Aeolus Tyre ist ein „strategischer Reifenhersteller“ Chinas

Die Anzahl chinesischer Reifenhersteller ist bis zum heutigen Tage ungewöhnlich hoch, die der chinesischen Reifenmarken exorbitant hoch. Dass Konsolidierung vonnöten ist, liegt auf der Hand und wissen natürlich auch die in dieser Hinsicht Weichen stellenden Instanzen. Und das sind nun mal in der Volksrepublik China eher staatlich gelenkte Stellen und weniger die Kräfte des freien Marktes wie wir sie aus den westlichen Staaten kennen. Verlierer und Gewinner in diesem Konsolidierungsprozess kristallisieren sich heraus. Reifenhersteller, die vorgegebene Ziele verfehlen, bleiben auf der Strecke. Andere, die sich zunehmend auch im globalen Reifenmarkt etablieren können, steigen in der Gunst auf und werden zu strategisch bedeutsamen Unternehmen. Das heißt auch, dass sie auf staatliche Unterstützung in welcher Form auch immer vertrauen können – was gewiss für die Aeolus Tyre Co., Ltd. (Jiaozuo, Provinz Henan) gilt.

Wer mit Aeolus-Reifen zu tun hat, gehört zur Familie

Wer mit Aeolus-Reifen zu tun hat, gehört zur Familie

Bei einer Visite vor Ort ist der Name des großen Staatskonzerns ChemChina, Dachgesellschaft auch von Aeolus Tyre, allgegenwärtig. Hervorgegangen ist Aeolus (benannt nach dem griechischen Gott der Winde) aus der 1965 gegründeten „Henan Tyre Factory“ in Jiaozuo). Die „alte“ Fabrik heißt heute „Eastern Plant“ und liegt inmitten der auf etwa 3,5 Millionen Einwohner in den letzten Jahren angewachsenen Stadt. Eine Standortaufgabe irgendwann während der nächsten Jahre ist kein Schreckgespenst, andere – auch westliche – Industrieunternehmen haben ähnliche Verlagerungen in deutlich vor der jeweiligen chinesischen Stadt gelegene Industriegebiete auch schon absolvieren müssen, und zwar für unsere westlichen Verhältnisse, die von einem Wust von Auflagen begleitet werden, erstaunlich schmerzfrei.

Heute liest sich der Wandel von der alten „Henan“ – als Reifenmarke noch existent, aber fast völlig auf den heimischen Markt für OTR-Reifen diagonaler Bauart beschränkt – zur modernen Aeolus Ende des vergangenen Jahrhunderts in den firmeneigenen Darstellungen recht nonchalant. Ganz so „easy“ dürften jedenfalls die ersten Jahre für Aeolus nicht gewesen sein. Auf der Suche nach einem passenden Partner zur Eroberung des chinesischen Marktes war im Jahre 2004 die Firma Pirelli auf Aeolus aufmerksam geworden und hatte das ja noch junge Unternehmen als Partner auserkoren. Gemeinsame Pläne wurden geschmiedet – und nie realisiert. Schon im März 2005 machte sich Pirelli auf die Suche nach einem alternativen Partner in China. Ob Aeolus – seit 1998 auch als Exporteur von Reifen erstmals in Erscheinung getreten – noch nicht „reif“ für Pirelli war, die Italiener noch nicht „reif“ für den chinesischen Markt, die kulturellen Unterschiede schlicht zu groß, die jeweiligen Interessenlagen zu weit voneinander entfernt oder was sonst als Begründung herhalten mag – wer wollte das heute beurteilen und wenn ja kann sagen, dass er das frei von den Perspektiven eines der beiden Möchtegernpartner könnte oder frei von westlichen wie chinesischen Vorurteilen.

