Kommentar: Nur Beziehungsprobleme oder schon echte Ehekrise?

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Momentan sieht es so aus, als müsse sich der Reifenhandel auf größere Umwälzungen rund um das Geschäft mit den schwarzen Gummirundlingen einstellen. Gemeint damit sind jedoch nicht etwa Dinge wie Notlaufreifen/Runflats, Reifendruckkontrollsysteme (RDKS) oder andere technische Entwicklungen, die aufseiten der Produkte verstärkt Einzug in die Branche halten und mit entsprechender Kompetenz gehandelt werden müssen. Denn auf all dies lässt sich mithilfe von Schulungen/Fortbildungen bzw. dem richtigen Equipment in der Werkstatt einstellen. Was weitaus schwerer wiegen dürfte, sind demgegenüber die sich augenscheinlich sehr stark wandelnden Beziehungen zwischen den Reifenherstellern auf der einen und dem Reifenfachhandel auf der anderen Seite.

Bisher hat man im Rahmen von Händlertagungen, bei Zusammenkünften von Kooperationen oder ähnlichen Veranstaltungen vorrangig mit Beteiligung von Reifenhändlern die bei solchen Gelegenheiten mitunter zu Wort kommenden Vertreter der Reifenindustrie immer wieder betonen hören, welch hohen Stellenwert der Handel für sie doch habe. Von einer gelebten bzw. bevorzugten Partnerschaft mit dem Reifenfachhandel im deutschen Reifenersatzgeschäft war da oft genug die Rede. Und das wohl nicht ohne Grund – schon allein deshalb, weil er als bezogen auf seinen Marktanteil lange Zeit den mit einigem Abstand wichtigsten Distributionskanal hierzulande darstellte.

Gemäß der aktuellsten Marktstrukturanalyse des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. (BRV) kann der Reifenfachhandel die führende Position zwar nach wie vor (knapp) für sich reklamieren, doch alternative Vermarktungskanäle – vor allem das Onlinegeschäft sowie Autohäuser/Kfz-Werkstätten – graben ihm langsam, aber sicher immer mehr das Wasser ab. Das Ganze kann natürlich nicht ohne Einfluss auf das Beziehungsgeflecht zwischen Reifenhandel und -industrie bleiben, wobei es sich hier wohl um ein typisches Henne-Ei-Problem handelt: Ist die Konkurrenz des Reifenfachhandels nur deswegen erstarkt, weil die Industrie entgegen häufiger Treueschwüre ihm gegenüber „fremdgegangen“ ist, oder können die Hersteller aufgrund deren inzwischen gewachsener Marktbedeutung einfach nicht am Onlinekanal bzw. den Kfz-Betrieben als Abnehmer ihrer Produkte vorbei?

Nun wäre es natürlich irrig anzunehmen, die Industrie hätte nicht früher schon Geschäfte mit dem Wettbewerb des klassischen Reifenfachhandels gemacht. Welches Unternehmen könnte es sich schließlich erlauben, exklusiv auf einen Partner allein bzw. alles auf eine Karte zu setzen? Insofern wäre ein unbedingter Glaube an irgendwelche Treueschwüre und Beteuerungen der Industrie mehr als naiv zu nennen – gern gehört war/ist so etwas trotzdem. Neu ist allerdings, dass ein „Fremdgehen“ jetzt gar nicht mehr so „heimlich“ stattfindet wie früher, sondern sich an den Worten und am Handeln der Industrie direkt ablesen lässt, dass man den Reifenhandel dort inzwischen offensichtlich eben nicht mehr als bevorzugten Partner sieht. Er ist inzwischen augenscheinlich nur noch einer unter mehreren.

Denn mittlerweile ganz offen engagiert sich die Industrie nun etwa in Bezug auf das Onlinegeschäft mit Reifen: Michelin ist über seine bisherige Beteiligung an Tyredating/Popgom hinaus jetzt zusätzlich noch bei den B2B-Plattformen Allopneus (Frankreich) sowie Blackcircles (Großbritannien) eingestiegen, während Goodyear in den USA bereits mit einem eigenen Webshop an den Start geht und außerdem hierzulande mit Tirendo/Delticom zumindest in Sachen Werbung zusammenarbeitet bzw. den Internetreifenhändler dabei unterstützt. Das alles sind Dinge, die vor Kurzem noch undenkbar schienen oder zumindest für einen heftigen Aufschrei aufseiten des Handels geführt hätten.

Dass dem nicht so ist, passt irgendwie zu dem Eindruck, den der BRV bei den sogenannten Industriegesprächen Anfang des Jahres gewonnen hat. Laut der Branchenvertretung haben die Vertreter der Reifenhersteller dabei eine gewisse Distanz zum Reifenfachhandel und dessen Problemen angesichts solcher Herausforderungen wie zunehmender Konkurrenz durch alternative Vertriebskanäle, einer erhöhten Preistransparenz durch das Internet oder eine „unzureichende Anpassung der Produktionskapazitäten an die Nachfragerealität“ erkennen lassen. Die Reifenhersteller seien – so die Einschätzung des BRV – „nur sehr begrenzt bereit, ordnungspolitische Marktoptimierungen vorzunehmen und durchzusetzen“ bzw. setzten vielmehr darauf, dass sich der Reifenhandel selbst helfe.

Insofern hat die Beziehung zwischen Reifenindustrie auf der einen und dem Reifenfachhandel auf der anderen Seite irgendwie etwas von einer schon lange währenden Ehe: Man hat sich über die Jahre auseinandergelebt, teilt unter Umständen zwar noch Tisch und Bett, aber im Grunde genommen interessiert man sich nicht mehr so recht für seinen Partner – zumindest nicht mehr in demselben Maße wie zu Beginn der Zweisamkeit. Gegebenenfalls wird dann auch schon mal rechts und links des Weges geschaut, weil andere Eltern schließlich ebenfalls attraktive Töchter bzw. Söhne haben können, sodass die Gefahr des Fremdgehens bis hin zu einer endgültigen Trennung im Raum steht. Manchmal raufen sich beide Seiten aber dennoch wieder zusammen. Bleibt zu hoffen, dass Handel und Industrie diese Ausfahrt nicht schon verpasst haben. christian.marx@reifenpresse.de

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  1. […] norddeutschen Fußballklub ist es der Unternehmer Klaus-Michael Kühne, beim Reifenfachhandel ist (bzw. war?) es die Reifenindustrie – wird verlassen können, ist dabei jedoch nicht in Stein gemeißelt. […]

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