacht haben. Und dies sei nicht unerheblich, so Baumann weiter und deutet zumindest die Möglichkeit an, dass das Label vielleicht nie oder zumindest nicht in dieser Form auch in der Schweiz übernommen werden könnte. Baumann: „Wenn es Sinn macht und einen Nutzen bringt“, dann wolle man es einführen; nicht, um etwa dieselben Fehler wie andere Länder Europas zu machen. Ein Scheitern des EU-Reifenlabels sei aber eher eine theoretische Möglichkeit, insgesamt habe man „positive Erwartungen“.
Stefan Baumann macht unterdessen aber auf ein praktisches Problem aufmerksam, mit dem auch die Reifenhändler in Deutschland, Österreich und den anderen EU-Ländern demnächst konfrontiert werden könnten: dem der Beratungspflicht. Mit Sicherheit müsse man damit rechnen, dass der Informationsfluss des Labels in der Schweiz am Verkaufstresen endet, und zwar dann, „wenn der Winter ausbricht, dann kümmert sich niemand mehr darum“. Unter den 4,8 Millionen Pkw-Reifen, die jedes Jahr in der Schweiz verkauft werden, sind 2,8 Millionen Winterreifen (rund 60 Prozent). Baumann ist sich sicher, dass dann viele Reifenhändler andere Sorgen hätten, als über einen Aufkleber zu informieren, der – für Schweizer eher zufällig – auf den Reifen im Verkaufsraum klebt. Auch die aktuellen Verkaufsgespräche zeigten Baumann, dass das EU-Reifenlabel noch keine große Rolle spiele.
Im Rahmen der jetzt zunehmenden Berichterstattung zur Einführung des EU-Reifenlabels auch in der Schweiz werde dazu hoffentlich eine öffentliche Diskussion entstehen. Mit der Zeit sollte sich dann so etwas wie ein Bewusstsein für das Label und dessen drei Leistungskriterien entwickeln. „Der Schweizer Kunde ist ein sehr qualitätsbewusster, sicherheitsliebender Mensch mit einem geringen Hang zum Billigpreis“, erläutert Baumann und ist sich sicher, dass jede Initiative, die die Reifenvermarktung noch mehr zu einer Qualitätsvermarktung macht, „eine gute Geschichte ist“. Folglich würden der Reifen-Verband der Schweiz wie auch die Continental Suisse SA das Thema EU-Reifenlabel umfassend öffentlich diskutieren und auch bewerben. Und natürlich werden alle namhaften Hersteller umfangreiches Informationsmaterial für den Handel wie auch für dessen Kunden bereitstellen. Es wird in der Schweiz allgemein erwartet, dass von der Labeleinführung in Europa vor allem die Premiummarken profitieren können. Das passe gut zu den Bedürfnissen der Schweizer Verbraucher und auch gut zu den Bedürfnissen der in der Schweiz führenden Reifenhersteller. Und außerdem habe man auch in der Schweiz in den vergangenen Jahren ein Phänomen kennengelernt, das man in anderen europäischen Ländern schon lange kennt: „Wir sind zu Rabattverkäufern geworden und sind keine Reifenverkäufer mehr“, kritisiert Baumann die jüngsten Marktentwicklungen hin zu Verkaufsgesprächen, die vorwiegend vom Preis und nicht vom Produkt dominiert sind. Das Reifenlabel könnte in diesem Zusammenhang einen neuen Schwung in Richtung einer Qualitätsvermarktung liefern. arno.borchers@reifenpresse.de
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