Wurzeln vor allem im Nfz-Reifenbereich

Sei’s drum: Für Aeolus Tyre begann in jenen Jahren eine neue Zeitrechnung. Noch als Henan Tyre aufgestiegen zum nationalen Marktführer bei Off-The-Road-Reifen diagonaler Bauart (OTR) – auch in der Erstausrüstung –, begann der Aufbruch in die Moderne. Zwar steht den heute jährlich bereits gefertigten etwa 100.000 OTR-Reifen radialer Bauart (ROTR) immer noch eine Jahresproduktion von ca. 700.000 EM-Diagonalreifen gegenüber, aber das verschiebt sich einerseits sukzessive hin zu ROTR-Reifen und ist andererseits dem nationalen Markt geschuldet, dem Fahrzeugbestand und nach wie vor auf Diagonalreifen in den Markt rollenden Fahrzeugen.

Der größte OTR-Reifen während eines Werksbesuches unlängst in der „Eastern Plant“ hatte einen Durchmesser von 51 Zoll, der größte produzierte ROTR-Reifen war mit 24.00R35 dimensioniert. Dieser Tage stoßen die ersten Reifen der Größe 27.00R49 die Tür zum exklusiven Kreis der Produzenten von modernen „Giant Tires“ radialer Bauart auf. Die Erfolgsgeschichte bei EM-Reifen hat Aeolus konsequent im Nutzfahrzeugbereich fortgeschrieben und im Jahre 2001 die ersten Lkw- und Bus-Radialreifen hergestellt, damals noch in der „Eastern Plant“, die bis zum heutigen Tage monatlich etwa 1.600 Tonnen Gummi verbraucht. Produziert wird in diesem innerstädtischen Werk im 3-Schicht-Betrieb sieben Tage die Woche, die Mitarbeiterzahl: ca. 6.000. Lkw-Diagonalreifen sind beim Werksdurchgang nicht zu sichten, es soll sie aber in der Produktion zur Befriedigung des heimischen Bedarfs noch geben, wie auf Nachfrage erklärt wird. Ohnehin müssen chinesische Lkw-Reifenhersteller den Spagat zwischen dem ja riesigen nationalen Markt mit teilweise in beispielsweise Europa (kaum noch) anzutreffenden Größen und denen für die Exportmärkte schaffen.

„Western Plant“

Modernstes Equipment in der „Western Plant“

Modernstes Equipment in der „Western Plant“

Die in den Jahren 2010/11/12 sukzessive aufgebaute Produktion in der „Western Plant“ – weniger als eine halbe Autostunde vom Traditionsstandort entfernt – ist „state of the art“, damit muss sich Aeolus hinter keiner westlichen Fabrik verstecken. Die Mitarbeiter führen denn auch mit Stolz durch die riesigen, noch gar nicht alle genutzten, aber allesamt gut klimatisierten neuen Hallen. Fast ehrfurchtsvoll wird die Ingenieurskunst westlicher Maschinenbauer – auch deutscher – gelobt an einigen Stellen im Produktionsprozess. An anderen Stellen stammt das Fertigungsequipment inzwischen aus China. Nicht nur chinesische Reifenhersteller wie Aeolus lernen schnell, auch chinesische Maschinenbauer sind längst auf Augenhöhe mit ihren westlichen Vorbildern.

Auf knapp sieben Millionen Lkw-/Busreifen beläuft sich die aktuelle Jahreskapazität, davon mehr als die Hälfte in der so modernen, auch darum passenderweise „Western Plant“ genannten Fabrik mit knapp 3.000 Arbeitskräften und die Aeolus-Gesamtmitarbeiterzahl auf 9.000 komplettierend. Die chinesischen Lkw- und Bushersteller wie Sinotruk, Foton, vor allem aber DFG (Dongfeng) setzen in der Erstausrüstung in hohem Maße auf ihren Zulieferer Aeolus Tyre. Der schreibt freilich längst am nächsten Kapitel seiner noch kurzen, aber bereits erstaunlich erfolgreichen Autobiografie. Und bietet sich großen Herstellern wie bislang beispielsweise Goodyear, Pirelli oder dem großen US-Distributeur TBC sowie zukünftig Nokian Tyres als Offtake-Partner an.

