BRV-Mitgliederversammlung zeigt Herausforderungen für den Handel auf

Für Mitte Juni hatte der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseurhandwerk e.V. (BRV) zu seiner alljährlichen Mitgliederversammlung eingeladen. Wieder einmal ging es dabei hinaus aufs Wasser – genauer gesagt: auf den Bodensee. Dafür, dass die rund 200 nach Konstanz angereisten Teilnehmer nicht untergehen, sorgte das als Schauplatz der Zusammenkunft ausgewählte Tagungsschiff „Sonnenkönigin“. Dafür, dass der Reifenhandel angesichts der Herausforderungen des Marktes und auf technologischer Seite nicht den Boden unter den Füßen verliert, fanden sich auf der BRV-Tagesordnung hauptsächlich solche Programmpunkte, welche die Zukunft bzw. das Überleben des Reifenfachhandels betreffen angesichts einer immer stärker werden Konkurrenz durch Vertriebskanäle wie den Onlinehandel oder das Autohaus bzw. Kfz-Werkstätten.

Kein Blick in die Zukunft kommt ohne eine Bestandsaufnahme bezüglich des Status quo bzw. eine Rückschau auf die jüngere Vergangenheit aus. Peter Hülzer als geschäftsführender BRV-Vorsitzender konnte den an den Bodensee gereisten Verbandsmitgliedern bei seiner Berichterstattung zur Lage der Branche freilich nicht viel Neues erzählen: Dass 2012 im deutschen Reifenersatzgeschäft Opens external link in new windowalles andere als ein gutes Geschäftsjahr gewesen ist, dürfte hinlänglich bekannt sein, ebenso wie der – wie er es formuliert – Opens external link in new window„grottenschlechte Start“ in das Jahr 2013 kein Geheimnis ist. „Ich habe deshalb meine persönliche Erwartung an das Geschäftsjahr 2013 von ‚verhalten optimistisch’ in ‚abwartend skeptisch’ modifiziert“, sagt Hülzer. Der BRV will nun aber zunächst einmal die Ergebnisse des Betriebsvergleiches für den Zeitraum Januar bis Mai dieses Jahres abwarten und erst dann gegebenenfalls seine Jahresprognose anpassen.

Ungeachtet der eher unbefriedigenden Ausgangssituation müsse sich der Reifenfachhandel jedoch aus der „vielerorts feststellbaren Schockstarre befreien und die Herausforderungen als solche auch begreifen und annehmen“. Gemeint damit ist beispielsweise, dass nach Ansicht des BRV der Anteil der hinsichtlich der (De-)Montage von Runflat-/UHP-Reifen „WdK-zertifizierten Reifenfachhändler“ unter den Mitgliedsunternehmen immer noch viel niedrig ist. Nunmehr rund zweieinhalb nach Opens external link in new windowStart einer entsprechenden BRV-Kampagne wird die Quote mit gerade einmal knapp 40 Prozent beziffert, dabei sei diese Zusatzqualifikation ja geradezu ein Muss für alle, die sich dem qualifizierten Reifenfachhandel zurechnen. „Ziel (leider) nicht erreicht“, meint Hülzer unter Verweis darauf, dass im Gegensatz dazu große Automobilhersteller „emsig dabei sind, ihre Markenwerkstattnetze für die UHP-/Runflat-Montage fit zu machen“.

Auch dass so mancher Reifenhändler das Reifenlabel nicht als Chance zu nutzen weiß, um mit seinen Kunden in ein vertiefendes (Beratungs-)Gespräch einzusteigen, kann der BRV-Vorsitzende nicht nachvollziehen. Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Reifenfachhandel häufig den Entwicklungen hinterherläuft bzw. nicht schnell und flexibel genug auf eine sich rasant verändernde Geschäftswelt reagiert, ist für ihn das Thema Reifendruckkontrollsysteme (RDKS). Die seit 1. November vergangenen Jahres bestehende Pflicht zur Ausrüstung neu homologierter Fahrzeuge der Klasse M1 mit solchen Systemen sowie die zwei Jahre später folgende obligatorische Ausrüstung aller Fahrzeuge dieser Gattung wird nach überwiegender Branchenmeinung schließlich Opens external link in new windowmaßgeblichen Einfluss auf den Reifenservice haben, vor allem im Zusammenhang mit direkt messenden, also sensorbasierten Systemen. Insofern sei es schwerlich nachvollziehbar, wenn dem BRV von entsprechenden Schulungseinrichtungen berichtet wird, dass das Interesse an Trainings seitens des Reifenfachhandels sei anders als etwa bei Vertrags- und freien Werkstätten lediglich verhalten.

