Rosneft greift nach Pirelli – Alle Macht bleibt bei Marco Tronchetti Provera

Auf der Basis eines Aktienpreises von 12 Euro, woraus sich eine Marktkapitalisierung von etwas mehr als 5,8 Milliarden Euro errechnet, hat Pirelli-Chef Marco Tronchetti Provera den mehrheitlich in Staatsbesitz befindlichen russischen Energieriesen zum Kauf von rund 13 Prozent aller Pirelli-Aktien veranlassen können. Damit ist Rosneft größter Pirelli-Aktionär. Das mehr oder weniger uneingeschränkte Sagen hat allerdings, jedenfalls zumindest für die nächsten fünf Jahre, nach wie vor Tronchetti, obwohl sein Aktienanteil auf unter fünf Prozent gesunken ist, sobald der Pirelli/Rosneft-Deal in trockenen Tüchern ist. Derzeit bangen die einen darum, dass die durch die „Krim-Krise“ ausgelöste politische Großwetterlage dem Deal noch schaden könnte, während andererseits viele Marktbeobachter, vor allem aber auch Belegschaftsmitglieder ihre Hoffnung geradezu darauf setzen, dass die Russland angedrohten Sanktionen dem Deal im Wege stehen werden. Dieser Beitrag geht der Frage nach, wem Pirelli eigentlich gehört, wer bei Pirelli das Sagen hat, und wie es denn möglich ist, mit relativ wenig Aktien den Pirelli-Konzern kontrollieren zu können.

Ein Blick in die einschlägigen Börsendienste verführt zu der Annahme, Marco Tronchetti Provera –intern stets nur als MTP geführt – verfüge über rund 26 Prozent der Aktien und damit über eine Sperrminorität. Die weiteren Aktionäre, vorwiegend Banken, Versicherungen und sonstige institutionelle Investoren, sind an Dividende interessiert und lassen ihn beinahe nach Gutdünken schalten und walten. So wie bei ThyssenKrupp nichts ohne oder gar gegen den Übervater Berthold Beitz ging, dessen Krupp-Stiftung „nur“ 25,03 Prozent hielt, ist es auch bei Pirelli. Konnte man am Beispiel ThyssenKrupp lernen, dass ein Anteil von 25,01 Prozent reicht, einen Konzern zu kontrollieren, macht MTP vor, dass ihm der Zugriff auf 25,01 Prozent genügt, er diese aber nicht besitzen muss, um uneingeschränkter Herrscher zu sein und zu bleiben.

Die MTP zuzurechnende Beteiligungsgesellschaft Camfin/Lauro hält 26 Prozent der Konzernaktien. Somit würde er allein dank dieser Beteiligung über ein Vermögen von derzeit rund 1,5 Milliarden Euro verfügen. So scheint es zu sein. Zum Schluss dieses Artikels wird jedoch deutlich geworden sein, dass MTPs Vermögen aus der Camfin-Beteiligung dahingeschmolzen ist, er seinen dominierenden Einfluss aber dennoch halten konnte. Und darauf kommt es an. MTP will die Macht nicht abgeben, er will CEO bleiben, denn als CEO und Chairman des Pirelli-Konzerns verdient er vermutlich direkt und indirekt mehr als er als Aktionär einstreichen könnte. Nicht das allein zählt, sondern als Chef eines bedeutenden Konzerns mit großem Namen hat MTP auch außerhalb der Finanz- und Businesswelt großen Einfluss. Damit das alles so bleibt, haben MTP und seine Freunde ein ausgeklügeltes System erkoren, das schwer zu verstehen und somit nicht auf den ersten Blick zu durchschauen ist, das wohl auch nur in Italien so funktionieren kann wie es denn funktioniert. Es ermöglicht ihnen, vereinfacht gesagt, Freunde in wichtige Positionen zu bringen, zum Beispiel in den Aufsichtsrat, ohne dass es eines Umweges über die Börse bedarf.

Beginnen wir von vorn. MTP besitzt 52 Prozent die Firma MTP Partecipazioni,hier als MTPP geführt. Weitere Minderheitsgesellschafter sind Rottapharm und Sigieri Diaz.

