Handelsblatt-Jahrestagung: Muss sich die Autoindustrie neu erfinden?

„Die Mobilität von morgen wird eine andere sein“, stellte BMW-Vorstandschef Norbert Reithofer zum Auftakt der 20. Handelsblatt-Jahrestagung „Die Automobil-Industrie 2012“ unlängst in München fest. Die gesamte Automobilindustrie stehe vor einer Zäsur. Auch etablierte Autohersteller und Zulieferer müssten sich angesichts der Megatrends Urbanisierung, Globalisierung und Klimawandel neu erfinden.

Dies gelte nicht für die Entwicklung neuer Fahrzeuge mit neuen Fahrzeugantriebskonzepten, sondern auch für die Produktion und Organisation der Unternehmen selbst. „Nur wer sich permanent verändert, wird es schaffen, auch in Zukunft weiter erfolgreich zu sein“, so Reithofer. Entwicklungszyklen würden immer kürzer, der globale Ressourcenbedarf immer höher und teurer, die asiatischen Märkte immer wichtiger und die Herausforderungen durch den Klimawandel immer größer.

Neue CO2-Grenzwerte fordern Automobilindustrie heraus

Auch die Politik nähme Einfluss auf die Branche. Regierungen knüpften die Produktion in ihren Ländern an Bedingungen, sähen unterschiedliche Fördermodelle für Elektroautos vor und senkten zudem die Grenzwerte für CO2-Emissionen immer weiter. Die jüngst von der EU-Kommission vorgeschlagenen neuen Grenzwerte für die CO2-Emissionen neuer Pkw von 95g CO2/km bis 2020 stelle die Branche vor gewaltige Herausforderungen. Bereits in den letzten Jahren habe BMW 1,2 Milliarden Euro in die Reduzierung des CO2-Ausstoßes investiert und bis 2011 die Grenzwerte von 200g CO2/km auf 141g CO2/km reduziert. „Bis 2020 wollen wir den CO2-Ausstoss gegenüber Mitte der 1990iger Jahre halbieren“, betonte der BMW-Chef weiter.

Dazu müssten konventionelle Antriebe weiterentwickelt werden, neue Technologien für Hybrid-Fahrzeuge entwickelt und ganz eigene Konzepte für die Elektromobilität entworfen werden. Nachhaltige Mobilität bedeute aber auch, die Strukturen für die Automobilproduktion anzupassen. BMW strebe in den nächsten Jahren eine Reduktion des Energieverbrauchs von 50 Prozent und des Wasserverbrauchs von 70 Prozent an, so Reithofer.

Elektromobilität braucht Anreize

Um eine deutsche Vorreiterrolle bei der Elektromobilität zu spielen appellierte Reithofer an die Politik. „Gerade in der Startphase brauchen wir attraktive Anreize, damit sich Elektroautos auch beim Kunden durchsetzen können“, sagte er. Die Bundesregierung wolle in acht Jahren eine Million Elektrofahrzeuge auf der Straße haben. „Doch im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 2000 verkauft, davon hundert an Privatkunden“. Damit trotz der hohen Preise Elektroautos gekauft würden, brauche es beispielsweise Anreize aus dem Steuerrecht.

Da letztendlich der Kunde über den Erfolg der Elektromobilität entscheide, dürfe das Thema auch nicht auf Emissionsfreiheit reduziert werden, sondern ein Elektroauto müsse auch den Kundenansprüchen nach Fahrspaß und Komfort gerecht werden. „Auch das Premiumsegment wird leiden, wenn es uns nicht gelingt, Nachhaltigkeit mit Spaß und Qualität zu verbinden“, so Reithofer. Angesichts der vielfältigen Anforderungen an die Automobilindustrie spielten auch strategische Partnerschaften mit anderen Herstellern und ganz neue Geschäftsmodelle wie das Carsharing eine immer wichtigere Rolle. „Alles allein zu machen, ist wenig sinnvoll“, sagte er.

Die neue Kooperation zwischen BMW und Toyota bei der Entwicklung von Lithium-Ionen-Batterien diene dazu, gemeinsam die Wettbewerbssituation zu stärken. „Wir alle können Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren bauen, die Frage der Zukunft wird sein, ob wir auch etwas anderes können“, schloss Reithofer.

Innovative Technologien müssen bezahlbar sein

„Wir müssen Technologien entwickeln, die sich der Kunde auch leisten kann“, betonte Rita Forst, zum Zeitpunkt der Veranstaltung noch Entwicklungschefin bei Opel, und schloss sich Reithofers Forderung nach staatlich geförderten Anreizen für Elektroautos an. „Es bringt nichts, nur ein paar Pilotfahrzeuge und Schaufensterprojekte zu haben“, sagte sie. Die Kunden erwarteten bezahlbare Alternativen, aber noch stelle der Kaufpreis ein großes Problem dar. Wenn Europa den Abschied von fossilen Energien wirklich ernst meine, „dann sind finanzielle Anreize die einzige logische Konsequenz“, sagte Forst. „Die Autoindustrie braucht weitere, stärkere Unterstützung.“ Am Ende müsse die Industrie mit Elektroautos Geld verdienen können. Gerade für einen Massenhersteller sei der Preis für innovative Fahrzeuge entscheidend.

Auch für die inzwischen von ihren Aufgaben entbundene Opel-Entwicklungschefin werden Partnerschaften und Kooperationen für die Automobilindustrie immer wichtiger. Mit Blick auf die Kooperation der Opel-Mutter General Motors mit PSA Peugeot Citroën betonte sie die Kosteneinsparungspotenziale, die man sich durch die Bündelungen im Einkauf und in der Logistik verspreche. Allerdings werde jeder Partner weiterhin auf sein spezifisches Know-how setzen. „Jeder Autohersteller ist bedacht, seine Gene zu schützen“, betonte sie.

