Hinter’m Horizont geht’s weiter – point S in den USA
Als vor und während der diesjährigen point-S-Jahreshauptversammlung in Fulda Informationen die Runde machten, wonach die europäische point-S-Organisation schon bald auch eine Landesorganisation jenseits des Atlantiks unter Vertrag nehmen würde, fragte sich schon der eine oder andere: Bringt es auch etwas für das Geschäft in Deutschland? Spätestens seit die point S Development mit Sitz im französischen Lyon Anfang November von einem Master-Franchisevertrag mit der Independent Tire Dealers Group (ITDG) in den USA berichten konnte, kann man an der Entwicklungsfähigkeit der Verantwortlichen in der point-S-Organisation keinen Zweifel mehr haben. Von Synergien im Einkauf, von Lizenzgebühren und einer gemeinsamen Marke ist die Rede, was letzten Endes auch in Deutschland Vorteile bringen soll. Point-S-Geschäftsführer Jürgen Benz erklärt im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG, wie der Plan aussieht und warum es ein guter Plan ist; nicht unter allen point-S-Gesellschaftern in Deutschland werden die Argumente indes als zwingend und unmittelbar verstanden.
Jürgen Benz wundert sich ein wenig, warum in der Öffentlichkeit mitunter soviel geredet wird über das Agreement mit den Reifenhandelskollegen in den USA. Im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG weist er gleich zu Beginn darauf hin, dass das Engagement natürlich außerhalb Europas stattfinde und dass dies natürlich jenseits des Horizonts liegt, der in der Regel die Grenze zwischen hüben und drüben markiert. Man müsse sich aber die Frage stellen, ob dieser Horizont – jedenfalls was das internationale Geschäft der point S betrifft, das dann durch die in Frankreich ansässige point S Development betrieben wird und werden soll – eine fiktive Landmarke oder eine natürliche Grenze darstellt.
Fragt man Jürgen Benz, ist die Antwort klar. Ob USA, Großbritannien, Norwegen oder (demnächst) Schweden – die Vorteile, auf die es point S Development abgesehen hat und die entsprechend auch den Reifenhändlern in den mittlerweile 22 europäischen Landesorganisationen zugute kommen sollen, können unabhängig von kontinentalen Zuordnungen verbucht werden.
Zunächst einmal ist es für Jürgen Benz, der in Personalunion Geschäftsführer der europäischen (deren Gesellschafter sind ausschließlich die deutsche und die französische Landesorganisation) und der deutschen point-S-Organisation ist, wichtig festzustellen: „Der Invest und das Prozedere in den USA ist genauso wie zum Beispiel in Großbritannien oder der Türkei.“ Folglich dürfe man nicht annehmen, nur weil man jetzt in den ‚großen’ Vereinigten Staaten einen Master-Franchiser unter Vertrag nehme, würde sich die europäische point-S-Organisation verheben, so Benz. Im Gegenteil: Die neuen Partner von ITDG reihen sich nahtlos in die Gruppe der anderen europäischen Landesorganisationen ein und erhalten keinerlei Sonderstatus.
Warum muss man aber eine Partnerorganisation gerade in den USA unter Vertrag nehmen? Die Gegenfrage kommt prompt: Warum nicht? Zunächst einmal ist Schweden der allerletzten „größere weiße Fleck“ auf der europäischen point-S-Landkarte. Will die Organisation weiter wachsen, muss sie sich außerhalb Europas umsehen. Und dass den Verantwortlichen in Lyon aus allen Teilen der Welt Anfragen zu einer Mitgliedschaft bei point S Development vorliegen, unterstreiche die große Attraktivität der Organisation. Und die zentrale Antwort auf die Frage nach dem Warum liegt Benz zufolge in dieser lapidaren Erklärung ebenfalls begründet: Nur mit weiterem Wachstum, der darauf folgenden Verbesserung der Einkaufsposition gegenüber seinen Lieferanten und der stärkeren Positionierung in Reifenhandel durch Konzepte, Services und eine weit verbreitete Marke könne point S Development auch zusätzliche Vorteile für ihre Gesellschafter und die Gruppe der Landesorganisationen erzielen.
