Was wären die Autohersteller ohne ihre Zulieferer?
Was wären die Autohersteller ohne ihre Zulieferer? – Eine rhetorische Frage! Gewiss. In unserer arbeitsteiligen und wirtschaftlich so arg globalisierten Welt stammen die zahlreichen Komponenten für die Herstellung eines Autos heute aus aller Herren Länder. Es ist in den letzten Jahrzehnten ein gigantisches Netzwerk von Zuliefererfirmen entstanden, die die Fabriken der Automobilhersteller auf der ganzen Welt beliefern. Volkswagen, Ford, Daimler & Co. erwarten von ihren Zulieferern, dass sie Teile in den entferntesten Winkeln der Welt – in Vietnam, Kasachstan oder Venezuela – zur Verfügung stellen.
Die Erwartungshaltung an die Zulieferer ist also groß. Zumal auch die Innovationen am Auto immer weniger von den Fahrzeugherstellern selbst kommen, sondern immer mehr von ihren Zulieferern, die dafür oftmals kräftige Investitionsaufwendungen geleistet haben, die sie aus eigener Kraft gar nicht stemmen konnten und so an ihre Eigenkapitalquoten gegangen sind. Während die Investitionsaufwendungen von Automobilherstellern im Allgemeinen zwischen drei und fünf Prozent des Umsatzes pendeln, sind es bei den Zulieferern schon mal sieben oder acht Prozent.
Von einer Solidarität der Autohersteller mit den Zulieferern bzw. einem fairen Umgang miteinander allerdings hört man wenig, statt dessen heißt es, die Automobilhersteller würden sie wie Zitronen ausquetschen. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen, doch oftmals gilt ihr Verhältnis als dermaßen zerrüttet, dass im zwischenmenschlichen Leben schon lange der Scheidungsanwalt aufgesucht worden wäre – kaum vom Autohersteller, wesentlich wahrscheinlicher vom unterdrückten Zulieferer.
Perfide mutet da schon an, wie dieser auf Galaabenden hofiert und mit Awards wie „Zulieferer des Jahres“ oder „Premiumlieferant“ usw. überschüttet wird. Merkwürdigerweise funktioniert dieses plumpe Instrument gerade bei der mittelständisch strukturierten Zuliefererindustrie trefflich, die Unternehmenschefs fühlen sich „gebauchpinselt“ und blenden den Alltag aus. Hatten sie Investitionen an den Stückkosten und Gesamtvolumina über einen Lebenszyklus errechnet, die ihnen die Marketingstrategen der Autohersteller mit gutem Gewissen oder in Euphorie unter die Nase gerieben hatten – von bewusster Täuschung soll hier keine Rede sein, wäre das doch der totale Sittenverfall –, und wird dann just dieses Automodell zum Flop, dann ist jegliche Kalkulation perdu und die Hoffnung auf Beteiligung des Autoherstellers am finanziellen Desaster schwach. Geradezu schizophren: Der Automobilhersteller ist eigentlich für das Problem der Absatzschwäche verantwortlich, für die ausbleibenden Gewinne muss aber der Zulieferer bluten. Preissenkungen Jahr für Jahr von drei bis fünf Prozent hatten die Zulieferer bei eigentlich allen Autoherstellern zu schlucken, verborgen wird das hinter dem Wort „Savings“. Damit ist gemeint, dass der Zulieferer ja Produktivitätsfortschritte macht, an denen der Kunde teilhaben will.
Übrigens eine Philosophie, die von den japanischen Autoherstellern stammt, die alljährlich ihre Zulieferer fragen, was diese getan hätten, um besser zu werden. Andererseits: Bei der japanischen Automobilindustrie ist die Verzahnung von Autohersteller und seinem Zulieferer viel enger als hierzulande, wie der Blick auf die Beteiligungsverhältnisse bei den Zulieferern verrät. In der deutschen Unternehmenskultur wäre das (noch?) undenkbar: Als Zulieferer Magna sich – letzten Endes wahrscheinlich für das Unternehmen zum Glück vergeblich – anschickte, bei Opel einzusteigen, drohte der Volkswagen-Konzern prompt mit Auftragsentzug. Andererseits hört man gelegentlich von „diskreter Hilfe“, ein Beispiel: Als in der wirtschaftlichen Krise der letzten anderthalb Jahre kleinerer Zulieferer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, sollen einzelne Autohersteller – gelegentlich auch mehrere zugleich in einer konzertierten, aber eher informellen und sehr „diskreten“ Aktion – ungewöhlich viel Kulanz gegenüber unverzichtbaren Bausteinen in der Zulieferkette gezeigt haben. Übrigens: Beispielsweise die Franzosen (mit Faurecia bei PSA) oder die Italiener (mit Magneti Marelli bei Fiat) sind mit Beteiligungen an Zulieferern viel weniger zimperlich als VW, BMW und Mercedes, die immer gleich einen Technologieabfluss zu Wettbewerbern zu wittern glauben.
