BRV erkennt starke Entwicklung von Ganzjahresreifen an – „Fataler Fehler“

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Der Siegeszug von Ganzjahresreifen ist offensichtlich nicht zu stoppen. Dies zeigt sich vor allem auf dem deutschen Ersatzmarkt, wo dieses Jahr geschätzt bereits knapp 13 Prozent der Pkw-Reifenabsätze zum All-Season-Segment zählen, schrittweise aber auch in der Erstausrüstung, wo mittlerweile bereits sieben Prozent der Neuwagen mit den vermeintlichen Alleskönnern auf den Markt kommen, wie BBE Automotive jüngst auf der Reifenmesse in Essen im Rahmen einer Tagung erläuterte. Der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk (BRV) – seit jeher einer der exponiertesten Kritiker von Ganzjahresreifen und Interessenvertreter der stark vom Umrüstgeschäft abhängenden Händlerschaft – passt seinen offiziellen Standpunkt zum Thema nun auch den Tatsachen an und formuliert in einem aktuellen Statement an die NEUE REIFENZEITUNG, „man kann sich dem Thema augenscheinlich nicht mehr einfach so entziehen“. Der BRV bezeichnet es mittlerweile sogar als „fatalen Fehler“, wenn Reifenhändler sich dieser „rasanten Nachfrageentwicklung […] verschließen“ würden. In dieser Neuausrichtung kommen auch die Ergebnisse einer aktuellen Studie zum Ausdruck, die BBE Automotive für den BRV unter dem Titel „Der Markt für Pkw-Ersatzreifen in Deutschland 2015 – Erweiterte und aktualisierte Ausgabe der BRV-Studie Reifenfachhandel 2020“ verfasst hat, heißt es dazu vonseiten des Verbands, namentlich von dessen Geschäftsführer Hans-Jürgen Drechsler.

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Hier die BRV-Stellungnahme: „Auch wenn die internationale und nationale Normung, Typengenehmigung etc. und damit sozusagen die Gesetzgebung zu Reifen die Begriffe Ganzjahresreifen/Allwetterreifen nicht kennt – hier wird lediglich unterschieden in ‚normale’ Reifen, in unserem Sprachgebrauch Sommerreifen, und M+S-gekennzeichnete Reife (sukzessive in Verbindung mit dem Schneeflockensymbol), in unserem Sprachgebrauch Winterreifen –, kann man nicht umhin festzustellen, dass Ganzjahres-/Allwetterreifen (nach dem Gesetz Winterreifen) zwar in der etwas länger zurückliegenden Vergangenheit eher ein Nischendasein im Pkw-Reifenersatzgeschäft fristeten, aber dann in den vergangenen fünf Jahren eher einen zunehmenden Marktanteil darstellen. Diese Entwicklung ist wohl in erster Linie auf das bundesweite Ausbleiben von ‚richtigem Winterwetter’ und den damit verbundenen Straßenverhältnissen zurückzuführen. Darüber hinaus waren (und sind?) sich alle Reifenexperten einig, dass Ganzjahres-/Allwetterreifen eher für Klein- und Kompaktwagen mit relativ geringer Motorisierung und niedrigen Kilometerlaufleistungen im Jahr vornehmlich in Ballungsgebieten und Großstädten – also in der Regel für sogenannte Zweit- und Drittfahrzeuge – geeignet sind. So zumindest lautet bis dato die allgemeine Empfehlung.

Im Rahmen der BRV-/BBE-Studie ‚Reifenfachhandel 2020’ wurde aber bereits Mitte 2013 eine Entwicklung des Absatzes von Ganzjahres-/Allwetterreifen von zwei Millionen Stück 2011 (das entspricht vier Prozent Marktanteil am Pkw-Reifenersatzgeschäft – 49,7 Millionen Stück – 2011) auf vier Millionen Stück 2013 (das entspricht einem Marktanteil von neun Prozent am Pkw-Reifenersatzgeschäft – 43,1 Millionen Stück – 2013) analysiert und eine Entwicklung auf sechs Millionen Stück 2020 prognostiziert. Inwieweit diese Prognose gegebenenfalls aktualisiert werden muss, bleibt abzuwarten, der Anteil Ganzjahres-/Allwetterreifen lag 2015 bei etwas über fünf Millionen Stück und damit der Marktanteil am Pkw-Reifenersatzgeschäft bei zwölf Prozent, auch wenn die Zahlen dazu nach wie vor geschätzt werden müssen, da Ganzjahres-/Allwetterreifen nach wie vor statistisch unter Sommerreifen erfasst werden.

Was ist nun das Neue an der bereits vor zwei Jahren analysierten und kommunizierten Marktsituation im Pkw-Reifenersatzgeschäft?