In der Tat: Bei der aktuellen Frage des Monats auf den Webseiten der NEUE REIFENZEITUNG, bei der wir danach fragen, ob RDKS eher als Chance oder Risiko für den qualifizierten Reifenfachhandel gesehen werden, geben fast 60 Prozent der Umfrageteilnehmer an, durch die RDKS-Einführung ändere sich nichts, und der Handel könne gelassen abwarten. Das kann auch BRV-Geschäftsführer Hans-Jürgen Drechsler nicht nachvollziehen, der im Rahmen der Mitgliederversammlung auf dem Bodensee die (gesetzgeberischen/technischen) Grundlagen zu RDKS erläuterte, während BRV-Vorstandsmitglied Marc Johann aufzeigte, wie sich der erhöhte Zeitbedarf für den Reifenservice an mit direkten Systemen ausgerüsteten Fahrzeugen betriebswirtschaftlich auswirkt. „Deshalb ist es schon heute für den Reifenservicebetrieb unbedingt notwendig, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen“, meinen Hülzer wie Drechsler.

Dafür böten sich zum Beispiel die Sommerferienmonate an, die Hülzer angesichts des ausklingenden Sommerreifengeschäftes und der noch nicht beginnenden Winterumrüstung als „Stand-by-Phase“ im Reifenfachhandel bezeichnet. Diese Begrifflichkeit verwendet er übrigens auch im Zusammenhang mit der doch eher Opens external link in new windowgebremsten Dynamik von Teilen des Handels, wenn es darum geht, die zukünftigen Herausforderungen anzugehen. Und gerade das bereitet dem BRV augenscheinlich die größten Sorgen, zumal Vertriebskanäle wie das Autohaus bzw. die Kfz-Werkstatt oder das Onlinereifengeschäft ihm mehr und mehr die Butter vom Brot zu nehmen drohen. Gewissermaßen als eine Art Gegenmaßnahme hat der Branchenverband deshalb die Studie „Reifenfachhandel 2020“ erarbeiten lassen.

Darin werden verschieden Szenarien aufgezeigt, wie sich der Marktanteil des Reifenfachhandels in den kommenden Jahren entwickeln könnte. Ohne Gegenmaßnahmen haben alle eines gemeinsam: Der Reifenfachhandel würde an Gewicht verlieren und müsste wohl oder übel seine führende Position (2012: 44 Prozent) an das Autohaus und Kfz-Werkstätten abtreten, die laut BRV zusammengenommen im vergangenen Jahr einen Marktanteil von 37 Prozent am deutschen Reifenersatzgeschäft für sich reklamierten, während das Onlinegeschäft bislang bei knapp acht Prozent gesehen wird. Je nach Szenario könnte der Fachhandel der Studie zufolge im schlimmsten Fall in den kommenden sieben Jahren bis zu zehn Prozentpunkte verlieren, welche die konkurrierenden Vertriebskanäle entsprechend hinzugewinnen. Dann kämen die Werkstätten/Autohäuser 2020 auf irgendwo zwischen 38 und 43 Prozent und der B2C-Onlinereifehandel auf Werte von 15 bis 22 Prozent.

Angesichts dessen sei „Kontern“ dringend geboten, wie Wolfgang Alfs, Geschäftsführer der neben der BBE Automotive GmbH an der Erstellung der Studie beteiligten ABH Market Research GmbH, es bei der detaillierten Vorstellung von deren Ergebnissen es formuliert. Marktanteilsentwicklungen seien nicht naturgegeben, sondern der Reifenfachhandel könne bzw. müsse „mit Energie, Konsequenz und Ideen“ dagegen arbeiten. „Und vor allem: Starten Sie jetzt“, rät er dem Reifenfachhandel. Es gehe darum, es dem „Gegner“ so schwer wie möglich zu machen. Laut Hülzer steht die Branche jedenfalls vor nichts weniger als einer Zeitenwende. „So, wie viele glauben, das Geschäft weiterbetreiben zu können, wird es nicht mehr funktionieren“, ist der Verbandschef überzeugt. Wer „Schaftelhuberei“ vor Professionalität setze, werde zukünftig keine Chancen mehr haben, sagt er.