Point-S-Gesellschafter in ganz Europa – gut 400 davon allein in Deutschland mit über 600 Verkaufspunkten – vermarkten wenigstens zwölf Millionen Reifen, hatte Benz bei früherer Gelegenheit einmal erklärt. Die Eigenmarke „Summerstar“ bzw. „Winterstar“, mit der point S ein eigenes Angebot für das Preissegment seiner Gesellschafter macht, wird im Jahr knapp eine Millionen Mal verkauft und steht folglich für einen nicht unerheblichen Anteil der Geschäfte, die von den einzelnen point-S-Händlern über ihre jeweiligen Zentralen abgewickelt werden. Dabei werde insbesondere dieser Zentraleneinkauf für viele Marken – ob nun bei den sogenannten „Preferred Supplier“ oder künftig auch verstärkt im Preissegment – Jürgen Benz zufolge immer bedeutender.
Wenn jetzt eben 23 statt 22 Landesorganisationen Teil von point S Development sind, so Benz, erhöhe sich das Einkaufsvolumen, das die Gesellschafter in gebündelter Form attraktiv für so manchen Lieferanten mache. Gerade Hersteller, die auf den verschiedenen nationalen Reifenmärkten nur begrenzt vernetzt und mit eigenen Netzwerken vertreten sind, biete ein Partner wie point S mit derzeit über 2.000 Verkaufspunkten in Europa und den USA natürlich ein interessantes Vehikel, um auf einem Markt Fuß zu fassen.
Vor dem Hintergrund dieser also tendenziell mit jedem Gesellschafter zunehmenden Einkaufsmacht verbesserten sich nicht nur die Position des Kunden point S, sondern point S Development könne auch auf sogenannte „Overhead“-Zahlungen der Industrie vertrauen. Diese wiederum, so erklärt Benz, kämen den nationalen Mitgliedsorganisation – somit auch point S Deutschland – durch Ausschüttungen zugute. Über etwaige Zahlungen würde man in Deutschland zu jeder Jahreshauptversammlung umfassend berichten, so Benz – Überraschungen dabei seien also ausgeschlossen. Man müsse also festhalten, dass auch die deutsche Zentrale „operative und finanziell“ vom Engagement der point S Development profitiert, sagt Benz, und dieses Engagement die Leistung der jeweiligen Landeszentralen, so auch der deutschen, „in keinester Form beeinträchtigen“.
Aber auch über die anfallenden Lizenzzahlungen des neuen amerikanischen Partners ITDG (Benz: „Wir haben unser System in die USA verkauft“) würden die Kosten der internationalen Integration und der damit beauftragten Organisation point S Development auf noch mehr Schultern verteilt. Auch dies wirke sich wiederum positiv auf die Belastungen der einzelnen Landesorganisationen aus, so Benz, auch wenn natürlich – wie kürzlich berichtet – das Lyoner Büro personell aufgestockt werden muss.
In diesem Zusammenhang weist der Geschäftsführer von point S Deutschland und der europäischen Organisation auf etwas hin, das für die Struktur und die Funktionsweise von point S von zentraler Bedeutung sei. Die Gesellschafter seien schließlich freie und von der Industrie unabhängige Reifenfachhändler, die sich auch mehr oder weniger engen Franchise-Verträgen eben nicht unterwerfen wollten. Der Trend auf allen Märkten in Europa und gerade in den USA geht indes zu industrienahen bzw. von Industrien geführten Reifenhandelsorganisationen. Jürgen Benz fragt „Wo ist dazu die Alternative?“, und liefert die Antwort gleich mit: Es ist die Zusammenarbeit à la point S Development, eine Zusammenarbeit, die den Verantwortlichen zufolge einen sinnvollen Ersatz mit allen Bausteinen wie etwa umfangreichen IT-Lösungen und natürlich begehrten Produkten bieten kann, ohne dass die Gesellschafter dabei ihre unternehmerische Unabhängigkeit aufs Spiel setzen müssen. Integration in Maßen helfe folglich auch dabei, die unternehmerische Souveränität zu wahren. „Das treibt uns an“, so Benz.
Inwieweit sich aber etwaige Vorteile über das sogenannte „Pooling“ von Einkaufsvolumen im konkreten Fall ergeben, muss die Zukunft zeigen. Die USA ist ein anderer Markt mit anderen Produkten und anderen Verantwortlichen in der Industrie, mit denen die Zusammenarbeit koordiniert werden muss. Dieser Hinweis ist insbesondere deswegen statthaft, da selbst in Europa der Zentraleneinkauf analog zum Summerstar-/Winterstar-Einkauf erst im Entstehen ist, sei er auch noch so wichtig für die einzelnen unabhängigen Reifenhändler. Und mit zunehmender Expansion, gerade in andere Währungszonen mit zum Teil komplett anderen Produkten und Zuständigen aufseiten der Industrie, die eben nicht mehr ‚nur Europa auf ihrem Schirm’ haben, werden die Gesprächsthemen immer komplexer und vielleicht unlösbar, wenn alle gleichermaßen profitieren sollen.