Die MTTP wiederum besitzt 86 Prozent an der industriellen Beteiligungsgesellschaft GPI. Minderheitsgesellschafter sind Alberto Pirelli und Massimo Moratti, beide praktischerweise im Pirelli-Board vertreten.

GPI wiederum ist mit 52 Prozent an Nuove Partecipazioni (NP) mit den Minderheitsgesellschaftern Acutis und Vittoria Assicurazioni beteiligt, deren Abgesandte ebenfalls, auch nicht unpraktisch, einen Platz im Pirelli-Board gefunden haben.

Die hier beschriebenen Beteiligungsgesellschaften lassen wenig Geschäftsaktivitäten erkennen. Zwar müssen sie wohl irgendetwas tun, damit sie nicht völlig als „leere Boxen“ deklariert werden können.

Am 17. März nun haben NP und die Finanzinstitute UniCredit und Intesa San Paolo die Beteiligungsgesellschaft NEWCO gegründet, an dieser sind die beiden Finanzinstitute mit jeweils 10 Prozent und NP mit 80 Prozent beteiligt.

Die NEWCO wiederum übernimmt 50 Prozent von Camfin/Lauro. Zur Erinnerung: Das ist die Beteiligungsgesellschaft, die 26 Prozent des Aktienkapitals des Pirelli-Konzerns hält. Die restlichen 50 Prozent kauft der russische Energieriese Rosneft. Somit ist der aktuelle Anteil von MTP durchgerechnet auf rund fünf Prozent geschmolzen. Die Financial Times hat dem Pirelli/Rosneft-Deal nur wenige Zeilen gewidmet, die hier beschriebene Situation aber wunderschön so zusammengefasst: „Marco Tronchetti Provera besitzt 52 Prozent einer Firma, die 80 Prozent einer anderen Firma besitzt, die ihrerseits 50 Prozent einer Firma besitzt, die 26 Prozent des Pirelli-Aktienkapitals besitzt“ und er selbst somit rund fünf Prozent aller Pirelli-Aktien.

Im Vorjahr war es zu einer Auseinandersetzung der Familien Tronchetti Provera und der ebenfalls an Camfin/Lauro beteiligten Malacalza-Familie bekommen. Dem Vernehmen nach wollte Malacalza Schulden bei der Camfin im Wege einer Kapitalerhöhung abbauen. Diesen Weg konnte (oder wollte) MTP nicht mitgehen, sein Einfluss und seine Vorherrschaft gerieten in Gefahr und es kam zu einem Showdown. Die Malacalza-Familie verkaufte ihren Anteil an eine Private-Equity-Gesellschaft, der es nun dank Rosneft ermöglicht wird, sich mit einem hervorragenden Aufschlag von annähernd 50 Prozent wieder zu verabschieden. Damit ist MTP kurzfristig orientierte Investoren los. Und nicht nur das. Hinsichtlich Führung bleibt alles wie es ist. Die Geschäfte werden unverändert auch während der nächsten fünf Jahre von dem derzeit 66 Jahre alten MTP geführt. Sollten Kapitalerhöhungen geplant werden, Akquisitionen oder Verkäufe von Firmenteilen auf der Agenda stehen, so werde man sich untereinander absprechen, heißt es in einer Presseerklärung der Nuove Partecipazioni (NP). Noch einmal zur Klarstellung: Nun besitzt MTP gerade mal noch fünf Prozent der Pirelli-Aktien und hat von seinem überragenden Einfluss nichts eingebüßt. Letztlich wird der Board nunmehr dominiert von der NEWCO (also von Tronchetti mit seinen Freunden) sowie von Rosneft. Und die wiederum haben sich vertraglich zur Zusammenarbeit verpflichtet und Tronchetti mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet. Wie immer man es drehen und wenden mag. Die „Minderheitsaktionäre“ halten zwar 74 Prozent aller Aktien, zu melden haben sie nichts.

Für die von Camfin/Lauro erworbenen Aktien bezahlt Rosneft 500 Millionen Euro und übernimmt 250 Millionen Euro Schulden der Camfin. Es ist nicht bekannt, ob die Camfin bzw. nun die NEWCO damit schuldenfrei ist. Vorher war sie es jedenfalls nicht.