Die Notwendigkeit einer echten Partnerschaft ist offensichtlich. Allerdings muss wohl auch die Zuliefererbranche eine Kröte schlucken: Wenn der Ex-Conti-VV Dr. Hubertus von Grünberg von einem „Endspiel der Zuliefererbranche“ spricht, so meint er damit die immer noch zu stark zersplitterte Zunft, man spricht auch von einer Zulieferpyramide: Der „Systemlieferant“ Tier-1 (Zulieferer der ersten Reihe für die Automobilhersteller) hat diverse Zulieferer Tier-2 (Zulieferer der zweiten Reihe, also der Systemzulieferer) und diese wieder wären ohne kleinere Sublieferanten Tier-3 (Zulieferer der Tier-2), die vielleicht eher handwerkliche Strukturen und nur eine einstellige Mitarbeiterzahl haben, nicht denkbar. Das ist die Schattenseite der immer arbeitsteiliger werdenden Welt: Fällt Tier-3 aus, kann Tier-2 nicht mehr an den Systemlieferanten liefern und bleiben bei Ford oder Toyota die Bänder stehen wie in die letzten Jahren Ausfälle hierzulande bei Kiekert oder in Japan bei Riken passiert. Das Liefernetz bzw. die Lieferketten im internationalen Automobilbau sind in den letzten Jahren immer komplexer, verwobener und damit sensibler geworden. Dieses Netz darf nicht reißen, geht ein Glied der Kette zu Bruch, drohen auch die anderen zu brechen. Verstärkt wird die Gefahr ausgerechnet durch die Toyota-Revolution der Just-in-time-Lieferungen. Sich Teile auf Vorrat hinzulegen kann sich heute kein Automobilhersteller mehr leisten oder meint sie sich leisten zu können, weil das zu kapitalintensiv sei, statt dessen will er der Gefahr eines Ausfalls eines Lieferanten dadurch begegnen, dass er einen zweiten oder gar dritten für ein bestimmtes Teil hat. Single-Sourcing ist als Gefahr identifiziert, bei Belieferung zusätzlich durch einen zweiten Anbieter aber schon mal fraglich, ob dieser in der Lage wäre, einen eventuellen Ausfall des ersten zu kompensieren.
Die sogenannten Automobilexperten und hoch bezahlten Beratungsgesellschaften sehen aber nicht nur die zahlreichen kleineren Zulieferer dieser Welt – in Deutschland gibt es davon etwa 1.300 bis 1.500 je nach Definition – bedroht, sondern erwarten eine Konsolidierungswelle auch bei den größeren. Wer eher leicht austauschbare Standardprodukte (Reifen und Felgen gehören dazu) herstellt, ist in seiner Unabhängigkeit bedroht – ausscheiden würden die Kapazitäten kaum, sondern von Wettbewerbern geschluckt. Zulieferer, die von Private-Equity-Unternehmen übernommen worden waren, sind besonders in ihrer Existenz bedroht, weil sie ausgeblutet sind, ihre eigene Übernahme zu bezahlen hatten und so eine derart desaströse Eigenkapitalquote aufweisen, dass sie einer Krise nicht standhalten können, sondern den Gang zum Insolvenzverwalter anzutreten haben. Wer hochspezialisierte Produkte als Zulieferer anbietet, die er womöglich selbst entwickelt hat, ist zwar nicht so ohne Weiteres austauschbar, gegebenenfalls aber nicht minder in seiner Unabhängigkeit bedroht, weil er für diese Entwicklung dermaßen viel investiert hat, dass er eine Automobilkrise, die seinen Absatz einbrechen lässt, auch nicht aus eigener Kraft bewältigen kann. Ein Teufelskreis.
Der langfristige Trend bei den Automobilherstellern beinhaltet eine stetige Verringerung der Fertigungstiefe. Betrug diese noch vor 30 Jahren knapp 40 Prozent, so wurde Mitte der 90er Jahre erstmalig die 30-Prozent-Marke unterschritten, heute sind es etwa 22 Prozent bei den deutschen Automobilherstellern. Etwaige Bestrebungen, von denen bisweilen zu lesen ist, bestimmte Bauteile (zum Beispiel im Bereich Achsen) zurück in die Autowerke zu holen, haben sich immer wieder als Strohfeuer erwiesen. Statt dessen – die Idee kommt aus den Vereinigten Staaten – ist gar die Rede von fabriklosen Autokonzernen, die sich auf den Vertrieb und die Markenpflege konzentrieren. Es gibt bis heute keinen nachhaltigen Gegentrend zum „Outsourcing“, um ein inzwischen etwas außer Mode gekommenes Wort zu strapazieren, das gleichwohl in den 90-er Jahren in jedem Managervortrag der Automobilindustrie zwangsläufig fallen musste: Ohne eine leistungsfähige Zuliefererindustrie sind die hiesigen Automobilhersteller nichts!
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