Jürgen Pischinger, der bei point S Deutschland dem Gesellschafterrat vorsitzt, ist bei der Beurteilung konkreter und unmittelbarer Vorteile der Kooperation mit ITDG in den USA zurückhaltend. Dass es gut sei, wenn sich eine hierzulande starke Marke wie „point S“ auch außerhalb Europas etabliert und dort ihr System im Wettbewerb mit anderen Systemen Anerkennung findet, verstehe sich; dies mache auch zurecht stolz auf das, was die Verantwortlichen in den vergangenen drei Jahren geleistet hätten. Man sei schon „sehr begeistert“ ob der großen Entwicklung und nehme eine positive Stimmung in der gesamten Organisation wahr. Auch gebe es in Bezug auf das Marketing und die (Weiter-)Entwicklung der verschiedenen IT-Lösungen auf internationaler Ebene sicherlich nicht unerhebliche Synergien.
Direkte Einkaufsvorteile, so Pischinger im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG weiter, die sich in Mark und Pfennig auch beim Reifenhändler in Deutschland niederschlagen, dürfe man indes nicht sofort nach dem Beitritt der ITDG mit ihren 125 Gesellschaftern und 350 Outlets erwarten. Die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene bringe Vorteile, man bündele Kräfte wie bei den umfangreichen und kostenträchtigen IT-Lösungen, dem Marketing und den Vermarktungsstrategien und könne so manche Dienstleistung nur gemeinsam erbringen; das Flottengeschäft wäre an dieser Stelle auch zu nennen. Ob die Zusammenarbeit der Gesellschafter mit den nationalen Zentralen und darüber hinaus in eine größere Einkaufsmacht münde, werde sich erst noch zeigen; laut Pischinger müsse man nun abwarten, „ob die Saat aufgeht“. Die Entwicklung sei jedenfalls wichtig und richtig und „von der Sache her gut“, so der Vorsitzende des Gesellschafterrates weiter. Jeder Reifenhändler, der seine Produkte über den Zentraleneinkauf bezieht, könne auch Kosten sparen, falle durch die Zentralfaktura doch die umfangreiche und nervige Rechnungskontrolle der ansonsten direkt liefernden Hersteller weg. Europaweit seien dabei Vorteile zu sehen, aber in Zusammenhang mit der Aufnahme der ITDG in den USA müssten diese sich erst zeigen.
Noch deutlicher wird indes ein namhafter deutscher point-S-Reifenhändler im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Demnach setze man bei der Entwicklung der point-S-Organisation international „falsche Prioritäten“. Der Händler vor Ort wolle „überleben“ und für sein tägliches Geschäft die richtigen Werkzeuge an die Hand bekommen, etwa im Wettbewerb um die Flotten. Dass in den USA demnächst auch Summerstar/Winterstar-Reifen verkauft werden könnten, glaube er „im Leben nicht“; selbst wenn, müssten die Reifen für den US-Markt doch erst entwickelt werden. Insgesamt bringe das „außenpolitische Engagement von point S null Nutzen – wir profitieren doch nicht einmal vom europäischen Markt“, so der Reifenhändler weiter und spielt darauf an, dass es „auch jetzt noch keine Europa-Konditionen“ gebe. Insgesamt, so glaube er, hätten die Verantwortlichen den „Bezug zur Basis verloren“.
Dieser Basis, auch und vor allem in Deutschland, könne Jürgen Benz, so formuliert er weiter, als Geschäftsführer der point S Development eigentlich mehr dienen als als Geschäftsführer von point S Deutschland. Eine Meinung, die auch von anderen namhaften Vertretern der deutschen point-S-Organisation so vertreten wird: „Ich sehe das alles sehr positiv und wir müssen jetzt sehen, wie sich das entwickelt“, findet ein anderer – die Kooperation in den USA sei „mit Sicherheit nicht zu unserem Nachteil“.
arno.borchers@reifenpresse.de
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