Warum kauft Rosneft 13 Prozent der Pirelli-Aktien ? Die einfachste Erklärung wäre die, dass ein riesiger Staatskonzern im Geld schwimmt und dafür nach Anlagemöglichkeiten sucht. Warum dann nicht eine Beteiligung an Pirelli? Der Konzern ist gut unterwegs und derzeit auf der ganzen Welt ziemlich sorgenfrei; Ausnahme ausgerechnet Russland. Hier sind Baustellen zu schließen und das wird noch dauern.

Doch ein erster und oberflächlicher Blick auf Rosneft zeigt, dass dieser Konzern zwar groß und mächtig ist, aber eben nicht in Geld schwimmt. Eher ist das Gegenteil der Fall. Somit ist von „industrieller Logik“ die Rede. So soll Rosneft über sein Tankstellennetz beim Verkauf der Pirelli-Reifen helfen, man wolle sich im Feld von Forschung und Entwicklung austauschen insbesondere in Bezug auf Materialien, die zur Herstellung von Reifen benötigt werden.

Wie soll das Argument „industrielle Logik“ verfangen? Seit wann muss ein über Tausende von Tankstellen verfügender Ölkonzern sich an seinen Lieferanten erst beteiligen, bevor er beliefert wird? Und die Super-High-Performance-Reifen von Pirelli werden in Russland vermutlich wie geschnitten Brot über den Ladentisch gehen.

Hält kaum noch Anteile, aber hat auf allem bei Pirelli die Hand drauf: Marco Tronchetti Provera

Hält kaum noch Anteile, aber hat auf allem bei Pirelli die Hand drauf: Marco Tronchetti Provera

Marco Tronchetti Provera steht seit 1992 an der Spitze des Pirelli-Konzerns. Er ist ohne Frage ein ausgefuchstes Finanzgenie mit exzellenten Verbindungen innerhalb der Finanzwelt, der es immer wieder verstanden hat, Banken auf seine Seite zu ziehen. Fairerweise muss man sagen, dass er es nicht immer leicht hatte. Er übernahm die Führung unmittelbar nach dem gescheiterten Übernahmeversuch der Continental, der Pirelli an den Rand des Zusammenbruchs getrieben hat. Die Konzerneinheiten Diversified Products und Cables mussten verkauft werden. Da jeder Interessent die durchaus verzweifelte Lage der Italiener erkennen konnte, waren die Verkaufserlöse relativ mäßig.  Später dann wendete sich das Blatt. In Zeiten der Internet-Blase konnte Pirelli Milliarden Euro einsammeln, Tronchetti leistete sich einen Ausflug in die Kommunikationswelt, kam aber mit Telecom nicht weiter. Auch das Immobiliengeschäft erfüllte die Erwartungen nicht. Seit einigen Jahren konzentriert sich Pirelli wieder ganz auf Reifen. Und was den Pirelli-Konzern anbelangt, so kann man ihm eine sehr positive Entwicklung nicht bestreiten. Vor 20 Jahren irgendwie „pleite“ und heute ein Börsenwert in Richtung sechs Milliarden Euro.

Nach Meinung vieler Branchenmanager steht die große Konsolidierungsrunde innerhalb der Reifenindustrie noch an. Mit der derzeitigen Struktur ist Pirelli als Übernahmeobjekt uneinnehmbar. Allerdings gilt es ebenso zu bedenken, dass Pirelli keine aktive Rolle spielen kann, weil eine Übernahme eines Konkurrenten die Machtverhältnisse in Mailand sprengen würde. Das aber ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht Tronchettis Ziel. klaus.haddenbrock@reifenpresse.de

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  1. […] Hersteller 2011 zwei Pkw-Reifenfabriken (Kirow und Woronesch) von Sibur übernommen hatte und seit Anfang dieses Jahres den größten russischen Ölkonzern Rosneft zum größten Einzelaktionär …, kommt nun auch die geplante Errichtung des eigenen Vertriebsnetzwerks in Russland in Gang. Wie der […]

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