Neue Technologie: Bridgestone stellt luftlosen Konzeptreifen vor

Es ist schon einige Jahre her, dass die Reifenwelt erstmals auf ein neues Reifenkonzept blickte, das gänzlich ohne Luft auskommen sollte und dessen Anblick eher an ein Rad mit Speichen als an einen Reifen erinnerte. Nun – aus Anlass der „Tokyo Motor Show“ – stellt Bridgestone erstmals einen eigenen Konzeptreifen vor, dem die Verantwortlichen beim japanischen Reifenhersteller ein „aktuelles Produkt“ folgen lassen wollen. Es stellt sich dabei allerdings die Frage, ob ein entsprechendes selbsttragendes System jemals mehr als ein Nischenprodukt sein kann, zumal am Markt derzeit einige Produkte verfügbar sind, die im Falle eines Falles die Mobilität – zumindest für eine bestimmte Anzahl an Kilometern – garantieren können. Wohin geht die Reise?

Der luftlose Bridgestone-Konzeptreifen für Pkw erhalte seine ganze Stabilität und wohl auch einen Gutteil seiner Fahreigenschaften durch seine „einmalige Speichenstruktur“, erklärt Gert Meylemans, bei Bridgestone Europe als Senior Manager für die Kommunikation verantwortlich, im Gespräch mit der NEUE REIFENZEITUNG. Die Speichen, die das Laufflächengummi mit dem Rad verbinden, tragen dabei das gesamte Gewicht des Fahrzeugs. Der große Vorteil des Bridgestone-Speichenreifens: Er muss natürlich nicht aufgepumpt werden, ist folglich quasi wartungsfrei und darf somit als (derzeit) idealer Notlaufreifen gelten. „Das Problem von Reifenpannen ist gelöst“, sagt Meylemans.

Der Senior Manager weiter: „Zurzeit gibt es noch keine Ergebnisse hinsichtlich der Nutzung im normalen Straßeneinsatz oder bei schwerer Belastung, aber wir prüfen momentan die Haltbarkeit für ausgedehntere Nutzungszeiträume.“ Der Reifen, der in Tokio ausgestellt wurde, fasse ein neun Zoll großes Rad und könne jeweils rund 150 Kilogramm tragen, heißt es dazu in Medienberichten. Man wolle natürlich auf verschiedenen Gebieten Verbesserungen umsetzen, sobald „neue richtungsweisende Erkenntnisse vorliegen“. So habe man aktuell etwa auch noch keine wesentlichen Erkenntnisse im Hinblick auf Geräusch, Vibration oder Fahrverhalten, „aber wir werden noch präzisere Tests durchführen.“

Aktuell hat Bridgestone also mit Forschungen im Bereich geringer Lasten begonnen, daher wurde auf der Messe in Tokio auch ein Elektromobil genutzt. Es muss allerdings angemerkt werden, dass Elektrofahrzeuge durch die in ihnen verbauten Batterien nur selten leichter sind als vergleichbare Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. In der Zukunft wolle man allerdings den luftlosen Konzeptreifen mit Blick auf den Einsatz bei Kraftfahrzeugen weiterentwickeln, erläutert Meylemans weiter, und meint damit herkömmliche Autos.

Ob man bereits in naher Zukunft mit einem Serienreifen auf Basis des aktuellen Konzeptreifens rechnen darf, muss wohl bezweifelt werden, zu gering sind aktuell noch die Kenntnisse über das Verhalten des neuen Reifens im Straßeneinsatz. Bislang, so betont Meylemans dann auch, seien „diese Konzeptreifen jedoch für die Serienfertigung ungeeignet“, wobei Bridgestones Technologie aber dabei helfen könne, eine „praktische Umsetzung zu realisieren.“

Die Speichen- bzw. Rippenstruktur innerhalb der Reifen ist aus wiederverwendbarem Thermoplast hergestellt. Zusammen mit dem Gummi, der für die Lauffläche verwendet wird, ist der für den Reifen verwendete Kunststoff zu 100 Prozent recyclingfähig. Daher setzten diese Reifen auch „neue Maßstäbe in Sachen Umweltfreundlichkeit, Sicherheit und Komfort“, ist der Bridgestone-Manager überzeugt.

