Kommentar: Reifenfachhandel auf Enterprise-Mission

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Während innerhalb der Branche mitunter noch recht kontrovers diskutiert wird, ob und was „ein bisschen Autoservice“ zusätzlich zum Engagement rund um Reifen wirklich (ein-)bringt bzw. ob der Weg – wie es der geschäftsführende Vorsitzende des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. (BRV) Peter Hülzer formuliert – „vom Spezialisten zum Generalisten“ tatsächlich hilfreich ist, geht die bei Roland Berger Strategy Consultants in Auftrag gegebene Studie „Geschäftsmodell Zukunft“ für den Reifenfachhandel teilweise sogar noch deutlich weiter. Zumindest einige der von der Unternehmensberatung zusammengetragenen Maßnahmenempfehlungen für die Branche, mit deren Hilfe sie (über-)lebensfähig bleiben soll, haben ein bisschen was von einer der zahlreichen Enterprise-Missionen von Captain James T. Kirk, seinem ersten Offizier Mr. Spock und Schiffsarzt Dr. Leonard McCoy alias „Pille“: Sie ähneln einem Aufbruch in neue, unerforschte Welten.

Insbesondere die von Roland Berger erarbeiteten Umsetzungsideen im „Profilierung und Positionierung“ benannten Bereich – eines von insgesamt vier durch die Unternehmensberatung identifizierten Segmenten, in denen der Reifenfachhandel sich bewegen sollte – muten mindestens ebenso futuristisch an wie die Handlung der von Gene Roddenberry konzipierten US-amerikanischen Science-Fiction-Fernsehserie aus den 1960er-Jahren. Um als fortschrittlich bzw. innovativ wahrgenommen zu werden, könnte der Reifenhandel seinen Kunden demnach Zusatzprodukte und -services anbieten wie beispielsweise Carsharing, kostenpflichtige Parkplätze auf dem eigenen Betriebsgelände, eine Stromtankstelle für Elektromobile oder sich als Paketstation/Paketannahmestelle verdingen.

Möglicherweise bin nur ich zu engstirnig oder eingefahren, um bei alldem keinerlei Bezug zum Reifengeschäft erkennen zu können. Außer vielleicht, dass Onlinekäufer ihre bei Delticom und Co. gekauften Gummis damit ja ganz bequem beim Reifenfachhändler Paketdienstleister um die Ecke abholen könnten. Wenn’s gut läuft, würde ein so noch mehr zum Erfüllungsgehilfen des Internetreifenhandels gewordener „Fachhändler“ bestenfalls gleich noch mit deren Montage beauftragt, oder er wünscht dem Kunden halt einfach nur eine gute Fahrt zu einem anderen Service-/Werkstattbetrieb. Genug der Ironie: Zwar ist durchaus nachvollziehbar, dass eine Zukunftsstudie auch einmal „über den Tellerrand“ hinausschauen kann, soll, muss – doch ist schwer vorstellbar, dass derartige (Zusatz-)Angebote dazu geeignet sind, einen in seinem Kerngeschäft schwächelnden Reifenfachbetrieb gesunden zu lassen.

Visionär geben sich die Autoren der Roland-Berger-Studie, die sie selbst besser beschrieben sehen als „Umsetzungsprojekt, das den im BRV organisierten Reifenfachhandelsunternehmen Hilfe zur Selbsthilfe geben soll“, unabhängig davon noch in einem weiteren Punkt. Denn sie bringen zudem einen Zusammenschluss bzw. ein gemeinsames Auftreten des Reifenhandels gegenüber seinen Lieferanten ins Gespräch analog beispielsweise zu den Partnerunternehmen der Rewe Group im Lebensmitteleinzelhandel. „Genau das könnte ein zukunftsweisender Ansatzpunkt sein, um die seit Jahren unter kontinuierlich schwindenden Marktanteilen leidende Branche zu alter Stärke zurückzuführen“, so die Strategieberater.

Bei alldem sind sich aber offenbar selbst bewusst, dass dies ein klein wenig zu viel der Zukunftsmusik sein könnte, wird dieser Aspekt deswegen wohl nur als ein „abschließendes Schmankerl“ der Studie tituliert. Zumal insbesondere offen gelassen wird, wie man die Branche zur Geschlossenheit bringen will, wo doch mitunter schon innerhalb einzelner Kooperationen der eine dem anderen nicht grün ist. Aber wer weiß – selbst wenn das Beamen bis heute noch nicht funktioniert, so sind etliche Dinge, die in den alten Science-Fiction-Filmen zu sehen waren und damals unvorstellbar schienen, inzwischen tatsächlich in etwas abgewandelter Form Realität geworden wie etwa in moderne Smartphones mit Rechenleistungen früherer Supercomputer integrierte Sprachassistenten belegen.

Nur wäre ein Reifenfachhändler zukünftig dann beispielsweise eben kein Reifenfachhändler mehr, sondern eine Art von Mobilitätsdienstleister, der auch Reifen verkauft, bzw. als Partner von DHL, Hermes, UPS etc. eine Art Logistiker mit angeschlossener Kfz-Werkstatt. Ob dies für den einen oder anderen eine Option ist, muss jeder selbst entscheiden. Aber es werden in der Studie ein paar konventionellere Umsetzungsideen etwa rund um das Flottengeschäft oder den Fahrzeugservice zumindest angesprochen. Zudem sollte sie schon mal grundsätzlich Denkanstöße für den Einzelnen liefern, sich mit seiner Zukunft bzw. der seines Betriebes auseinanderzusetzen. Um jedoch die Gedanken dazu zu beschreiben, dass alle gut 2.000 Reifenfachhandelsunternehmen in Deutschland mit ihren zusammen über 4.500 Betriebsstätten irgendwann einmal an einem Strick ziehen könnten, fällt einem unwillkürlich allerdings nur ein anderer Filmtitel ein: Mission Impossible. christian.marx@reifenpresse.de

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