Aluräderbranche: Kapazitäten knapp, Stimmung gut

So schnell kann sich der Markt drehen: Da haben größere und kleinere Hersteller von Pkw-Aluminiumrädern gerade und teilweise mit großen Schmerzen Kapazitäten aus dem Markt genommen bzw. wurden einige auch Opfer einer Konsolidierung der Branche, die immer dann erfolgt, wenn Überkapazitäten im Markt sind und nicht wenn ein Mangel an Fertigungskapazitäten herrscht. Jetzt werden von den Aluräderanbietern händeringend Werke gesucht, in denen die Auslastungsgrade unter hundert Prozent liegen.

Selbst die Großen unter den Herstellern vergessen trotz ihrer bestens auf Effizienz getrimmten Fabriken im aktuellen Nachfragehoch ihre Vorbehalte gegenüber anderen Produzenten: Borbet-Räder werden in sechsstelliger Zahl bei Komponenta (einem finnischen Unternehmen mit Werk in der Türkei), Räder der Zeitmarke CW gar in Fernost gefertigt. Ronal hätte so gerne dem Erzrivalen BBS sein Werk in Herbolzheim abgenommen, wusste man doch wegen der dort erfolgten Offtake-Fertigung um die Qualitäten des Standortes. Uniwheels hat sich noch schnell an Restequipment von Toora in Polen und Fundo in Norwegen bedient, die die Krise nicht überlebt hatten: Die Maschinen ließen sich gut nutzen, um kurzfristig etwas Luft in die eigene Fertigung zu bringen. Die Brocks fuhren ebenfalls nach Polen, um nach brauchbarem Equipment für das eigene Werk in Bosnien-Herzegowina Ausschau zu halten. Bei AEZ in Neuenrade wurden flugs neue Lagerkapazitäten in einigen Kilometern Entfernung aufgetan, weil man den Platz im Werk Neuenrade lieber für Fertigungsmaschinen nutzen möchte. Allerorten werden einige hunderttausend Einheiten Räderkapazitäten jährlich draufgesattelt, am Mut für gänzlich neue Fabriken in Europa mangelt es allerdings (noch?).

Wer selber Produktion hat, der hat vergleichsweise ein echtes Luxusproblem: Zuerst wird der Eigenbedarf befriedigt, Fremdkunden werden vertröstet, müssen in die Röhre blicken oder werden gar mehr oder weniger vom Hof geschickt. Vor einem Jahr wurden sie noch hofiert. Sind irgendwo aktuell noch Produktionskapazitäten von Aluminiumgussrädern in Europa vakant, so wird dies als „Insiderinformation“, als „geheime Kommandosache“ behandelt. Ausweichen auf Fernost ist mit Problemen behaftet: China-Räder haben wegen der Strafzölle ihren Bonus eingebüßt, andere Standorte in Indonesien, Taiwan, Korea etc. sind auch kurz vor der Vollauslastung. Und von einigen Produzenten lässt man besser die Finger: Obwohl das Gießen von Aluminiumrädern alles andere als eine Raketenwissenschaft ist, fehlt es an der Garantie, dass sämtliche Produkte den mitteleuropäischen Ansprüchen genügen. Etwaigen, Audits, Zertikate und Bescheinigungen selbst renommierter Instanzen sind gelegentlich mit Vorsicht zu genießen; und manch einer, der es produktseitig eigentlich könnte, patzt beim Handling und wird die Räder liefern, wenn die Saison vorbei ist und sie keiner mehr benötigt.

Die Warenbeschaffung ist das Problem der Aluminiumräderfrühjahrssaison 2011 schlechthin, die Einkäufer der Räderanbieter sind gefrustet. Die Verkäufer hingegen frohlocken: Wer Ware verfügbar hat, der muss sich auf kein Geschacher einlassen. Ohnehin entsprechen viele Reifenhändler diesem Klischee aus schlechten Zeiten aktuell so ganz und gar nicht: Winterreifenpflicht und -wetter hatten zu einem ausgezeichneten Geschäft geführt, selbst die Sommerreifenabsätze 2010 waren zur Überraschung aller Marktteilnehmer viel besser als erwartet. Die Läger sind leer oder übersichtlich bestückt – übrigens auch die mancher Grossisten –, die Kassen dagegen gut gefüllt. Was Aufstockung ihrer eigenen Läger anbelangt, operieren Einzelhändler zwar vorsichtig, haben sie doch gelernt, dass sie in dieser Hinsicht in der Vergangenheit gelegentlich zu nachlässig waren. Statt dessen feilschen sie nicht um Zahlungsziele, sondern begleichen Rechnungen prompt und alle sind froh: Der Endverbraucher, der sich in Konsumlaune einen neuen Satz Aluminiumräder gegönnt hat. Der Einzelhändler, der endlich mal wieder ein Geschäft machen konnte, bei dem nicht der Preis, sondern das Aussehen des Autos entscheidend war. Der Großhändler, der im allgemeinen Trend zur Direktvermarktung Räderindustrie an Einzelhandel schon auf der Strecke zu bleiben drohte. Der Räderhersteller, der volle Auftragsbücher hat und gönnerhaft neue Orders annehmen oder mit mehr oder minder gespieltem Bedauern ablehnt; zumal der europäische, der davon profitiert, dass Fernostware in zweifelhaften Ruf geraten und hiesige Fertigung – made in Germany allzumal – dem Konsumenten doch ein Euro mehr wert zu sein scheint. Der Einzige, der verdrießlich dreinblicken könnte, ist der Distributeur, der keine eigene Fertigung hat und dessen Kokillen in irgendeiner Fabrik dieser Räderwelt einstauben – bis er die Räder ohnehin nicht mehr benötigt, die Mode sich gedreht hat, seine Kunden sich von ihrem treulosen Lieferanten abgewendet haben …

