Hayes Lemmerz unter dem Dach von Maxion Wheels

Das Leiden hat ein Ende. Das sagt man im Allgemeinen nach einem Exitus, in diesem Falle spricht aber alles dafür, dass eine Firma und ihre Mitarbeiter jetzt voller Zuversicht in eine Zukunft blicken können, die nicht mehr nur voller Herausforderungen, sondern auch voller Chancen ist. Wenn denn die lateinische Redewendung „Per aspera ad astra“ – die sich in etwa mit dem Beschreiten eines mühseligen Weges übersetzen lässt, der zu einem guten Ziel führt – irgendwo passend sein könnte, dann hier.

Denn der größte Räderhersteller der Welt ist – nachdem er sich in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und der Fusion von Kelsey Hayes mit dem deutschen Traditionsunternehmen Lemmerz zu Hayes Lemmerz in ungeahnte Sphären aufschwingen konnte – im letzten Jahrzehnt gleich zweimal durch ein ganz tiefes und steiniges Tal gegangen: Das heißt im Amerikanischen „Chapter Eleven“ und ist nichts anderes als Insolvenz. Allerdings immerhin mit einem Hoffnungsschimmer: Denn im Gegensatz zu „Chapter Seven“ (führt zur Liquidation) besteht hier die Chance, durch Restrukturierung weiterhin im Markt bleiben zu können und wiederaufzustehen.

Müßig zu diskutieren, ob Hayes Lemmerz nicht „sterben“ durfte, weil das Unternehmen zu groß war und die weltweite Fahrzeugindustrie nicht auf ihren größten Räderlieferanten verzichten konnte. Zeitverschwendung, eine Diskussion darüber vom Zaun brechen zu wollen, dass es ungerecht im Wettbewerb ist, wenn sich ein Anbieter dank „Chapter Eleven“ seiner Schulden entledigt (was bei der ersten Insolvenz nicht nachhaltig, bei der zweiten aber gut gelang) und sich die anderen Anbieter all die Zeit redlich um wirtschaftlichen Erfolg bemüht haben: Die Dinge sind wie sie sind. Für die in Maxion Wheels aufgegangene Hayes Lemmerz ergeben sich vielversprechende Chancen im weltweiten Rädermarkt, und die Wettbewerber täten gut daran, Maxion Wheels als einen sehr leistungsfähigen Wettbewerber auf die Rechnung zu nehmen, nachdem sie zuvor klammheimlich von der Schwäche des vormaligen Spielers profitiert hatten.

Als im Herbst letzten Jahres von der brasilianischen Iochpe-Maxion S.A. rund 725 Millionen US-Dollar für Hayes Lemmerz geboten wurden, hatten die branchenfremden Investoren endlich die Möglichkeit auszusteigen und konnte ein branchenerfahrener Wettbewerber einsteigen. Bereits in den Jahren zuvor hatte das brasilianische Familienunternehmen in der Räderbranche auf sich aufmerksam gemacht, hatte der nationale Lkw-Stahlradspezialist doch von ArvinMeritor dessen Pkw-Stahlrädersparte mit zwei vielgelobten Fabriken in Mexiko und Brasilien sowie deren in der Zunft der Räderhersteller sehr traditionsbehafteten Markennamen Fumagalli abgekauft. Und mit einer weiteren Akquisition – ebenfalls bei Pkw-Stahlrädern – hatte Iochpe-Maxion gewissermaßen „Marktbereinigung“ betrieben.

Der Deal mit Hayes Lemmerz war zum 1. Februar dieses Jahres in trockenen Tüchern und die Rädersparte des brasilianischen Konzerns bekam mit Maxion Wheels einen Namen. Maxion war schon zuvor in Südamerika eine bekannte Rädermarke und avancierte jetzt zur „Dachmarke“ der neuformierten Räderdivision. Auf die in anderen Regionen der Welt ebenfalls sehr bekannten Marken Fumagalli und Hayes Lemmerz mochte man nicht verzichten, denn „die gehören uns ja“, so Marc Hendrickx, bei der vormaligen Hayes Lemmerz als Vice President für Verkauf, Marketing und Geschäftsentwicklung verantwortlich und bei der jetzigen Maxion Wheels auch. Die neuen Gesellschafter und das neue Spitzenmanagement in Brasilien seien sehr traditionsbewusst und respektierten daher die beiden Marken Fumagalli und Hayes Lemmerz in hohem Maße. Außerdem: Den Erstausrüstungskunden seien fürs tägliche Geschäft die Namen einerseits ziemlich egal, andererseits würden sogar noch heute nicht selten die Namen Lemmerz oder Kelsey Hayes von Kunden genutzt, obwohl die Fusion dieser beiden Unternehmen doch nun schon mehr als anderthalb Jahrzehnte zurückliegt.

