Toyo Tires fasst wieder Tritt
Als der japanische Reifenhersteller Toyo Tires zu Beginn dieses Jahres kräftig auf die Kostenbremse trat angesichts der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise, hatte sich das Maßnahmenpaket wie eine Ansammlung von Schreckensmeldungen gelesen: Entlassungen, kräftige Budgetkürzungen, Teilnahme an der Tokyo Motor Show kurzerhand gestrichen, Reiseeinschränkungen für das Management usw. Später wurde auch noch bekannt, dass Spitzenmanager des Unternehmens freiwillig auf Boni verzichteten. Inzwischen kann man wieder durchatmen, manche Restriktion war auch gar nicht so scharf, wie sie sich vielleicht angehört hatte, vor allem wendet sich das Blatt in den Reifenwerken: „Unsere Werksauslastung in Japan nähert sich wieder hundert Prozent“, berichtet Tatsuo Mitsuhata (44), Executive Vice President bei Toyo Tire Europe und Geschäftsführer für die Toyo-Verkaufsorganisation Deutschland/Österreich. Die japanischen Wettbewerber von Toyo hängen diesbezüglich noch etwas zurück, sie haben es nicht so schnell geschafft, das tiefe Tal zu verlassen.
Freilich: Eine totale Rückkehr zu den Plänen von vor der Krise gibt es nicht, eine schnelle Umsetzung aller Beschlüsse während der Krise aber auch nicht. Konkret heißt das: Das neue Reifenwerk, dessen Standort irgendwo in Südostasien sein soll, wird gebaut, aber später. Die in Nordamerika so prächtig positionierte hauseigene Zweitmarke Nitto wird irgendwann zu einer Weltmarke gemacht und dann auch nach Europa kommen, aber bei der schwachen Verbrauchernachfrage wäre der jetzige Zeitpunkt äußerst unpassend. Statt dessen werden in Japan und Europa sehr viele Kräfte auf ein Projekt fokussiert, das gar nicht den Weg in die Schlagzeilen gefunden hat: Der im Vergleich mit den Marktführern relativ kleine Hersteller Toyo erlangt bei einer Premiumautomarke Erstausrüsterstatus, und zwar erst einmal bei prestigeträchtigen Modellen mit äußerst hohen Anforderungen an die Entwickler, wie Wilhelm Höppner (55), seit einigen Monaten Technischer Direktor bei der Europa-Organisation, betont. Er hat das Projekt hierzulande vorangetrieben, lobt aber die Kollegen im fernen Japan: In so kurzer Zeit solch eine Aufgabe zu bewältigen, sei ungewöhnlich, zumal sich viel größere Wettbewerber mit den Lastenheften des Autoherstellers sehr schwer getan haben. Nach einigen Nischenmodellen wird es auch ein deutsches Volumenmodell geben, auf dem Toyo-Reifen verbaut werden, verrät Mitsuhata. Wo diese Reifen dann hergestellt werden, darüber ist noch keine Entscheidung gefallen.
Aktuell kommen sämtliche hierzulande verkauften Reifen mit der Aufschrift Toyo aus Japan-Produktion, die Kapazität des US-Werkes ist dem nordamerikanischen Markt vorbehalten. Wobei ein Produktionsaustausch mit dem Toyo-Gesellschafter und direkten Wettbewerber Bridgestone in Nord- und Südamerika erfolgt, das heißt in Bridgestone-Fabriken Toyo-Reifen und in der Toyo-Fabrik Bridgestone-Reifen gebaut werden. Auch aus einer anderen Fabrik, in der Reifen der Marke Toyo gefertigt werden, kommt aktuell nichts nach Deutschland: aus der Joint-Venture-Fabrik Cheng Shin-Toyo Tire im chinesischen Kun Shan. (Das Joint Venture wurde nach dem Gespräch in der Neusser Europa-Zentrale von Toyo aufgelöst, statt dessen soll in China eine völlig neue Fabrik errichtet werden, die dann zu hundert Prozent im Besitz der Japaner ist.) Höppner: „Die Technologien zur Herstellung von HP- und UHP-Reifen halten wir in unseren beiden japanischen Fabriken und in den USA. Denkbar, dass irgendwann einmal Reifen aus einer chinesischen Fabrik nach Europa exportiert werden, das wären dann aber sicherlich erst einmal nur Standardreifen.“
