BRV mahnt: Ausbildung ist Investition in die Zukunft

259 Auszubildende werden im gesamten Bundesgebiet noch als Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik an den vier Berufsschulen unterrichtet. Die Zahl sinkt seit Jahren. Die NEUE REIFENZEITUNG hat den Geschäftsführer des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. Peter Hülzer diesem Thema interviewt.

NRZ: Seit Jahren gibt es immer weniger Auszubildende zum Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik. Woran liegt es?

Peter Hülzer: Wie überall in der deutschen Wirtschaft spiegeln sich auch im Reifenhandwerk die allgemeine demografische Entwicklung – Rückgang der Schulabgängerzahl – und der starke Trend zur akademischen Ausbildung in Deutschland wider. Im deutschen Handwerk insgesamt können schon seit Jahren rund 20.000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden, berichtete erst kürzlich ZDH-Präsident Hans-Peter Wollseifer. Hinzu kommt, dass zu den Top-Favoriten der Ausbildungsberufe der Kfz-Mechatroniker zählt – nicht nur innerhalb der Automotive-Berufe, sondern bei den (männlichen) Ausbildungssuchenden allgemein. Schon allein aufgrund der Branchengröße ist das Berufsbild des Kfz-Gewerbes ist einfach viel bekannter als die nicht minder anspruchsvolle Ausbildung im Reifenhandwerk. Deshalb hat der BRV im vergangenen Jahr mit www.deine-zukunft-ist-rund.de eine Infokampagne zum Berufsbild Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik gestartet.

NRZ: Hat die Kampagne schon erste Erfolge erzielt?

Peter Hülzer: Der Erfolg einer solchen Kampagne lässt sich nicht kurzfristig messen. Angesichts des bescheidenen Budgets, das uns dafür zur Verfügung steht, ist eher ein mittel- bis langfristiger Effekt das Ziel. Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein. Mit der Kampagnenwebsite stellen wir eine Plattform zur Verfügung, auf der sich alle an einer Ausbildung bzw. Ausbildungsentscheidung beteiligten Zielgruppen kompakt informieren können: Schüler, Lehrer, Eltern, Ausbildungsunternehmen, aber auch die, die bislang noch nicht oder nicht mehr ausbilden. Über die integrierte Ausbildungsplatzbörse können sie hier auch zusammenfinden.

Flankiert wird die Kampagne von einem Ausbildungsaward für den Reifenfachhandel, den wir erstmals in diesem Jahr ausloben und von dem wir uns sowohl aufseiten der potenziellen Auszubildenden als auch seitens der Unternehmen eine Motivationssteigerung in puncto Ausbildung im Reifenhandwerk erhoffen.

NRZ: Was müssen Betriebe tun, damit sie junge Menschen für die Ausbildung begeistern können?

Peter Hülzer: Aus unserer Sicht hängt die Fähigkeit, junge Menschen für eine Ausbildung im Reifenhandwerk zu begeistern, nicht von der Unternehmensgröße ab. Egal, ob großes Filialunternehmen oder typischer inhabergeführter Kleinbetrieb: Wer Schulabgänger überzeugen möchte, muss aktiv den Kontakt zu Schülern, Lehrern und Eltern suchen, den Beruf überzeugend präsentieren und vor allem mit eigener Begeisterung dafür anstecken. Dazu gehört auch, junge Leute einmal „reinschnuppern“, sie die Arbeit vor Ort selbst miterleben zu lassen und ihnen Perspektiven aufzuzeigen. Wer ausbilden möchte, muss mit voller Überzeugung dahinter stehen, die Ausbildungszeit als Investition betrachten und für die Auszubildenden so gestalten, dass sie sich nicht als billige Arbeitskraft fühlen, sondern wertgeschätzt und als Mensch mit Entwicklungspotenzial gefordert und gefördert.

NRZ: Wollen nicht sogar viele Betriebe nicht mehr ausbilden?