Im Gegensatz zu allen anderen Räderherstellern war schon die alte Firma Hayes Lemmerz viel internationaler aufgestellt, unter dem neuen (100-Prozent-)Gesellschafter Iochpe-Maxion ist als Standort jetzt auch noch China mit einem Nutzfahrzeugstahlräderwerk in Nantong hinzugekommen. An den bisherigen drei Joint-Venture-Unternehmen der ehemaligen Hayes Lemmerz in Thailand (Pkw-Aluminiumgussräder), in Indien (Lkw- und Pkw-Stahlräder) und in der Türkei (Pkw-/Lkw-Stahl- und Pkw-Aluminiumräder) ändert sich nichts, sodass als einziger geografischer Fleck aktuell von den großen automobilen Entwicklungsregionen dieser Welt lediglich Russland zu nennen wäre. Dass ein produktseitiger „weißer Fleck“ ausgefüllt werden soll, kündigt Pieter Klinkers, Präsident der Region EAAP (Europa, Afrika, Asien-Pazifik), an. Man habe nach diversen Tests erkennen müssen, dass Lkw-Aluminiumgussräder mit der Schmiedetechnologie nicht mithalten können. Aber zum „Wie“ und zum „Wann“ man diese Programmlücke schließe, könne (oder wolle?) man jetzt noch nichts sagen.

Aber dass es sich beim Management in Brasilien um „Räder-Leute“ und nicht um „Stahlräder-Leute“ handele, verbessert Hendrickx bei der Nachfrage, ob denn Maxion Wheels langfristig im Pkw-Aluminiumrädergeschäft bleiben wolle. Man wisse, dass das Pkw-Aluminiumrad nach wie vor dem Pkw-Stahlrad weltweit Anteile abnehme und trage die Verdoppelung der Produktion im türkischen Aluminiumräderwerk, die noch vom alten Management beschlossen worden war, voll mit. Iochpe-Maxion ist ein dynamisches Unternehmen, das die Räderwelt der Zukunft mitgestalten wolle und sich schon von daher sicherlich nicht aus einem Wachstumssegment zurückziehen wird.

Als Chief Executive Officer führt Dan Ioschpe den brasilianischen Konzern. Chairman des Aufsichtsrates ist Ivoncy Ioschpe und in verschiedenen wichtigen Funktionen findet sich der Nachname Ioschpe ebenfalls und ist Hinweis darauf, dass es sich um ein Familienunternehmen handelt. Gleichwohl ist die Iochpe-Maxion seit 1984 börsennotiert und dürften heute etwa 60 Prozent der Anteile in Sao Paulo frei gehandelt werden. Aber gerade für die leidgeprüften Manager der ehemaligen Hayes Lemmerz wird es ein großer Gewinn sein, nicht mehr den Quartals-, ja manchmal sogar Monatszielen gesichtsloser Investoren hinterherhecheln zu müssen, sondern mit einem langfristig orientierten Management Wachstumsziele anzustreben.

Die Räderdivision Maxion Wheels des brasilianischen Konzerns Iochpe-Maxion steht für etwa 70 Prozent des Konzernumsatzes (die restlichen 30 Prozent auf „Structural Components“ – zum Beispiel Chassis – ebenfalls für die Fahrzeugindustrie), hat ihren Sitz in Northville (Michigan/USA), wo schon Hayes Lemmerz residierte, und steht unter der Führung von Fred Bentley, der zuvor COO bei Hayes Lemmerz war. Der technischen Verschiedenartigkeit des Rädergeschäftes trägt der Konzern dadurch Rechnung, dass die Region „The Americas“ von Don Polk geführt wird, langjährig im Rädergeschäft und von Kunden mit der Marke Fumagalli assoziiert. Sitz vom „Rest der Welt“ respektive „EAAP“ ist Königswinter, wobei der Präsident dieser Region Pieter Klinkers seine dortige ca. 40 Personen zählende Mannschaft als „lean“ bezeichnet, auch wenn sich eigentlich mit der Akquisition durch die Brasilianer im Management der ehemaligen Hayes Lemmerz gar nicht viel verändert habe. Immerhin ist man umgezogen, wenn auch nur wenige Meter: Das traditionsreiche, aber überdimensionierte alte Verwaltungsgebäude ist an die Stadt Königswinter verkauft worden, der funktionell gestaltete Neubau trägt den Anforderungen der Zeit und der Größe des EAAP-Führungsteams Rechnung.