  1. Das Pkw-Reifenersatzgeschäft in Deutschland ist insgesamt weiterhin rückläufig – von 2011 49,7 Millionen Stück auf 2015 40,8 Millionen Stück –; das sind minus 18 Prozent und diese Entwicklung hält augenscheinlich auch 2016 an. Zumindest im ersten Halbjahr liegen die Absätze von Pkw-Reifen gesamt (Sommer-, Winter- und Ganzjahresreifen) noch rund fünf Prozent unter dem Vorjahresniveau.
  2. Die Wetterentwicklung in den vergangenen fünf Jahren, in denen es de facto keinen Winter gab, hält möglichweise weiter an, seriöse Prognosen dazu gibt es aber leider nicht.
  3. Im vergangenen Jahr sind zwei weitere, eher maßgebliche Premiumreifenhersteller in das Segment Ganzjahres-/Allwetterreifen eingestiegen – auch wenn der eine von Sommerreifen mit Wintereigenschaften spricht – und haben damit marketingmäßig den Markt zum Teil regelrecht ‚befeuert’.

Insofern ist seitens des Verbrauchers, sowohl aus der Wetterentwicklung als auch der verstärkten Angebotstätigkeit und Werbung der Reifenhersteller heraus, mit einer verstärkten Nachfrage an Ganzjahres-/Allwetterreifen zu rechnen, das heißt, die Geschwindigkeit der analysierten und kommunizierten Entwicklung nimmt zu. Das Thema Reifendruckkontroll-Systeme (RDKS) spielt in diesem Zusammenhang nach unseren Erfahrungen noch keine Rolle. Ob allerdings die oben genannte rasante Marktanteilsentwicklung so anhalten wird, kann heute noch nicht seriös eingeschätzt werden, insbesondere was die mittel- und langfristige Prognose betrifft. Im ersten Halbjahr 2016 setzt sie sich allerdings mit einem Zuwachs von bis dato über 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erst einmal fort.

Wichtig erscheint uns an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass bis dato noch keine aussagefähigen und neutralen Testergebnisse – und hier nicht nur zu den Performance-Eigenschaften, sondern insbesondere auch zu den Laufleistungen – der allerorten kommunizierten ‚neuen Generation’ von Ganzjahres-/Allwetterreifen bzw. Sommerreifen mit Wintereigenschaften vorliegen.

Vor diesem Hintergrund ist es zur jetzigen Zeit noch etwas zu früh, um seitens des Reifenfachhandels den Verbraucher objektiv hinsichtlich seiner Pkw-Reifen – also Sommer- und Winterreifen oder Ganzjahres-/Allwetterreifen – zu beraten. Und hier insbesondere – neben den Performanceeigenschaften der ‚neuen Generation’ im Vergleich zu jeweils Sommer- und Winterreifen – zu den damit verbunden Kosten. Diese wiederum hängen maßgeblich vom Preis der Reifen und der mit den Reifen zu erzielenden Laufleistung zusammen.

Um es auf den Punkt zu bringen, haben wir bis dato noch keine aussagefähigen und neutralen Testergebnisse vorliegen, die unsere bisherige Empfehlung Sommerreifen im Sommer und Winterreifen im Winter – weder von den Performance-Eigenschaften der Ganzjahres-/Allwetterreifen im Vergleich zu den jeweiligen Spezialisten im Sommer und im Winter her noch von den Kosten her, das heißt Ganzjahres-/Allwetterreifen liegen von der Anschaffung her deutlich über und von der Laufleistung her deutlich unter denen der Spezialisten bzw. deren kombinierten Einsatz – ad absurdum führen würde oder auf deren Basis sie maßgeblich korrigiert werden müsste. Insofern bleibt es vorerst bei unserer Empfehlung, dass Ganzjahres-/Allwetterreifen eher für Klein- und Kompaktwagen mit relativ geringer Motorisierung und niedrigen Kilometerlaufleistungen im Jahr in vornehmlich Ballungsgebieten und Großstädten – also in der Regel so genannte Zweit- und Drittfahrzeuge – geeignet sind.

Allerdings kann und sollte sich kein Reifenfachhandelsbetrieb der unabhängig von den noch fehlenden objektiven Bewertungskriterien dargestellten rasanten Nachfrageentwicklung zu Ganzjahres-/Allwetterreifen verschließen bzw. versuchen, sich dieser zu entziehen. Das wäre unseres Erachtens ein fataler Fehler, auch wenn diese Entwicklung zum Teil deutliche Nachteile für den Reifenfachhandel bringt und bringen wird. Denn der daraus resultierende Wegfall von Dienstleistungserlösen (Montage-/Demontageerlöse; Verkaufserlöse von Reifen, Rädern/Felgen und Einlagerungserlöse) im Reifenersatzgeschäft auf der einen Seite und gegebenenfalls aber auch die negativen Auswirkungen auf den Kfz-Service (der Kunde ist nicht mehr zweimal im Jahr in der Werkstatt/auf der Bühne) müssen erst einmal kompensiert werden.

Und wer sich schon heute konzeptionell damit auseinandersetzt, ist gut beraten, zumal man den ‚Worst Case’ berücksichtigen muss, dass die Fahrzeughersteller zukünftig gegebenenfalls ihre Volumenmodelle erstausrüstungsseitig generell mit Ganzjahres-/Allwetterreifen ausstatten werden, dann reden wir nicht mehr von Marktanteilen von um die 25 Prozent, sondern von deutlich höheren!“ ab

 

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