Peter Hülzer: In der Tat hat der BRV schon anlässlich seiner Berufskonferenz vor einigen Jahren festgestellt, dass die Ausbildungsbereitschaft zu wünschen übrig lässt. Schon 2010 ließ die ZDH-Statistik erkennen, dass nur knapp ein Drittel der ausbildungsberechtigten Unternehmen im Reifenhandwerk überhaupt ausbildet. Eine Trendwende haben wir seither nicht feststellen können. Hier muss sich dringend etwas ändern, weshalb unsere Ausbildungskampagne auch nicht nur auf Schulabgänger abzielt, sondern genauso auf potenzielle Ausbildungsbetriebe.

NRZ: Manche Beobachter sehen ja schon den Berufszweig in Gefahr. Sind Sie auch so skeptisch?

Peter Hülzer: Angesichts der absoluten Azubi-Zahlen und der Ausbildungsquote im Reifenhandwerk hat die Frage durchaus ihre Berechtigung. Wir haben die Ausbildungskampagne ja gerade deshalb gestartet, weil wir uns des Risikos bewusst sind. Aber anstatt schwarzzusehen und schon den Totengesang auf unseren Berufszweig anzustimmen, haben wir beschlossen, aktiv gegenzusteuern. Insofern: Wir sind eher Realisten als Skeptiker, bleiben dabei aber optimistisch und tun alles, damit der „worst case“ nicht eintritt!

NRZ: Ein Reifenfachhändler sagte, die Ausbildung wäre zu speziell. Er würde lieber Kraftfahrzeugmechatroniker ausbilden. Was sagen Sie dazu?

Peter Hülzer: Es ist kein Geheimnis, dass sich immer mehr Reifenfachhändler zu freien Kfz-Servicewerkstätten entwickeln. Natürlich haben auch diese Bedarf an gut ausgebildetem Fachpersonal, und je nach Tätigkeitsschwerpunkt macht die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker selbstverständlich Sinn. Insofern begrüße ich grundsätzlich jede Ausbildungsinitiative eines Branchenteilnehmers.

Wer sich aber nach wie vor als Reifenfachhändler „im engeren Sinn“, also mit der absoluten Kernkompetenz im Bereich Räder/Reifen/-Service positionieren will, benötigt Spezialisten und wird, da diese wegen der oben skizzierten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt knapp werden, an der eigenen Ausbildung im Berufsbild des Reifenhandwerks nicht vorbeikommen. Bedingt durch die Tatsache, dass auch das Produkt Reifen als sicherheitsrelevantes Bauteil am Kfz immer komplexer wird – man denke z.B. an Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit wie etwa die anspruchsvolle Montage von UHP-Reifen und das Handling von Reifendruck-Kontrollsystemen -, sehen wir für gut ausgebildete Reifenspezialisten einen Bedarf auch in Zukunft.

NRZ: Am Rückgang der Schülerzahlen können Sie nicht viel ändern. Inwieweit meinen Sie, dass Flüchtlinge diese Lücke füllen können?

Peter Hülzer: Menschen mit Migrationshintergrund sollten aus unserer Sicht keine „Lücke füllen“, sondern als gleichwertige potenzielle Zielgruppe neben Schulabgängern und Studienabbrechern durchaus ernst genommen werden. Wer jemanden aus dieser Zielgruppe als Azubi gewinnen, zum Ausbildungsziel führen und danach in seinem Unternehmen langfristig als Fachkraft halten möchte, muss wahrscheinlich eine höhere „Anfangsinvestition“ leisten, d.h. zusätzliche bürokratische Hürden überwinden, Wissensdefizite (beispielsweise sprachlicher Natur) ausgleichen helfen, bereit sein, sich auf eventuelle Mentalitätsunterschiede – bedingt durch einen anderen kulturellen Hintergrund – einzulassen und damit umzugehen. Wenn das gelingt und die „Chemie stimmt“, kann das Ergebnis für beide Seiten großartig sein. Garantien dafür gibt es aber ebenso wenig wie bei Personalnachwuchs mit deutschen Wurzeln. Wie sagt man in Köln so schön: „Jeder Jeck ist anders“.

christine.schoenfeld@reifenpresse.de

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