Aluminiumräder produziert Maxion in Brasilien, Mexiko, Südafrika, Thailand, Tschechien, Italien und in der Türkei. Pkw-Stahlräder werden in Brasilien, Mexiko, den USA, Indien, Spanien, Tschechien, Deutschland und der Türkei gefertigt, Nutzfahrzeugstahlräder in Brasilien, den USA, Indien, China, Tschechien, Deutschland und der Türkei gebaut. Die aktuellen Kapazitätsausbauten sind in Pune (Indien) von 100.000 auf 200.000 Pkw-Stahlräder monatlich und in Manisa von zwei auf vier Millionen Pkw-Aluminiumräder jährlich jeweils Verdoppelungen, in Pune wird darüber hinaus der Output Lkw-Räder von 800.000 auf 1,2 Millionen hochgefahren.

Bei Stahlrädern ist Maxion Wheels global unstrittig Weltmarktführer. Insgesamt steht der Teilkonzern für jährlich knapp 50 Millionen Pkw-Stahlräder – auf die Klinkers-Region entfallen davon 20 Millionen Pkw-Stahlräder jährlich – und mit dem Werk im chinesischen Nantong erhöht sich die Nfz-Stahlräderkapazität von acht bis neun auf zehn Millionen Einheiten jährlich. Etwa 40 Prozent des Geschäftsbereiches EAAP entfallen auf Pkw-Stahlräder, jeweils 30 Prozent auf Nfz-Stahl- und Pkw-Aluminiumräder.

Nein, bei Pkw-Aluminiumrädern sei man weltweit nicht der größte Hersteller, bestätigt Marc Hendrickx, gehört mit einer konzernweiten Kapazität in zweistelligem Millionen-Stück-Bereich (davon in EAAP allein sieben Millionen Stück) aber zum erlauchten Kreis von vielleicht sieben oder acht Spielern. Und wenn im nächsten Jahr das Erweiterungsprojekt Manisa abgeschlossen und eine EAAP-Jahreskapazität von elf und im Konzern von 14 bis 15 Millionen Einheiten erreicht sein wird, dann dürfte man im Ranking auch noch ein wenig nach oben geklettert sein. Technologisch sieht sich der Aluminiumräderbereich ohnehin auf Augenhöhe mit den Wettbewerbern, auch wenn Maxion (noch?) keine Kapazitäten für die Flow-Forming-Technologie für Aluräder (für Pkw-Stahlräder aber sehr wohl) hat. Man erreiche jedenfalls bislang noch von Automobilherstellern eingeforderte Gewichtsreduzierungen auch auf anderem Wege, sagt Pieter Klinkers und Marc Hendrickx ist mit Blick auf ein aktuelles Produkt stolz darauf, dass gerade das erste 22-Zoll-Rad in der Unternehmensgruppe aus der Kokille gekommen ist.

Trotz diverser Verschiedenheiten, es gelinge dem brasilianischen Management bislang recht gut, die Unternehmenskulturen der auf der Welt verstreuten Standorte zusammenzufügen, so Pieter Klinkers. Wahrscheinlich – ob eher „vorbelastet“ vom Material Stahl oder Aluminium, ob eher vorbelastet vom Pkw- oder Nutzfahrzeugbereich – weil alle Beteiligten „Räder-Leute“ sind, die eine gemeinsame Diktion haben. Und die alle den Ehrgeiz haben, in der Räderwelt noch weiter nach vorne zu kommen und für künftige Bedarfe mit Investitionen der neuen Gesellschafter rechnen können (wobei es ebenso um Kapazitätsausbauten wie um Greenfield-Projekte oder weitere Akquisitionen gehen kann). Der Präsident der Weltregion Europa, Afrika & Asien-Pazifik verrät die Vision der neuen Gesellschafter: Innerhalb von nur fünf Jahren soll sich der Umsatz des Konzerns verdoppeln. Und das geht nur mit Lkw-Stahl-, Pkw-Stahl- und Pkw-Aluminiumrädern und – vielleicht – irgendwann auch Lkw-Aluminiumrädern der Division Maxion Wheels. detlef.vogt@reifenpresse.de

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