Ja, ja, es gibt neben den Verfügbarkeitsproblemen auch ansonsten Misslichkeiten: Die Chinesen kaufen den Rohmaterialmarkt leer, die Aluminumpreise steigen in nie geahnte Sphären; (Sommer-)Reifen sollen, hört man, ja knapp werden, weil die Erstausrüstung alle Kapazitäten aufsaugt: Ohne Umrüstreifen auch keine Umrüstfelge, wird geunkt. Und schließlich: Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, nicht nur der erst im Vorjahr angeschaffte Computer ist schon zum „alten Schätzchen“ mutiert, auch die Rädermode scheint sich selbst überholen zu wollen. Nennen wir das, was es ist und wonach wir uns in Zeiten der Krise zurückgewünscht haben: Jammern auf hohem Niveau.

Gingen die Reifenpreise hoch, dann waren das auch immer gute Zeiten für Reifenhändler, weiß man in der Gummibranche. Vielleicht sollte die Räderbranche, in der diese Weisheit noch nicht so verbreitet ist, darüber mal nachdenken und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Denn man erinnere sich: Als Aluminiumräder noch Autos geschmückt haben und weit davon entfernt, ein „Commodity“ zu sein – das war so vor etwa 15 bis 30 Jahren –, da brach bei einigen Unternehmern dieser Branche höchster Wohlstand aus!

Auf der Ebene der Stückzahlen dürfte in den nächsten Jahren nicht mehr so ganz viel zu holen sein. Der deutsche Automobilmarkt ist gesättigt, Händler berichten von einer zunehmenden Zahl an Verbrauchern, die ihre Räder lediglich umstecken lassen und nicht ummontieren müssen, weil sie acht Reifen und vier Räder haben. Sommers ist die Sättigungsquote mit Aluminiumrädern hoch. Und winters haben wir doch gerade in den letzten Jahren von den Alu-Leuten gehört, dass sich der Herbst zu ihrem Hauptgeschäft gewandelt hat: Also keine Überraschung, wenn der Aluanteil in der kalten Jahreszeit schon beachtlich und der mit der Kombination Stahlräder/Winterreifen ja schließlich auch eine Folge davon ist, dass beispielsweise mit Neufahrzeugen ausgelieferte und optisch zwar vielleicht nicht schöne, aber allemal funktionsfähige Stahlräder auch irgendwo bleiben müssen.

Dass bestimmte Räder „out“ sind, mag man bedauern: Mehrteilige oder verchromte Räder haben schließlich immer gute Preise erzielt, der Verbraucher war bereit, dafür etwas tiefer in die Taschen zu greifen. In der Premiumklasse können Schmiederäder diese Marktveränderung kompensieren, darunter allerdings sind die Trends wie Hinwendung zu „Anthraziträdern“, farblichen Applikationen oder sonstigen Features gute Gelegenheiten, auf einen Zusatzobolus des Verbrauchers zu hoffen – immerhin! Ob der Trend der letzten Jahre hin zum Ganzjahresreifen vorbei oder nur vorübergehend gestoppt wurde, das ist schwer zu sagen: Der Ganzjahresreifen kann jedenfalls nicht im Sinne der Räderanbieter sein, weil Verbraucher dann dazu neigen, das ganze Jahr nicht nur den gleichen Reifen, sondern auch das gleiche Rad zu fahren.

Wie groß der deutsche Ersatzmarkt ist, das versucht der Arbeitskreis der Felgenhersteller im BRV zu taxieren und so für ein Plus an Transparenz zu sorgen. Ob der Gesamtmarkt Aluminiumgussräder 2010 in Deutschland über oder unter vier Millionen Einheiten gelegen hat, wagt diese Zeitschrift nicht zu beurteilen. Nach einem früheren Abgleich ist die NEUE REIFENZEITUNG da eher ein wenig pessimistischer. Dass das zweite Halbjahr 2010 deutlich besser gelaufen ist als zu erwarten, darin dürfte sich aber beide Seiten einig sein. Das Absatzvolumen für ganz Europa wird übrigens in guten Jahren auf acht, in schlechten auf sieben Millionen Einheiten geschätzt.

Dass vorsichtiger Optimismus für 2011 angebracht ist, auch da ein kräftiges d’accord. Die noch junge und damit weiterhin Potenzial verheißende Winterreifenpflicht wird auch im Herbst 2011 ihre positive Wirkung entfalten und dazu beitragen, dass der zweite Saisonhöhepunkt volumenmäßig größer bleibt als der erste für das Produkt Aluminiumrad. Ob der Dumpingzoll auf China-Ware allerdings als Abschottung bis 2015 hält angesichts der Tatsache, dass wir dazu neigen, vom freien Welthandel zu parlieren, wenn es unserer Wirtschaft dient und sodann ins Granteln zu verfallen, wenn die Regeln nicht im Westen aufgestellt werden – das sei einmal vorsichtig in Zweifel gezogen. Dennoch überwiegen die positiven Vorzeichen für den deutschen Aluräderersatzmarkt: Die Abverkaufszahlen Pkw deuten in den ersten Monaten 2011 fürs Gesamtjahr auf ein gutes Ergebnis „drei Millionen plus X“ hin; so schnell lassen sich gar keine neuerlichen Überkapazitäten aufbauen; Ronal und Co. haben sich (wieder) stärker in die OE-Abhängigkeit begeben und können dies Rad nicht immer wieder dann so in Richtung Um- und Nachrüstmarkt zurückdrehen, wenn es ihnen gerade passt – die Stimmung ist gut! detlef.vogt@reifenpresse.de

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