Abschied auf französisch: Miraton geht – der Markt kommt
Didier Miraton, mit 53 Jahren nahezu auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft, verlässt nach 29 Jahren den Michelin-Konzern. Miraton nimmt seine Abfindung und schweigt. Der Michelin-Konzern pflegt das, was er in Fällen wie diesem perfekt kann: Schweigen.
Dass mit dem Abschied des Spitzenmanns Miraton, der sich lange Zeit selbst Hoffnung auf die Nummer-1-Position nach dem Abschied von Michel Rollier machen konnte, auch ein Richtungswechsel verbunden ist, wird immer klarer. Teilte der als Finanzfachmann geltende Rollier die Macht noch mit den beiden Co-Gérants Jean-Dominique Senard und Didier Miraton, so ist Senard künftig der unbestrittene Konzernchef, unter dem ein von sieben auf elf Personen erweiterter Exekutivrat, also das Führungsgremium, seine Arbeit tun wird. Auch diese Maßnahme muss Miraton als Affront empfunden haben.
Doch dieses Mal haben die Beteiligten ziemlich laut geschwiegen, denn in subtiler Form dringt relativ viel Kritik an Miraton und der F&E-Abteilung nach außen. Die Rede ist von technischen „Hirngespinsten“, verwiesen wird auf das gefloppte Pax-System sowie auf die C3M-Wunderwaffe, die allerdings niemand, ausgenommen die in der direkten Umgebung arbeitenden Belegschaftsmitglieder, zu Gesicht bekam bisher. Und es wird dabei geflissentlich übersehen, dass Miraton nicht der Erfinder dieser Dinge war, sondern sie vorfand. Unerwähnt blieb – bisher – das Festhalten an dem Konzept „Active Wheel“. Die Erfindung durch Porsche liegt mehr als hundert Jahre zurück und bisher ist alles andere als klar, wie die so bezeichnete „Active Wheel“ Hand in Hand gehen soll mit der immer wichtiger werdenden Rollwiderstandsoptimierung. Es ist jedenfalls auffallend, dass lediglich „Hirngespinste“ in der Presse Erwähnung finden, nicht aber die auch vorhandenen vielfältigen Erfolge.
Der nun bevorstehende personelle Wechsel ist, wenn man es als Beobachter richtig bewertet, ein Richtungswechsel. Michelin wird ein ganz normaler Reifenhersteller mit dem Anspruch, technisch einwandfreie Produkte von höchster Qualität weltweit in den Markt zu bringen, aber man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden wollen. Reifen sind rund, schwarz, haben Stahlgürtel, die Gummimischungen sind – mehr oder weniger – bekannt. Patente gibt es jedes Jahr nicht nur im Dutzend, sondern zu Hunderten, wenn nicht Tausenden. Doch die Zeit der großen Sprünge ist vorbei, der Fortschritt besteht aus kleinen Trippelschritten. Vorbei auch die Zeiten, dass ein Reifenkonzern etwas Außergewöhnliches zu entwickeln wusste, es in den Markt brachte, um dann über Jahre den Rahm nur so mit dicken Löffeln abschöpfen zu können. Was heute als Neuigkeit in den Markt kommt, wird innerhalb der nächsten zwölf Monate von so bezeichneten Followern nachgemacht.
Mit Senard kommt nun zum zweiten Mal, nach Rollier, ein ausgewiesener Finanzmann zum Zuge, der Erfolge in Zahlen ausdrücken möchte, unter dessen Führung Marketing mehr Gewicht bekommen wird, weil der Konzern sich darauf konzentrieren soll zu vermarkten, was vorhanden ist, zu pushen, was sich bewährt hat. Die Botschaft scheint klar: Es wird nicht weniger investiert als bisher, aber wohl zielgerichteter, anders verteilt, die Prioritäten sind neu bestimmt.
Bis dato gab es, jedenfalls nach dem Eindruck vieler Micheliner, so etwas wie ein Diktat aus F&E. Man hat zu verkaufen, was entwickelt worden ist, man hat halt einen Markt dafür zu suchen bzw. „zu machen“. Gutes setzt sich eben stets durch, glauben Forscher und Entwickler nur allzu gerne. Unter der Führung von Senard muss ab nun die Zeitspanne für die Umsetzung stark gekürzt werden.
Es ist schon starker Tobak, was sich in der französischen Öffentlichkeit abspielt und es liegt auf der Hand, dass Informationen regelrecht „durchgestochen“ worden sind. So wird vom „Heiligtum aller Heiligtümer“ geredet, wenn F&E gemeint ist. Es wird festgestellt, man habe mit C3M und Pax „aufs falsche Pferd gesetzt“. Das ist die indirekte Aussage, dass der Verantwortliche zu gehen hat.
Obwohl Michelin das letzte Jahrzehnt sehr erfolgreich war, in Asien vorangekommen ist und selbst in Nordamerika inzwischen Kopf an Kopf mit Goodyear liegt und im Unterschied zu den Amerikanern dort auch Geld verdient, ist Bridgestone noch besser und noch schneller unterwegs gewesen und hat sich deutlich absetzen können. Nun hat Michelin das Signal zur Verfolgungsjagd gesetzt.
Die Hoffnungen ruhen nun auf Jean-Dominique Senard. Manager aus seinem engeren Umfeld beschreiben ihn als scharf analysierend und sehr angenehm im Umgang. Nur die „falschen Pferde“ will er nicht länger haben und erst recht nicht warten, ob sich binnen vieler Jahre ein neues Produkt nicht doch noch durchsetzen und rechnen könnte. Es klingt nach dem Motto: Herr, schenke mir Geduld, aber zack, zack! klaus.haddenbrock@reifenpresse.de
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