Neue Wege für das Recycling von Altreifen
Jährlich fallen in der EU mehr als 2,5 Millionen t Altreifen an, davon knapp 600.000 t allein in Deutschland. Mit ca. 270.000 t wird der mit Abstand größte Anteil der in Deutschland anfallenden Reifen als Sekundärbrennstoff in Zement- und Kraftwerken verwertet. Mit dem Schwinden der begrenzten Erdölressourcen und der recht geringen Energieausbeute – im Vergleich zum hohen Energieaufwand bei der Herstellung von Reifen – stellt die thermische Verwertung eine ökologisch und ökonomisch wenig vorteilhafte Lösung der Altreifenproblematik dar. Hier bietet eine stoffliche Verwertung der Hauptbestandteile eine bessere Alternative. Philipp Biedenkopf, Produktmanager Altreifenrecycling bei der Amandus Kahl GmbH & Co. in Reinbek, stellt ein Verfahren vor, das die wirtschaftliche Granulierung von Altreifen der Firma Amandus Kahl GmbH & Co. ermöglichen soll.
Stoffliche Verwertung von Altreifen
Um eine stoffliche Verwertung der Reifen zu ermöglichen, sind eine Zerkleinerung der Reifen und anschließend eine vollständige Trennung der Bestandteile Gummi, Stahl und Textilfaser notwendig. Dabei werden die Reifen in der Regel in langsam laufenden Zweiwellenshreddern oder Rotoscheren vorzerkleinert und anschließend in einer ein- oder mehrstufigen Vermahlung zu Granulat und Mehl unterschiedlicher Körnung verarbeitet. Man unterscheidet hierbei zwei Verfahren:
– die Kaltvermahlung (Cryogenvermahlung), bei der die vorzerkleinerten Reifenchips mittels Flüssigstickstoff (LN2) versprödet und z. B. in Hammermühlen vermahlen werden: In der Regel reicht bei der Cryogenvermahlung eine Mahlstufe aus, um die gewünschte Trennung der Bestandteile zu erreichen und ein breites Kornspektrum an Gummigranulat zu erzielen. Nachteile dieser Technologie sind die hohen Kosten für den Einsatz von Flüssigstickstoff (1 – 2 t LN2 pro t Altreifen) sowie die geringe Oberfläche des glasartig gebrochenen Granulats bzw. Gummimehls.
– die Warmvermahlung (ambiente Vermahlung) bei Umgebungstemperatur (ambient temperature = Umgebungstemperatur), bei der die Reifenchips ohne Versprödung in schnell laufenden Granulatoren oder Mühlen zerkleinert werden. Durch Reihenschaltung mehrerer (Schneid-)Granulatoren wird das Produkt schrittweise auf die gewünschte Korngröße zerkleinert. Nachteile der Warmvermahlung mit Granulatoren sind der hohe Energieaufwand durch den Einsatz mehrerer Zerkleinerungsstufen sowie der vergleichsweise hohe Verschleiß an den Granulatorenmessern, der zu sehr hohen Wartungs- und Verschleißteilkosten führt.
Vermahlung von Reifen auf Flachmatrizenpressen
Das bei der Firma Amandus Kahl entwickelte Verfahren zur Warmvermahlung von Altreifen bietet eine kostengünstige Alternative zu den oben erwähnten herkömmlichen Verfahren zur Zerkleinerung von Altreifen, unter Einsatz von Flüssigstickstoff (Cryogenverfahren) und der Warmvermahlung mit Schneidgranulatoren.
Die Vermahlung von Reifen auf Flachmatrizenpressen ohne Stickstoffeinsatz zu metall- und gewebefreien Granulat ermöglicht Einsparungen von bis zu 80 €/t.
Die angelieferten Reifen werden in einer Vorzerkleinerung auf eine Chipgröße von ca. 50 – 100 mm zerkleinert. Über einen Zwischenpuffer und eine regelbare Zuführung gelangen die Chips in das Herzstück der Anlage, die Gummivermahlung. Hier werden die Reifenteile in einer Kahl-Flachmatrizenpresse nach dem Kollergangprinzip zermahlen. Die Vermahlung der Reifenchips erfolgt zwischen den zylindrischen Kollerrollen und der als Lochscheibe ausgeführten kreisförmigen Matrize. Die beim Abrollen der Koller auf der kreisförmigen Kollerbahn der Matrize entstehenden Scherkräfte sowie die über eine automatisch regelbare Presshydraulik aufgebrachten Presskräfte schließen die Reifenteile auf und lösen die verschiedenen Bestandteile voneinander.
