Kommentar: So viele Reifenmarken – und teils so wenig Interesse daran

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Die Hamburger Kollegen müssen sich vertan haben – so die erste Reaktion beim Blick auf die vollständige Ergebnistabelle des jüngsten AutoBild-Winterreifentests, bei dem rund 50 Kandidaten ihr Können unter Beweis stellen mussten. Denn auf den hinteren Rängen finden sich nicht weniger als vier Modelle unterschiedlicher Marken, deren Produktbezeichnungen in variierender Reihenfolge jeweils die beiden Namensbestandteile „Ice-Plus“ und „S110“ enthalten. Ein Blick auf die auf den Internetseiten des Magazins abgebildeten Reifen ebenso wie eine Nachfrage bei den Testern bestätigt dann aber in der Tat, dass das Profil bei allen Vieren identisch ist.

Und das unabhängig davon, dass ansonsten Rotalla, Imperial, Tracmax und Minerva als Markenbeschriftung auf der Seitenwand zu finden ist. Insofern liegt irgendwie die Vermutung nahe, alle genannten Produkte werden beim selben Hersteller aus der Vulkanisationsform gehoben. Dabei lassen sich dank Internet schnell Indizien dafür finden, dass die chinesische Shandong Yongshen Rubber Group Co. Ltd. als Produzent hinter diesen Reifen stehen könnte.

Ob die von AutoBild für sie gemessenen – durchweg weit hinter dem mit 36,8 Metern diesbezüglich besten aller fast 50 Testkandidaten zurückliegenden – Nassbremswege zwischen den 49,8 Metern des diesbezüglich Besten der vier (Rotalla „S110 Ice-Plus“) und den 53,2 Metern des schlechtesten von ihnen (Minerva „Ice-Plus S110“) bzw. die daraus resultierende maximale Varianz von irgendwo zwischen sechs und sieben Prozent eventuell auf unterschiedliche Laufflächenmischungen zurückzuführen ist oder nicht vielleicht doch auf Schwankungen im Produktionsprozess, mag dahingestellt sein.

Denn eine viel spannendere Frage ist, ob sich eine solch künstlich aufgeblähte Markenvielfalt tatsächlich lohnt. Denn im Grunde genommen steckt in den vier genannten Reifen doch das, was bei Lebensmitteldiscountern unter dem Namen White-Label-Produkte läuft. Jeder Anbieter schreibt dabei „Ja“ als Markenname zum Beispiel auf seine Konservendosen oder „Gut & Billig“ und dergleichen mehr. In der Reifenbranche wird als Argument für derartige Eigen- bzw. Handelsmarken meist angeführt, dass man sich mit Produkten, bei denen auf eine entsprechend kreative Namensgebung zurückgegriffen wird, einem (Preis-)Vergleich mit dem Wettbewerber nebenan entziehen könne.

Ob dies immer so wie gedacht klappt, kann dabei allerdings durchaus hinterfragt werden. Zumal die Verbraucher in Zeiten des Internets zum einen heute sicherlich bei Weitem aufgeklärter in Bezug auf Reifen/Reifenmarken sind als dies vielleicht in früheren Jahren noch der Fall gewesen sein mag. Zum anderen kaufen offenbar selbst die sich im Internet tummelnden „Schnäppchenjäger“ nicht alle einfach den billigsten ihnen angebotenen Reifen – zumindest nicht in Deutschland.

Diesen Schluss legen jedenfalls Untersuchungen der Preisvergleichsplattform Idealo aus diesem Frühjahr (für Sommerreifen) sowie aus diesem Herbst (für Winterreifen) nahe. Ungeachtet einer durchschnittlichen Ersparnis bei deren Kauf von je nach Dimension bis zu 30 Prozent bei Sommerreifen und gar immerhin bis zu 55 Prozent bei Winterreifen würden deutsche Autofahrer chinesischen „Billigreifen“ dennoch mit großer Mehrheit die kalte Schulter zeigen, heißt es.

Bei Reifen für die wärmeren Monate des Jahres bevorzugen demnach fast 98 Prozent bei ihrer Produktsuche namhafte Hersteller/Marken, während sich Idealo zufolge bei Reifen für die kalte Jahreszeit immerhin noch beachtliche 97 Prozent für die zehn Marken Continental, Michelin, Dunlop, Goodyear, Nokian, Semperit, Hankook, Pirelli, Bridgestone und Fulda interessieren. Umgekehrt heißt es, dass sich nur ganze drei Prozent der Käufer für die zehn am meisten nachgefragten sogenannten „Billigmarken“ – Goodride, Westlake, Sunny, Maxxis, Wanli, Infinity, Linglong, Sonar, Runway und Durun Tyres – erwärmen können.

Ein entsprechendes Ranking der populärsten Reifenmarken von insgesamt 135 analysierten soll jedenfalls gezeigt haben, dass selbst Fulda als Nummer zehn mit 2,9 Prozent noch auf einen höheren Anteil kommt als alle betrachteten chinesischen Reifenmarken zusammen (2,3 Prozent). Dies mache deutlich, dass viele Reifenkäufer – folgert Idealo – „nicht nur auf den Kaufpreis achten, sondern sich bei der Auswahl von Qualitätskriterien wie Testergebnissen leiten lassen“.

Zumindest in Deutschland scheint also ein gewisser Markenstatus für einen Markterfolg ebenso unabdingbar zu sein wie ein halbwegs passables Abschneiden bei Reifentests. An beidem hapert es nicht nur den meisten „Billigmarken“ aus Fernost in der Regel (noch?), sondern vor allem wohl auch den oben erwähnten „White-Label-Produkten“. Ob sich daher ein diesbezügliches Engagement also letztlich wirklich auszahlt oder nicht doch vielmehr die Gefahr birgt, in der Markenflut unterzugehen, muss aber jeder Hersteller und (Groß-)Händler für sich selbst entscheiden.

Ungeachtet all dessen drängen freilich immer neue Reifenmarken auf den Markt: selbst durch Hersteller wie etwa Hankook mit seinen neuen Laufenn-Reifen oder Pirelli, wo man im Segment Pkw-Reifen lange an einer Einmarkenstrategie festgehalten hat, seit einiger Zeit nun aber meint, das eigene Angebot nach unten hin mit der Marke Formula abrunden zu müssen. Ob (noch) mehr Marken letztlich aber zwangsläufig wirklich (noch) mehr Erfolg mit sich bringen, bleibt abzuwarten. christian.marx@reifenpresse.de

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  1. […] sie ausführenden Automobilklubs, Zeitschriften oder Prüforganisationen sicher nie schaffen, alle am Markt erhältlichen Marken geschweige denn sämtliche Profile dabei abzudecken. Dafür ist die Vielfalt des Angebotes einfach […]

  2. […] (Marken-)Namen auf den Markt bringen, schien lange Zeit ein Ansatz zu sein, den man in erster Linie mit Fernostanbietern verband. Doch mittlerweile tun dies in Europa ansässige Unternehmen ebenso, wie selbst Michelin mit Blick […]

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