„Balance of Performance“ – Michelin-Workshop zu einer „Trilogie der Leistungsmerkmale“
Nicht zuletzt Europas größter Reifenhersteller Michelin hat dazu beigetragen, dass ab November 2012 in Europa ein Reifenlabel im Ersatzmarkt eingeführt wird. Bekanntlich soll dem Verbraucher damit eine fundierte Information gegeben werden, welche Qualitäten Pkw-, LLkw-, Lkw- und Bus-Reifen hinsichtlich Geräusch, Nassbremsverhalten und Rollwiderstand haben werden, ausgenommen sind Runderneuerte, Spike-, Gelände-, Renn- und Offroad-Reifen. Nähme man die heutigen im Verkauf befindlichen Reifentypen, so würden etwa 30 Prozent davon die durch das Reifenlabel aufgestellte Hürde reißen und dürften nicht mehr über den Verkaufstresen gehen. Und nähme man die bereits geplante Verschärfung der einzuhaltenden Mindestleistungswerte in den drei auf dem Produktetikett künftig genannten Feldern, so dürften gar 70 Prozent der heute erhältlichen Produkte nicht mehr verkauft werden. Der Gesetzgeber übt also Druck auf die Reifenhersteller aus, eine Konsolidierungswelle in der Branche ausgelöst durch eine Selektion unter den Anbietern könnte die Folge sein.
Stichtag für die Anwendung des durch das Europäische Parlament beschlossenen neuen Reifenlabels sind sämtliche Reifen, die nach dem 1. Juli 2012 produziert sind. Einzelheiten zu den Testmethoden hinsichtlich Rollwiderstand und Nassbremsen sind noch Gegenstand von Verhandlungen. Michelin hätte sich gewünscht, dass auch noch das Kriterium Lebensdauer in das Labelling eingeflossen wäre, konnte sich damit aber nicht durchsetzen und hofft nun, dass dieser für Endverbraucher so wichtige Aspekt in möglichst naher Zukunft noch hinzu kommt.
Um die hauseigene Philosophie zu verdeutlichen, hat das Unternehmen Journalisten aus ganz Europa in das Fahrsicherheitszentrum Berlin-Linthe eingeladen, um im Rahmen eines zweiwöchigen Workshops eine „Trilogie von Leistungsmerkmalen“ bestehend aus möglichst optimalen Sicherheitsanforderungen, Langlebigkeit und Spritspareigenschaften zu präsentieren. Das Bestreben Michelins ist, diese drei Kriterien in Einklang zu bringen, nicht einseitig zu entwickeln, sondern eine „Balance of Performance“ zu schaffen.
Gelegentlich sind Stimmen zu hören, die dem französischen Reifenhersteller wenigstens unterschwellig vorwerfen, zu sehr den Fokus auf Rollwiderstandsoptimierung und Verlängerung der Laufleistung zu legen. Bestätigt fühlen sich diese Stimmen, wenn Michelin mal wieder die Ergebnisse von Tests lanciert, in denen wie aktuell die Überlegenheit von Produkten wie dem Energy Saver, Pilot Sport PS3 oder Alpin A4 hinsichtlich Rollwiderstand, Laufleistung und damit Wirtschaftlichkeit gegenüber anderen Premiumprodukten propagiert wird. Die Überschrift des Workshops „Balance of Performance“ ist allerdings alles andere als zufällig gewählt, stehe sie doch für den „genetischen Code“, den sein Unternehmen und deren Mitarbeiter über alle Produktlinien hinweg in sich tragen, so Dieter von Aspern, verantwortlicher Vertriebsdirektor im deutschsprachigen Raum.
Mit dem durch das „Grading“, also dem Reifenlabel, verbundenen Umweltanspruch treffen die Erstausrüstungslieferanten auch auf Ansprüche ihrer Kunden. Die Automobilhersteller werden in zunehmendem Maße von der EU in die Pflicht genommen, für geringere Kohlendioxidemissionen zu sorgen. Und sie wissen, dass ihre zuliefernden Reifenproduzenten dazu einen nicht unerheblichen Beitrag leisten können: Ein verringerter Reifenrollwiderstand sorgt auch dafür, dass die Umweltbilanz eines Autos hinsichtlich CO2-Emissionen positiv beeinflusst wird.