Als Unterstützung liefert die Studie „Reifenfachhandel 2020“ ganz konkrete Handlungsempfehlungen. Ganz am Anfang sollte demnach eine ungeschminkte Selbsteinschätzung bzw. Bestandsaufnahme stehen: Hier bereitet der BRV bereits einen Onlinecheck vor, der ab 31. Juli zugänglich sein soll. Des Weiteren geht es dann – unterstützt durch ganz konkrete Hilfestellungen bzw. Fragestellungen, an denen sich der Handel „entlanghangeln“ kann – unter anderem um solche Dinge wie beispielsweise die Optimierung des eigenen Kompetenzprofils, der Bühnenbelegung und der Durchlaufzeit, eine verbesserte Ausschöpfung des Potenzials im Einzuggebiet des eigenen Betriebs oder dessen bessere Auffindbarkeit im Internet. Denn eines ist für Hülzer augenscheinlich klar: Die Onlinevermarktung von Reifen wird sich in Zukunft so oder so nicht mehr vernachlässigen lassen. Umso wichtiger sei es, eine überzeugende Antwort darauf zu finden, wie der Reifenhandel der „Herausforderung B2C-Portale“ begegnen will.

Diesbezüglich spricht sich Hülzer bzw. der BRV insgesamt für eine völlige Neubestimmung der B2C-Poltik durch den Reifenfachhandel aus. „Bisher scheint es so zu sein, dass kaum ein vom Einzelhandel bzw. seinen Kooperations- und Handelssystemzentralen in Eigenregie betriebenes B2C-Portal den gewünschten, durchschlagenden Erfolg hat“, wird dieser Ansatz einerseits von ihm begründet. Andererseits sei zum Beispiel auch eine Listung als Montagepartner bei den einschlägigen großen Portalen nicht sonderlich zielführend, weil der qualifizierte Reifenfachhandel seiner Meinung nach dabei „im Nirwana der Montagepartner, deren Qualität zum Teil zweifelhaft ist, untergeht“. Als Alternative hat der geschäftsführende BRV-Vorsitzende ein eigenes, vom Einzelhandel selbst bestimmtes B2C-Portal ins Gespräch gebracht. Hülzer hat angekündigt, Branchenbeteiligte für die Idee gewinnen zu wollen.

Alles in allem also jede Menge „Hausaufgaben“ für den Reifenfachhandel – zumindest dann, wenn er als Gesamtheit seine Position im Markt halten bzw. festigen und nicht gegenüber konkurrierenden Vertriebskanälen nicht weiter an Boden verlieren will. Seitens des BRV glaubt man jedenfalls, dass die Branche noch die Chance hat, zu neuer Stärke zurückzufinden. „Wenn es uns gelingt, unsere Beratungs- und Servicequalität zu optimieren, unseren noch bestehenden Vorsprung in reifen-/rädertechnologischen Themenfeldern auszubauen, unser Profil durch ein Mehr an Marketing zum Endverbraucher zu schärfen, zusätzliche Umsatz-/Ertragsfelder ‚rund ums Automobil’ zu erschließen, den Kunden dort ‚abzuholen’, wo er glaubt, seinen Bedarf decken zu müssen, eine betriebswirtschaftlich vernünftige Ein- und Verkaufspolitik umzusetzen sowie dem Faktor ‚Humankapital’ beispielsweise durch Personalentwicklungspläne mehr Bedeutung beizumessen und damit die Folgen des demografischen Wandels abzumildern, dann sehe ich unsere Branche, vor sie hingehört: nämlich vorne“, so Hülzer. Bleibt zu hoffen, dass die Rufe nicht nur gehört werden, sondern das Gehörte jeden Einzelnen auch dazu veranlasst, die nötigen Schritte einzuleiten. Schließlich – so heißt es – hat der Reifenfachhandel ja bisher schon weniger ein Erkenntnis- als vielmehr ein Umsetzungsproblem gehabt. christian.marx@reifenpresse.de

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