Mit Blick auf die von der Muttergesellschaft Mitte August präsentierten Quartalszahlen und dabei speziell auf die für Europa müsste einem schwindelig werden, denn da steht, dass Europa im Zeitraum April bis Juni nur 59 Prozent der Umsätze vom gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres gemacht hat. Das aber spiegele überhaupt nicht die seit einigen Wochen von Tamotsu Sakuramoto als Präsident geführte Toyo Tires Europe GmbH wider, sorgt Tatsuo Mitsuhata für Aufklärung. Denn das schmerzliche Defizit sei hauptsächlich auf die zusammengebrochenen Märkte Russland und Ukraine zurückzuführen. Toyo Tire Europe ist zwar unter anderem Muttergesellschaft der deutsch-österreichischen, britischen, italienischen und der Benelux-Vertriebsgesellschaften, aber eben nicht für Russland und Ukraine verantwortlich, die direkt von Japan aus geführt werden. Die von Neuss aus betreuten vier Vertriebsgesellschaften hätten zwar auch Einbußen, stünden aber im Vergleich zum Vorjahr bei etwa 85 bis 90 Prozent und hätten sich damit marktkonform geschlagen, sagt der Executive Vice President, an den die in Großbritannien, Italien und Benelux verantwortlichen Geschäftsführer berichten. Dennoch ist man bei Toyo tief enttäuscht, hatte man in Russland und der Ukraine doch gerade starke Mannschaften etabliert und wollte so richtig durchstarten, als die beiden dortigen Märkte kollabierten. Mitsuhata aber blickt nach vorne und erwartet in der Zukunft Impulse aus anderen europäischen Märkten, das aber sei noch nicht spruchreif und werde zu gegebener Zeit publiziert.
Die Neusser Europazentrale mit ihren etwa 35 Mitarbeitern hat die Aufgabe, die eigenen europäischen Vertriebsgesellschaften sowie die Importeure in anderen europäischen Ländern zu unterstützen, auch die für Deutschland und Österreich zuständige Vertriebsmannschaft, die seit dem 1. August von Marco Stezelow geführt wird: Toyo Deutschland/Österreich hat ebenfalls 35 Mitarbeiter, von denen – in zehn Verkaufsgebieten – 14 im Außendienst tätig sind.
Die Märkte Deutschland/Österreich stehen für rund 50 Millionen Euro Umsatz, wobei sich etwa 80 Prozent auf den Bereich Pkw/SUV/LLkw beziehen. Glück im Unglück also, dass bei Toyo Lkw-Reifen nur einen relativ geringen Anteil haben, so konnte das Dilemma in diesem Marktsegment das Toyo-Ergebnis in Europa im Allgemeinen und in Deutschland/Österreich im Besonderen so gut wie überhaupt nicht beeinträchtigen. Das wäre auch schade, denn gerade stehen die Zeichen aufgrund der Vorabbestellungen bei Winterreifen besonders gut, die seien nämlich zum Gesprächszeitpunkt mit der NEUE REIFENZEITUNG Mitte August deutlich über Vorjahr, so Mitsuhata.
Offensichtlich haben die Reifenhändler den logistischen Swing, den Toyo Tires vor vier bis fünf Jahren initiiert hatte, inzwischen mitgemacht: Entfielen damals noch etwa 80 Prozent der Lieferungen auf Container- und zwanzig Prozent auf Lagerware, so hat sich dieser Anteil mittlerweile exakt umgekehrt. Gänzlich auf das Containergeschäft verzichten will Toyo nicht, gibt es doch noch immer Reifenhändler, die daran festhalten wollen, obwohl das in Dortmund mit einem Wettbewerber und unter der Federführung von Logistikexperte Fiege betriebene Zentrallager bestens organisiert sei und dem auch von Toyo realisierten Trend hin zu immer zurückhaltenderer Einlagerung begegnet.
Produktseitig sieht sich Toyo auf einem sehr guten Weg, womit nicht nur die Ergebnisse der Entwicklungsarbeit an den weiter oben genannten Erstausrüstungsreifen gemeint sind. Ob Reifen mit neuesten Nanotechnologien, die im nächsten Jahr erfolgende Einführung eines Öko-Reifens mit einer aus Recyclingmaterial gebauten Karkasse namens Proxes NE, ob das aktuelle Line-up bei der Sommerreifenpalette, die gerade erst eingeführte neue Ganzjahresreifengeneration oder die zur Saison 2010/2011 folgende völlig neue Winterreifengeneration – der technologische Fortschritt findet seinen Niederschlag, und das müsse auch so sein, so Tatsuo Mitsuhata, und darum sei ihm um Toyo langfristig gar nicht bange.
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