Inwieweit ist der neue Bridgestone-Konzeptreifen mit einem handelsüblichen pneumatischen Reifen vergleichbar? Meylemans: „Derzeit ist die Kontrollierbarkeit im Vergleich zu luftbefüllten Reifen positiv zu bewerten, aber wir werden auch in diesem Bereich noch genauere Tests durchführen und sofern sich daraus neue Erkenntnisse ergeben, Verbesserungen umsetzen. Das für die einzigartige Speichenstruktur verwendete Material weist einen geringeren Energieverlust auf als Gummi, sodass ein niedriger Rollwiderstand zu erwarten ist. Wir können jedoch derzeit noch keine genauen Daten hierzu liefern.“ Das Gewicht des Konzeptreifens entspreche ungefähr dem eines gängigen, luftbefüllten Reifens und der Reifen wiege „weniger als mit Urethan befüllte pannensichere Reifen sowie Vollmaterialreifen. Für einen Reifen, der durchstoßsicher ist, ist dieser Reifen unserer Ansicht nach daher sehr leicht“, schließt Meylemans.

Auch der zweitgrößte japanische Reifenhersteller Yokohama Rubber hatte die Tokyo Motor Show im Dezember dazu genutzt, um das Konzept eines luftlosen Reifens vorzustellen. Der „Reifen der Zukunft“, hieß es dazu erklärend auf der Internetseite der deutschen Yokohama Reifen GmbH, beruhe „auf bionischen Konzepten, die sich die Entwickler von der Natur abgeschaut haben“. Den Reifen hatte Yokohama erstmals auf der „Good Design Expo“ Ende August in Tokio gezeigt.

Die Urheberschaft des Speichenkonzeptes fällt aber – wie bekannt – Michelin zu. Der französischen Reifenhersteller hatte bereits 2005 sein Reifenkonzept „Tweel“ präsentiert, wobei der Name eine Verbindung aus „tyre“ (Reifen) und „wheel“ (Rad) ist. Michelin hatte dafür gleich mehrere Auszeichnungen erhalten. Zuletzt hatte man allerdings Anfang 2009 von Tweel gehört, als Michelin die Ausrüstung eines NASA-Mondfahrzeugs mit seinem Rad-Reifen-System offiziell vermelden konnte. Unter den atmosphärischen Bedingungen des Mondes ist ein pneumatischer Reifen natürlich keine praktikable Lösung. Zwei Jahre zuvor war von Tweel als möglicher Ersatz von kleinen Industriereifen die Rede; Michelin zeigte Fotos von Bobcat-Kompaktladern, die mit dem selbsttragenden Tweel-Konzept ausgerüstet waren.

Der französische Reifenkonzern hatte von Anfang an sein Tweel-Konzept auch auf Pkw – etwa einem Audi A4 – präsentiert. Wie Michelin auf Nachfrage der NEUE REIFENZEITUNG mitteilt, laufe aktuell ein Feldversuch bei der französischen Post. Die Fahrzeuge, die Michelin im Rahmen des Feldversuchs in Frankreich ausrüstet, sind Elektroautos des namhaften französischen Leichtfahrzeugspezialisten Automobiles Ligier. Michelin wolle durch diesen Alltagstest mehr über die Leistungsfähigkeit seiner Tweel-Reifen lernen, heißt es dazu. Über Zwischenergebnisse könne man aktuell noch nichts sagen, heißt es weiter vonseiten des französischen Reifenherstellers.

Die Tatsache aber, dass Tweel auch nach sieben Jahren immer noch im Einsatz auf der Straße ist, zeigt, dass es sich dabei um alles andere als um einen reinen Messe-Prototypen-Hingucker handelt. Dass ein völlig neues Reifenkonzept – über 120 Jahre nach der Erfindung des Luftreifens – nicht innerhalb kürzester Zeit zur Serienreife gebracht werden kann, scheint nachzuvollziehen. Die Frage nach der Marktreife der verschiedenen luftlosen Konzeptreifen und danach, welcher Markt bzw. welche Marktnische reif für diese Reifen ist, muss allerdings erst noch beantwortet werden. Ob sich Tweel und Co. jedoch als Alternative zu anderen Mobilitätskonzepten für Pkw durchsetzen werden können, scheint zumindest für die kommenden Jahre ausgeschlossen, ein entsprechendes Entwicklungsstadium hat noch keines der sich engagierenden Unternehmen erreicht. Außerdem sind bereits serienreife und gut eingeführte Notlaufreifen(konzepte) am Markt verfügbar.

Zwischenzeitig hatte übrigens auch das US-Unternehmen Resilient Technologies einen eigenen Konzeptreifen für die Humvees des US-Militärs vorgestellt, wobei hier die Speichen Waben sind. Auf der Internetseite des Unternehmens werden auch Testfahrten (von vor drei Jahren) dokumentiert; in der Öffentlichkeit hat man indes von dem Resilient-Technologies-Produkt noch nichts gesehen. arno.borchers@reifenpresse.de

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