Durch Pragmatismus zum Erfolg

Die hell erleuchteten Produktionshallen sind klimatisiert

Die hell erleuchteten Produktionshallen sind klimatisiert

Vor gut zweieinhalb Jahren hat Aeolus Tyre den branchenerfahrenen Thomas Wohlgemuth (40) als General Manager West Europe engagiert. Auch solch eine Personalie ist eingebettet in die Suche nach Wegen, möglichst schnell zu den führenden globalen Reifenmarken aufzuschließen – auch im Pkw-Segment. Wang Feng, neben seiner Tätigkeit als General Manager von Aeolus Tyre auch Parteisekretär, zeigte sich in der Vergangenheit bei einem Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG höchst pragmatisch. Wenn man aufgrund einer wie auch immer gearteten Allianz mit einem Wettbewerber Fortschritte erzielen könne, warum nicht? Wenn man etwas brauche – Know-how oder Materialien – und das zu kaufen sei, dann kaufe man. Erst jüngst ist für die Spitze des Departments Forschung & Entwicklung ein langjährig branchenerfahrener Manager „eingekauft“ worden.

Bei dessen Plänen sind die Namen der Wettbewerber, mit denen man sich messen will, nicht wie so häufig mit Buchstaben A, B und C anonymisiert, er zeigt, wohin die Reise gehen soll: Die Premiumanbieter heißen Michelin und Continental, dass als weitere Namen Hankook und Kumho auftauchen, mag zu einem gewissen Teil auch der latenten wirtschaftlichen Rivalität zwischen Südkorea und China geschuldet sein, auf die man immer wieder in Unternehmen beider Länder trifft. Dass es der F&E-Teams in Regionen wie Europa oder Nordamerika vor Ort bedarf, um dort in die Phalanx der etablierten Reifenhersteller vorzudringen, ist im Unternehmen ebenfalls bekannt und steht auf der To-do-Liste des neuen F&E-Chefs.

Aktuell liegt die Produktionskapazität Sommer- und Winterreifen für Pkw, SUVs, Vans, kleine und mittlere Transporter im neuen Werk bei gut fünf Millionen Einheiten pro anno. Platz für Expansion ist reichlich vorhanden, geradezu beiläufig wird allerdings auch erwähnt, dass Aeolus wohl recht kurzfristig noch ein weiteres chinesisches Reifenwerk zugeschlagen bekomme, ein erneuter Beitrag zur Konsolidierung der heimischen Reifenindustrie. Aber erst einmal stehe die „Western Plant“ im Fokus, dem hochmodernen Auslieferungslager mit einer Kapazität von 200.000 Pkw-Reifen wird ein zweites gleichgroßes an die Seite gestellt.

So etwas zeigen nicht nur die lokalen Verantwortlichen gerne, auch Wohlgemuth muss nicht viel erklären, wenn er mit seinen europäischen Vertriebspartnern durchs Werk geht, denn die haben zumeist auch schon die eine oder andere Produktionsstätte von Reifen von innen gesehen und wissen einzuschätzen, was ihnen da gezeigt wird. Aeolus bzw. der General Manager Westeuropa haben inzwischen fast keine weißen Flecken mehr auf der europäischen Landkarte. Besuchergruppe auf Besuchergruppe wird durchs Werk geschleust, auch von Nfz-Partnern wie Heuver (Niederlande), Bohnenkamp (für die Nfz-Reifenmarke Windpower), Dynamic für Kanada oder der Alliance Tire Group (ATG). Aeolus ist ein verlässlicher Partner (was man in der Vergangenheit nicht von allen chinesischen Herstellern sagen konnte): 60 Prozent aller Umsätze werden mit Partnern generiert, zu denen eine mehr als achtjährige Geschäftsbeziehung besteht, 80 Prozent mit solchen, bei denen sie fünf Jahre und mehr währt. Typischerweise gibt es einen nationalen Generalimporteur, Deutschland ist mit den beiden Vertriebspartnern Reifen Straub (Bad Schussenried) und Reifen Müller (Morsbach und Freudenberg) die Ausnahme von der Regel.

