Dunlop-Winter-Workshop 2010: So klug als wie zuvor
Man möchte mit Goethes Faust sprechen, wenn man sich um das Für und Wider des Themas Winterreifenpflicht müht und die seit vielen Jahren bereits schwelende Frage erneut aufwirft, wie denn nun eigentlich ein Winterreifen genau zu definieren wäre. Der allherbstliche Winter-Workshop der Marke Dunlop ist bereits Tradition und offensichtlich ist die genannte Frage auf dieser Veranstaltung bereits selbst zu ebensolcher Tradition geworden. Die äußerst lebhafte Diskussion der versammelten Fachpresse zum Thema ist jedenfalls Beleg dafür, dass es der Reifenhersteller versteht, den richtigen Nerv zu treffen. Auch wenn man schließlich auseinandergeht mit Fausts berühmtem Satz: „Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.“
Dr. Rainer Landwehr, Vorsitzender der Geschäftsführung der Goodyear Dunlop Tires Germany GmbH, listet zu Beginn des Workshops einen ganzen Fragenkatalog zum Thema auf und zeigt damit, dass sich auch die Reifenindustrie mit schnellen Antworten schwertut. Bemerkenswert: Das Kürzel „M+S“ kommt in seinem gesamten Vortrag nicht ein einziges Mal vor. Und das wohl auch nicht ohne Grund. „M+S“ ist an keine Normierung gebunden, jeder kann das Akronym für Matsch und Schnee so deuten und definieren, wie es ihm in den Kram passt. Das ist nicht unbefriedigend, sondern völlig ungenügend. „M+S“ ist ein Versprechen, das nicht eingehalten werden muss, (möglicherweise) eine Mogelpackung. Und mit der werden wir – die Branche wie die Endverbraucher – wohl noch einige Zeit leben müssen. Vermutlich bis 2014, sofern die bürokratischen Mühlen sich an den Zeitplan halten. Ab dann könnten es wohl auch die Reifenhersteller von den Seitenwänden ihrer Produkte verschwinden lassen, wobei man den Konjunktiv beachten möge. Landwehr: „Das Schneeflockensymbol ist bis heute in Europa gesetzlich noch nicht reguliert. Entsprechende Initiativen dazu sind jedoch bereits auf europäischer Ebene im Gange. Diese werden im November 2012 verpflichtend für alle neu zu homologisierenden Reifen. Ab November 2014 haben alle Reifen die Kriterien der Schneeflocken-Kennzeichnung zu erfüllen.“
Der Weisheit letzter Schluss – um noch einmal Goethes Faust zu strapazieren – ist das stilisierte Schneeflockensymbol, umrahmt vom dreigipfeligen Berg, allerdings wohl auch (noch) nicht. Zumal sich die Reifenhersteller selbst zertifizieren, um das Symbol auf den Reifen zu verwenden. Zumal der zugrunde liegende Test auch schon auf das Jahr 1999 zurückgeht. Zumal fraglich ist, ob ein in den USA von der Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA definierter Test auch die Wirklichkeit europäischer Winter widerspiegelt. Zumal Traktion – das einzige Kriterium, um den Test zu bestehen – im Winter auf verschneiter Straße zwar wichtig, aber beispielsweise Seitenführung … Einwände über Einwände statt Fragen über Fragen. Dennoch: Reifen mit Schneeflockensymbol auf der Seitenflanke sind gegenüber Reifen, die ausschließlich das M+S-Kürzel tragen, eindeutig zu bevorzugen. Sie erfüllen wenigstens ein echtes winterliches Testkriterium. Markenreifen wie Dunlop haben demnach durchgängig beides auf der Seitenwand – M+S sowie Schneeflockensymbol –, wenn sie winterliche Eignung aufweisen.
Über all das Gestreite um Definitionen und rechtliche Festlegungen weist der Goodyear-Dunlop-Chef darauf hin, dass „Winterreifen im Winter einfach die sichereren Reifen“ sind und den Autofahrer selbst, aber auch andere Verkehrsteilnehmer ein gutes Stück weniger gefährden, als wären sie mit Sommerreifen unterwegs. Und es kann gewiss als ein Verbraucherlob gewertet werden, wenn Landwehr darauf hinweist, dass die Entwicklung des Winterreifenbooms bereits mit Beginn der 90er Jahre einsetzte und damit lange vor der Novelle der Straßenverkehrsordnung zur sogenannten „situativen Winterreifenpflicht“ im Mai 2006. Die eigentlichen Gründe für das starke Wachstum des Winterreifenmarktes seien vielmehr
– ein gestiegenes Sicherheitsbewusstsein der Verbraucher
– der Trend zur stärkeren Motorisierung/höheren Endgeschwindigkeiten der Fahrzeuge und die damit verbundene Zunahme der Reifenspezifikationen, die diesen Anforderungen gerecht werden
– ein uneingeschränkt hohes Mobilitätsbedürfnis auch im Winter
– eine anhaltend hohe Pkw-Gesamtfahrleistung und
– die immer höhere Qualität der Qualitätsmarkenprodukte.