Die Presse vom Typ 60 – 1250 mit einer Antriebsleistung von 2 x 160 kW verarbeitet bis zu 4,5 t/h Reifenchips bei einer Inputgröße von ca. 50 x 80 mm (LKW) und ca. 100 x 150 mm (PKW) zu einem Granulat von < 0,4 – 20 mm. Bei Granulierung auf < 4 mm beträgt die Leistung einer einstufigen Vermahlung ca. 2,5 t/h (Input). Gegenüber anderen Granulatoren bietet die Granulierung auf Flachmatrizen große Vorteile:
– die lange Lebensdauer der Granulierwerkzeuge, (Matrize >> 1.000h, die Kollerrollen >> 2.000h)
– konstant hohe Durchsatzleistung ohne Einbußen durch Verschleiß der Werkzeuge
– automatische Anpassung des Mahlspalts durch die Presshydraulik
– automatische Schmierung der Maschine
– schneller und einfacher Werkzeugwechsel (ca. 1,5 h)
– kompakte Baugröße
– niedrige Verschleißkosten (Verschleiß ca. 5 €/t)
– geringe Geräuschentwicklung < 85 dB(A)
– reduzierter Maschinenaufwand durch einstufige Vermahlung
Nach der Vermahlung werden mittels Magneten die Stahldrähte und Stahl-Gummi-Verbunde abgetrennt. In einer ersten Siebung werden die Feinteile kleiner 8 mm abgetrennt und der Granulatreinigung zugeführt. Die Grobfraktion sowie die Stahl-Gummi-Verbunde werden zur Granulierung zurückgeführt. Dabei hängt die Menge des zurückgeführten Materials vom Kornspektrum des gewünschten Produkts ab.
Nach der Granulierung wird das gemahlene Produkt je nach Kundenanforderung in einer mehrstufigen Sortierung und Sichtung in die verschiedenen Fraktionen getrennt. Die Metallabscheidung erfolgt in Trommelmagneten, die Klassierung mittels Sieben. Die endgültige Sichtung zur Abtrennung von Textil und Mineralien erfolgt dann mittels Zickzacksichtern und Trenntischen.
Das System ist modular aufgebaut und auf eine Anlagenleistung von 2,5 t/h pro Granulierpresse im 3-Schicht-Betrieb ausgelegt. Das entspricht einem Durchsatz von bis zu 15.000 t/a für eine Linie. Durch Aufstellung paralleler Module kann die Anlagenleistung beliebig angepasst werden. Man erhält an Produkten (bezogen auf den Input, abhängig von der Zusammensetzung des Input):
Stahl: ca. 15 – 20 %
Gummigranulat 4 – 6 mm: ca. 15 %
Gummigranulat 2 – 4 mm : ca. 15 %
Gummigranulat 0 – 2 mm: ca. 30 %
Textil-Gummi-Gemisch: ca. 15 – 20 %
Die Endprodukte zeichnen sich durch hohe Reinheit aus und werden abgesackt oder in Silos zwischengelagert. Neben der hohen Reinheit der Gummimehle zeichnet sich das Verfahren dadurch aus, dass eine sehr reine Stahlfraktion als Endprodukt anfällt. Bei einer Restverunreinigung von >> 3% Gummi- und Textilanteil im Stahl lassen sich erstmals auch mit der Stahlfraktion Preise von deutlich über 100 Euro/t erzielen.
Das durch die Warmvermahlung gewonnene Gummigranulat weist eine deutlich größere spezifische Oberfläche auf gegenüber dem kaltvermahlenen Granulat, dessen Oberfläche eher glatt und kubisch ist. Gummigranulate und -mehle finden in verschiedenen Einsatzbereichen Verwendung. Sie werden als Füllstoffe in der Kautschukindustrie verwandt, wodurch Materialkosten reduziert und der Herstellungsprozess vereinfacht werden können. Gummigranulat wird u. a. zur Herstellung von Fallschutzmatten auf Kinderspielplätzen und von Sportböden verwendet. Zumengung im Mutterboden verbessert Kompaktions- und Drainageverhalten stark frequentierter Rasenflächen. Durch Zusatz von PU-Bindern können Formteile hergestellt werden. Setzt man statt der PU-Binder Kunststoffgranulate (z. B. Recycling-Thermoplaste) zu, lassen sich in speziellen Verfahren elastische Compounds herstellen. Hierfür eignet sich besonders warmvermahlenes Gummimehl. Als Zusatz verbessert dieses die Eigenschaften des Asphalt im Straßenbau, da der Gummiasphalt Lärmemissionen reduziert und die Temperaturstabilität der Straßendecke steigert. Die Bildung von Spurrillen im Sommer und der Frostrisse im Winter werden vermindert. Es bieten sich also vielseitige Anwendungsmöglichkeiten, gerade für das warmvermahlene Granulat. dv
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