Thomas Wohlgemuth, General Manager West Europe bei Aeolus Tyre

Thomas Wohlgemuth, General Manager West Europe bei Aeolus Tyre

Thomas Wohlgemuths (festes) Team ist klein, aber er kauft sich gezielt dort die Unterstützungsmodule beispielsweise im Marketing ein, wo sie ihm in besonderem Maße geeignet erscheinen. Der General Manager Westeuropa zeigt sich im Gespräch als im besten Sinne „geerdeter“ Reifenexperte, der weiß, dass manche Entwicklungen auch bei so einem dynamischen Unternehmen wie Aeolus Tyre ihre Zeit brauchen und die Bäume trotz berechtigter Zukunftshoffnungen nicht in den Himmel wachsen werden. Er weiß, dass die bereits angekündigte nächste Generation Pkw-Ganzjahresreifen für den europäischen Markt zugeschnitten sein muss bzw. Pkw-Winterreifen, die auch echte Winterperformance haben und nicht nur M+S auf der Seitenwand tragen, sondern auch mit nachgewiesener Berechtigung das 3-PMSF-Symbol. Ohne gute Produkte ist auch überragendes Marketing zum Scheitern verurteilt. Ohne gutes Marketing wird es auch für überragende Produktqualitäten keinen Markterfolg geben, hatte der Aeolus-CEO dieser Zeitschrift im Rahmen der „Reifen“ in Essen in den Block diktiert. Aufgrund allein schon der Firmenhistorie ist „Truck Racing“ ein Thema, national hat sich Aeolus als relativer Pkw-Novize des Rallyesports angenommen, global spielt mit dem „Volvo Ocean Race“ ein aufmerksamkeitsstarkes Event eine tragende Rolle im Marketingpaket.

Aber wofür steht Aeolus Tyre? Wer sich mit der Antwort begnügt „für ein chinesisches Produkt“, der wird über die Zuordnung als „Budget Brand“ nicht wesentlich hinauskommen. Das will Aeolus aber offensichtlich nicht und ist nicht mit dem eigenen Selbstverständnis vereinbar. Aeolus Tyre positioniert sich als erster Reifenhersteller Chinas nicht nur als „echt grünes Unternehmen“, sondern scheut auch den Vergleich mit internationalen Wettbewerbern in dieser Hinsicht nicht. Wobei das Thema „Umwelt“ als ganzheitlicher Ansatz verstanden wird: „Grün“ bezieht sich auf die Reifenmaterialien (wie zum Beispiel dem Ersatz endlich vorkommender Rohstoffe) wie den Produktionsprozess (bei dem Abfall vermieden und Energie gespart wird) als die Produkte (wie Gewichtsreduzierung und Rollwiderstandsoptimierung) gleichermaßen. „Green Tyre“ ist im Übrigen keine ausschließliche Maßnahme für Exportmärkte, die in solch einem Falle schnell als „Marketinggag“ abgetan werden könnte, sondern wird auch als national propagiert und damit deren Ernsthaftigkeit dokumentiert.

Gerade auch chinesische Unternehmen sind griffigen Slogans sehr zugetan. Das bekannte hauseigene Aeolus-Motto lautet „Technology meets Performance“. An anderer Stelle heißt es aber bezogen auf Pkw-Reifen und in Anlehnung an den eigenen Markennamen „Ride like the Wind“. Ein frischer Wind begleitet Aeolus Tyre und lässt vom Klischee chinesischer Unternehmen deutlich abweichen. Da wird auch mal nach unkonventionellen Wegen gesucht. So war Aeolus der erste chinesische Hersteller, der seine Reifencontainer nicht nur auf dem Seewege zu Reifen Straub, Reifen Müller und Co. in Europa transportierte, sondern per Bahn. Manch eine chinesische Reifenmarke ist bereits wieder in der Versenkung verschwunden in Europa, einige werden bleiben. Aeolus Tyre wird dazugehören. detlef.vogt@reifenpresse.de

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