Gesetzlich festgelegte Winterreifenpflicht versus Vernunft des Verbrauchers?
Bereits im Frühjahr 2006 hatte der TV-Rechtsexperte Wolfgang Büser auf einer Dunlop-Fachhandelstagung das Motto ausgegeben: „Es gibt eine Winterreifenpflicht für Vernünftige.“ Daran hat sich bis heute nichts verändert. So viele gerichtliche Streitigkeiten, wie vor viereinhalb Jahren von Büser prognostiziert, gab es zwar nicht annähernd in Sachen „situativer Winterreifenpflicht“, aber die Unsicherheiten, die damals schon offen auf dem Tisch lagen, sind geblieben: Was heißt denn beispielsweise „angepasst“?
Büser wie auch Ulrich Buckmann (Leiter Bereich Technik beim ADAC Hessen-Thüringen) setzen zumindest auch auf die Eigenverantwortlichkeit des Verbrauchers. Der brauche gleichwohl einen „klaren und eindeutigen Handlungsrahmen und vor allem auch Rechtssicherheit“ (O-Ton Landwehr). Es gibt also ein Spannungsfeld zwischen staatlicher, sprich gesetzlicher Rahmensetzung und dem Bedürfnis des mündigen Bürgers und Autofahrers, seine Entscheidungen selbst zu treffen. Der ADAC schätzt den Verbraucher jedenfalls für informiert genug ein, um gute von schlechten Winterreifen zu unterscheiden. Und so wirft Buckmann ein Schaubild an die Wand, aus dem hervorgeht, dass laut Test der ADAC motorwelt Produkte wie Star Performer Winter oder Westlake SW601 Snowmaster gegen Markenreifen beim Bremsen auf nassem Asphalt glatt durchgefallen sind und von ihm daher als „gefährliche China-Reifen“ klassifiziert werden.
Wie sind winterliche Verhältnisse definiert?
„Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte“, heißt es, sollen die Winterindikatoren sein, bei denen mit Sommerreifen nicht gefahren werden soll. Damit wird auch des Konsumentenbedürfnisses Rechnung getragen, wonach fast 85 Prozent befragter Verbraucher von einem Winterreifen „Grip auf Matsch“ sowie „Schnee und Eis“ erwarten. Die Definition eines Winterreifens geht also eindeutig in Richtung „Schnee“. Im englischen Wortlaut der entsprechenden EU-Verordnung ist denn auch tatsächlich vom „snow tyre“ die Rede. Dieser Umstand und der bereits genannte Test zur Erlangung des Rechts, auf Basis eines Schneekriteriums die Seitenwand mit dem „Three Peak Mountain“-Symbol zu versehen, dürfte Ralf Flachbarth aus dem Technikdepartment des Reifenherstellers mit gemischten Gefühlen sehen, hat er doch in der Vergangenheit schon mal darauf hingewiesen, dass es „Winterreifen“ heiße und eben nicht „Schneereifen“. Als Techniker wird er sich an die früheren Modelle von Winterreifen erinnert fühlen, die tatsächlich vor allem hinsichtlich ihrer Schneeeignung ausgelegt waren.
Moderne Winterreifen – mag sie auch der Gesetzgeber eher als „Schneereifen“ definieren – aber können viel mehr: Sie sind hochgeschwindigkeitsstabil, überzeugen auch beim Trockenhandling, sind gar rollwiderstandsoptimiert. Das sind Disziplinen, die man am ehesten mit Sommerreifen in Verbindung bringt. Und tatsächlich werden die Schnittmengen, die Sommer- und Winterreifen haben, immer größer. Woran, wenn schon die Seitenwandmarkierung M+S untauglich und das Schneeflockensymbol diskussionswürdig ist, also einen Winter- von einem Sommerreifen unterscheiden? Vor allem durch die zwar bei jedem Reifenhersteller etwas abweichende, aber unverzichtbare Lamellentechnologie. Bei Dunlops Erfolgsreifen (siehe oben) hat es die 3D-Lamelle sogar bis in die Namensgebung geschafft. Wobei „3D“ für eine dreidimensional ausgebildete Lamelle steht. An dieser Stelle sei vielleicht einmal daran erinnert, wie rasend schnell der technische Fortschritt vonstattengeht: Es ist erst zweieinhalb Jahrzehnte her, dass auch Branchenteilnehmer die Einführung der Lamellen bei Winterreifen recht lauthals verlachten, so würde ein Auto fast unfahrbar. Heute ist die Lamellentechnologie eines der Kennzeichen, einen echten Winterreifen überhaupt zu identifizieren. Und einen guten von einem schlechten Winterreifen zu unterscheiden auch. detlef.vogt@reifenpresse.de
Schreiben Sie einen Kommentar
An Diskussionen teilnehmenHinterlassen Sie uns einen Kommentar!