Die Reifenhersteller befinden sich nach europaweiten Analysen des Forschungsinstitutes TNS Sofres (Infratest ist der deutsche Ableger dieses weltweit agierenden Institutes) aber auch in Einklang mit den Wünschen des Endverbrauchers: 70 Prozent wünschen sich einfach nur, völlig sorgenfrei hinsichtlich ihrer Bereifung zu sein. Sie haben recht klare Vorstellungen davon, was Sicherheit bezogen auf Reifen bedeutet, erwarten aber auch einen Beitrag der Reifen zur Senkung der Betriebskosten. Dass sich der Verbraucher eher ungern mit dem Thema Bereifung auseinandersetzt, hat TNS Sofres, das entsprechende Studien nicht nur seit Jahren für Michelin, sondern beispielsweise auch für Conti, Dunlop oder Pirelli erstellt hat, natürlich ebenfalls ermittelt: Er interessiert sich erst für das Thema Reifen, wenn die Kaufentscheidung ansteht, vorher eher nicht.
Michelin war 1992 mit der Einführung von Silica als Füllstoff beim damaligen „Energy“-Reifen der Protagonist an Umweltkriterien ausgerichteter Reifen und kennzeichnet die entsprechenden Produkte seitdem mit dem Label „Green X“. Erstaunlich schnell haben die renommierten Reifenhersteller nachgezogen und konnten bald in ihren Werken ebenfalls Silica verarbeiten. Mit dem vor etwa zweieinhalb Jahren eingeführten „Energy Saver“, der seitdem bereits mehr als 120 Homologationen verbuchen konnte, sieht sich Michelin auch bei der aktuellen und damit vierten Generation „Green-X-Reifen“ als technologisch marktführend, wenigstens was den Rollwiderstand anbelangt. Im Bewusstsein der Verbraucher ist der Name Michelin überdies mit Langlebigkeit behaftet, hat also das entsprechende Image.
Während sich eine lange Lebensdauer von Reifen im Rahmen einer Ein-Tages-Veranstaltung kaum praktisch demonstrieren lässt und eher theoretisch aufzuarbeiten ist, hatten die auf dem Gelände in Berlin-Linthe durchgeführten Demonstrationen die Aufgabe, im Vergleich mit zwei weiteren Premiummarken die Überlegenheit der hauseigenen Produkte hinsichtlich Rollwiderstand zu zeigen. Und Fahrtests (in diesem Fall zum Thema Nassbremsen) sollten verdeutlichen, dass Michelin hinter den beiden Wettbewerbern jedenfalls nicht zurückstehen würde. Die Ergebnisse an den beiden Tagen, als die NEUE REIFENZEITUNG und ihre Schwesterzeitschrift TYRES & ACCESSORIES dem Event beiwohnten: In der Disziplin Rollwiderstand dominierte Michelin, beim Nassbremsen mussten sich die Franzosen das oberste Treppchen mit einem der beiden Konkurrenten teilen, der andere bekam wie beim Rollwiderstandstest mit der Rampe die rote Laterne.
Nachhaltige Mobilität
Laut Michelin-Unterlagen sind heute weltweit etwa 900 Millionen motorgetriebene Fahrzeuge unterwegs. Der Straßenverkehr ist ein Großverbraucher fossiler Brennstoffe, deren Vorräte wie man weiß endlich sind. Diese Ressourcen werden irgendwann erschöpft sein, wann genau weiß keiner. In zehn, vielleicht auch erst – oder sollte man auch bei dieser Zahl „schon“ sagen – zwanzig Jahren werden es um die 1,5 Millionen Fahrzeuge sein. Man muss kein „Grüner“ sein, um zu wissen, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Umwelt zu schützen. Man darf kein Ignorant sein und muss sehen, dass gerade die Menschen in den Schwellenländern das gleiche Recht auf Mobilität anstreben, dass die Menschen in den hochentwickelten Staaten für sich als selbstverständlich reklamieren.
Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ rückt in den Fokus. Die Mobilität von Menschen und Gütern wird sich fortentwickeln, gleichzeitig gilt es, die Umwelt zu schonen und alles zu ermöglichen, dass mobiler Fortschritt auch unter Bewahrung der Gesundheit der Menschen erfolgt. Michelin präsentiert weltweite Zahlen: 85 Millionen Barrel Erdöl werden täglich verbraucht, 98 Prozent ist der von Erdöl abhängige Anteil des Transportwesens über die Straße, ein Viertel aller CO2-Emissionen fossilen Ursprungs geht auf das Transportwesen zurück, fast fünf Milliarden Tonnen CO2 werden jedes Jahr durch den Straßenverkehr erzeugt usw. Diese Zahlen sind Herausforderungen für die Automobilindustrie und alle mit der Mobilität verbundenen Unternehmen und Instanzen.
Einklang in die Trilogie bringen
Da möchte man der Verlockung erliegen, tatsächlich das Umweltprimat an oberste Stelle zu setzen. Erklärtermaßen will das Unternehmen Michelin das aber nicht, hat darum die Innovationskraft auf die genannten drei Säulen gestellt – und sieht sich dabei natürlich mit den bei den Entwicklern allgegenwärtigen Zielkonflikten konfrontiert. So wird auf der einen Seite eine Verringerung der Erwärmung im Reifen angestrebt, hat das doch einen geringeren Rollwiderstand zur Folge; auf der anderen Seite bewirkt eine stärkere Erwärmung bessere Haftung. Oder: Je weicher die Gummimischung, desto besser ist die Haftung der Reifen einerseits; aber je härter der Gummi, desto länger die Lebensdauer andererseits. Michelin versucht, diese „Zielkonflikte“, bei denen ein gutgemeintes Drehen an einer Stellschraube Negatives an anderer Stelle auslöst, durch intelligente „Tricks“ zu lösen. Das ehrgeizige Ziel lautet bei jeder Entwicklungsmaßnahme, die einen positiven Effekt hat, gleichzeitige negative Effekte in anderen Leistungskriterien auszuschließen.
Dem Gummi und den sonstigen Materialien wie Ruß und Silica kommt bei Weiterentwicklungen eine Schlüsselrolle zu, aber es reicht nicht, diese Materialien von beispielsweise den weltbesten Zulieferern zu beziehen, man muss sie auch richtig verarbeiten können (und braucht dafür zum Beispiel Organosilane, die bei Reifenentwicklern aktuell immer stärker ins Zentrum der Forschungen zu rücken scheinen). Der Firma Michelin wird schon geradezu traditionell eine gewisse Geheimniskrämerei in der Fertigung nachgesagt. Auch das ließe sich unter die Überschrift „Balance of Performance“ stellen. Denn die besten Reifen lassen sich auch nur in den besten Fabriken herstellen.
Welche Rolle spielt der Reifen im Themenfeld Energieverbrauch und Umweltschutz? Die Antwort auf diese Frage lautet: 20 Prozent des Energieaufwands, der für den Vortrieb eines herkömmlichen Pkw mit Verbrennungsmotor erforderlich ist, geht auf das Konto der Reifen. Bei Autos mit ausschließlichem Elektroantrieb steigt dieser Anteil sogar auf 30 Prozent im städtischen Einsatz. Bei Hybridfahrzeugen ist die Vielfalt der technologischen Möglichkeiten so groß, dass man den Anteil des Reifens zwischen den beiden Extremen (Verbrennungsmotor und „full electric“) ansiedelt. Der Reifen wird so zu einem Schlüsselelement in der Senkung der Fahrzeugverbrauchswerte bzw. in der Ausweitung der Fahrzeugreichweite, was schließlich bedeutet, dass unabhängig von der jeweiligen Antriebsart geeignete Pneus zur Verfügung stehen müssen.
„Wir bringen Sie weiter“ – so ein Slogan der Michelin-Gruppe, der in knappen Worten den selbstauferlegten Auftrag, dem sich das Unternehmen verschrieben hat, skizziert: die Entwicklung und Herstellung von immer leistungsfähigeren Reifen. Das Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, scheinbar gegensätzliche Leistungsmerkmale gleichzeitig zu verbessern und damit die „Dreisatzregel“ neu zu interpretieren: das Trio der Leistungsmerkmale „Kraftstoffeffizienz, Sicherheit und Langlebigkeit“ parallel zu optimieren – nur so kann eine nachhaltige Automobilität sichergestellt werden. detlef.vogt@reifenpresse.de
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