Toyota setzt weiter auf Europa

„Wir wollen nicht von unseren Zielen in Europa abweichen, auch wenn die Lage in Europa schwierig ist“, sagte Toshiaki Yasuda, Deutschland-Chef von Toyota. Toyota sei mit seinen 65 Werken in 26 Ländern in der Lage, mit seinen Exporten und Produkten auf die jeweiligen Marktsituationen und Währungsschwankungen flexibel zu reagieren. Der deutsche Markt sei im Vergleich zu anderen europäischen Märkten noch stabil, auch wenn Tageszulassungen und Promotionen auch hier zunehmen würden.

Toyota halte aber an dem Ziel fest, 100.000 Einheiten in Deutschland und eine Million Einheiten in Europa zu verkaufen. Toyota werde auch weiterhin in Europa produzieren und gestalte bereits heute die Mobilität der Zukunft. Bereits vor 15 Jahren habe Toyota den ersten Hybrid auf den Markt gebracht und bereits vier Millionen Hybride weltweit verkauft. Auf der Basis der technologischen Erfahrung werde Toyota schon bald in allen drei Segmenten Hybride anbieten und weltweit Elektroautos einführen. Für 2014 plane der japanische Autobauer auch den Bau von Brennstoffzellenfahrzeugen.

Nach den großen Erschütterungen bei Toyota durch den starken Yen seit 2008, die Wirtschafts- und Finanzkrise in 2008 sowie die Imageprobleme in 2010 und die Naturkatastrophen in Japan und Thailand in 2011 sei Toyota 2012 wieder da, betonte Yasuda. Bereits im ersten Quartal seien 34 Prozent mehr Fahrzeuge als im Vorjahr verkauft worden. Für 2012 erwarte Toyota den Verkauf von 9,6 Millionen Fahrzeugen und damit ein Plus von 31 Prozent im Vergleich zu 2011.

Toyota setze für die Zukunft nicht nur auf die Rückbesinnung auf seine Wurzeln im Streben nach Qualität und Kundenzufriedenheit, sondern auch auf Investitionen in neue Märkte wie Indien, Brasilien, Indonesien und Ägypten. Kooperationen wie die mit BMW seien ein weiterer Schritt in die Zukunft des japanischen Autobauers, so Yasuda.

Verlagerung der Produktionen in neue Märkte

Die Chancen für die Automobilzulieferer auf den asiatischen Märkten durch die Verlagerung der Produktionen durch die OEMs waren ein weiteres Thema der diesjährigen Handelsblatt-Jahrestagung. Die Bedeutung der Zusammenarbeit mit lokalen chinesischen Partnern und den Autoherstellen vor Ort betonte Yann Delabrière, CEO von Faurecia. Die Potenziale des indischen Marktes und die Tradition des Autozulieferers Bosch in diesem Markt beschrieb Soumitra Bhattacharya von Bosch Limited. Er betonte, dass in den neuen Märkten noch andere Produkte nachgefragt würden als auf den etablierten Märkten. Allerdings werde sich die Entwicklung durch das rasche Wachstum der Mittelschicht in Indien immer stärker vom Zweirad auf das Auto verschieben und damit neue Chancen für die Autobauer generieren.

Erfolgreich mit Joint Ventures in China

„Bereits in den nächsten Jahren wird der chinesische Markt so groß sein wie der Nafta-Markt zusammen“, betonte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Hella KGaA Hueck & Co., Rolf Breidenbach. Damit einher ginge eine Verlagerung der Wertschöpfung in Produktion und Entwicklung. Heute habe Europa für Hella noch einen Anteil von knapp 60 Prozent, Nord- und Südamerika machten einen Anteil von 15 Prozent aus und Asien knapp 24 Prozent. Mittelfristiges Ziel von Hella sei es, den Anteil des Asiengeschäfts auf 35 Prozent zu steigern und den von Nord- und Südamerika auf 25 Prozent. Europa werde dagegen nur noch einen Anteil von 40 Prozent am Geschäft von Hella haben.

Besonders als mittelständischer Zulieferer stelle sich dabei die Frage, ob man über alle Wertschöpfungsstufen vor Ort agieren könne oder ob die Zusammenarbeit mit Partnern nicht sinnvoller sei. Hella setze in den globalen Märkten auf beides. In China sei Hella bereits mit Produktionen und Entwicklungsabteilungen präsent und setze auch auf Joint Venture. Der Marktzugang über Joint Venture sei oft einfacher und die spezifischen lokalen Erfahrungen der Partner hilfreich, betonte Breidenbach. Um international erfolgreich zu sein, müsse man globale Plattformen mit einer starken lokalen Präsens anbieten, so Breidenbach. Die Bedeutung von Joint Ventures auch am Geschäftsgewinn habe dabei in den letzten Jahren immer mehr zugenommen und sei nicht zu unterschätzen.

Neben den Themen Globalisierung und neue Antriebstechnologien standen auch die sich ändernden Kundenansprüche an Mobilität im Fokus der Diskussionen der über hundert Teilnehmer der diesjährigen Handelsblatt-Jahrestagung. Der Vizepräsident für Verkehr des ADAC erinnerte daran, dass der Kunde nicht objektiv bei der Beurteilung seiner Mobilitätsbedürfnisse sei, sondern auch weiterhin Statusfragen eine Rolle spielen würden. Neben der Entwicklung der Treibstoffpreise werde der Stellenwert von Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten für das Kundenverhalten immer wichtiger und damit zu einem wichtigen Treiber der Automobilentwicklung. dv

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